Die schrille Grille

1. Februar 2008 • Digitales • von

Erstveröffentlichung: Message 01/08

Der italienische Komiker Giuseppe (»Beppe«) Grillo rief zum Volksaufstand auf. Die Medien ignorierten ihn, bis er 1,5 Millionen Italiener auf den Piazze zusammentrommelte.

Welche Symbiosen politischer Populismus und das Web 2.0 einzugehen vermögen, dazu wird uns soeben in Italien ein Lehrstück vorexerziert: Ausgerechnet ein Komiker hat es geschafft, mit seinen Kapriolen so viel Resonanz auszulösen, dass sich inzwischen das politische und das publizistische Establishment betreten sorgt, wo das hinführen könnte. Beppe Grillo kannte man in Italien bis Mitte der 80er Jahre aus dem Fernsehen – bis er 1986 vom Staatssender RAI wegen seiner allzu kessen Lippe vor die Tür gesetzt wurde. Seither ist er eher für seine Live-Auf-tritte und Polit-Satire-Shows bekannt, die landauf landab die Theater Italiens füllen. Von der europäischen Ausgabe des Nachrichtenmagazins Time wurde er im Jahr 2005 zu einem »European Hero« gekürt – ob seiner Anstrengungen und seines Muts, Dinge öffentlich beim Namen zu nennen, zum Beispiel beim Zusammenbruch des Parmalat-Konzerns und beim Verkauf der italienischen Telecom.

Im selben Jahr hat sein Blog den Preis »Premio WWW« des führenden Wirtschaftsblatts Il Sole 24ore für die beste Website Italiens im Bereich »Nachrichten und Information« erhalten. Sein Blog www.beppe¬grillo.it ist inzwischen einer der meistfrequentierten der Welt; es gibt auch eine englische Version. Vor allem mit seiner Online-Präsenz ist es ihm gelungen, Massenkundgebungen zu organisieren, an denen Hunderttausende teilgenommen haben, darunter auch viel Prominenz aus Kultur und Gesellschaft:Niemand hätte solch eine Mobilisierung für möglich gehalten – noch nicht einmal Grillo selbst, der ange¬sichts der unerwarteten Resonanz schlicht von einem »Wunder« sprach.

Der Plan: Ein Volksaufstand

Wie kam es zu diesem sogenannten »V-Day«, und was ist am 8. September 2007 geschehen? Das »V« steht nicht für »Victory«, auch wenn die begleitende Gestik von Grillos gespreizten Fingern dies ebenfalls signalisieren mag. Für ihn jedenfalls ist das V ein Kürzel für »Vaffanculo« – auf Italienisch »Leck mich am Arsch«. Der V-Day spielt aber auch auf den D-Day an, jenen Wendepunkt des zweiten Weltkriegs, als die Amerikaner in der Normandie anlandeten. Und außerdem steht das »V« für »Vendetta« – Rache.

An jenem 8. September, so Beppe Grillos Plan, sollte ein Volksauflauf stattfinden. Grillo spornte die Bürgerinnen und Bürger an, sich auf den zen¬tralen Plätzen ihrer Städte zu versammeln und eine Gesetzes-Initiative zu unterzeichnen – und zwar zu folgenden drei Punkten:

Nein zu kriminellen Parlamentariern. Damit wurde gegen 25 Abgeordnete protestiert, die derzeit im Parlament sitzen, obschon sie von ordentlichen Gerichten rechtskräftig verurteilt sind und zum Teil in zweiter und dritter Instanz auf ein endgültiges Urteil warten.

Nein zu mehr als zwei Legislaturperioden Parlamentsarbeit. Künftig sollen so Berufspolitiker verhindert werden, die über 15 oder 30 Jahre hinweg als Abgeordnete tätig sind.

Ja zur Direktwahl von Abgeordneten. Parlamen-tarier sollen nicht mehr von Parteisekretären auf Listenplätze gehievt werden können, sondern sich der Direktwahl durch die Bürger stellen.

Der Zeitpunkt für diese Bürgerinitiative war geschickt gewählt: In Rom schwand nach der Sommerpause der Rückhalt für die zerstrittene Regierung von Romano Prodi rapide. Die Linkskoalition selbst war wohl nur noch dadurch zu kitten, dass alle Beteiligten eine Rückkehr Berlusconis verhindern wollen – aber auch im rechten Lager ist längst der Diadochenkampf um die Nachfolge des Ex-Premiers und Medienmilliardärs angebrochen. In diesem Machtvakuum war der Zuspruch zu Grillos Initiative ebenso überraschend wie überwältigend. Schätzungen – auch unter Auswertung der Videos, die auf »you-tube«, und der Photos, die über »flickr« verbreitet wurden – ergaben, dass rund 1,5 Millionen Menschen auf 200 italienischen »Piazze« zusammengeströmt waren. Mit 300.000 Unterschriften protestierten die Beteiligten gegen die gerichtlich verurteilten Parlamentarier. Auch im Ausland gab es in über 30 Städten Initiativen. Grillos Blog verwandelte sich in ein Diskussionsforum mit über 2.000 Einträgen, und rund 9.300 andere Blogs griffen das Thema ebenfalls auf.

Wildes Tamtam gegen den »Hexenmeister«

Und das alles, obwohl den Mächtigen und auch den Mainstream-Medien diese Initiative ganz und gar nicht schmeckte, und sie Grillo als »Hexenmeister«, »Schwätzer« und »Populisten« abstempelten. Genau genommen wurde sein V-Day zunächst totgeschwiegen. Erst kurz nach dem Event entfachten die italienischen Medien, die ja gerne massiv und kollektiv »Agenda setting« betreiben, dann ein so wildes und kriegerisches Tamtam, dass sich auch jenseits der ita¬lienischen Grenzen die NZZ, der Spiegel und die BBC für Grillo zu interessieren begannen. Die Manifestation gesellschaftlichen Engagements und friedlichen Protests wurde von den Medien dann allerdings in einen »Aufmarsch der Politikverdrossenen« umge¬wandelt oder schlicht als »Grillismo« banalisiert – ein Schlagwort, das seither die Zeitungen, Wochenblätter und Talkshows beherrscht (und, wie im Deutschen eine »Grille«, auf das angeblich Versponnene, Realitätsferne der Basisbewegung anspielt).

Das Etikett blieb haften. Aber zugleich irritiert diese Art der Stereotypisierung – denn Grillos Ideen sind ebenso wie die provokante und oftmals auch vulgäre Art, wie er sie unters Volk bringt, in der poli-tischen Kommunikation Italiens fraglos etwas Neues. Dagegen gibt es kaum intellektuelle Anstrengungen, dieses Phänomen zu verstehen – bis auf das Nachrichtenmagazin Espresso, das unter Verweis auf Grillos Zulauf das Internet zur »sechsten Gewalt« deklariert hat (als vierte gilt in Italien die Presse, die fünfte ist das Fernsehen).

Der nächste Schlag: Die Journalistenkammer

Warum ist das so? Sind die italienischen Mainstream-Medien vor allem die Sprachrohre und Interpreten der politischen Klasse, die wiederum in dem Genueser Komiker einen potentiellen Rivalen sehen mag? Geht es um so etwas wie instinktive Selbstverteidigung der Journalisten, die völlig überrascht wurden, mit wel¬cher Macht ein Blog Aufmerksamkeit für sich beansprucht hat, und die nun um ihren eigenen Einfluss bangen? Auf solche Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten – an beiden Deutungen ist sicherlich etwas dran. Grillos Intentionen sind unklar, aber er hat inzwischen nachgelegt und schürt derlei Ängste im Medien-Establishment weiter. Der nächste »V-Day« werde am 25. April 2008 stattfinden und »der Information«, also dem Journalismus gewidmet sein: »Wir werden fordern, die Subventionen der Presse aus Steuermitteln einzustellen« und die »Zwangsmitgliedschaft der Journalisten in der Journalistenkammer« abzuschaffen, so Grillo. Letztere ist eine Hinterlassenschaft aus Mussolinis Zeiten. Sie ist in der westlichen Welt einzigartig – und auch vielen seriösen Medienexperten ein Dorn im Auge. Zumindest halten sie die Kammer für vollkommen überflüssig.

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