Journalismus: Gibt es den noch und wenn ja, für wen?

6. November 2014 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Journalismus und mit den neuen Phänotypen journalistischer sowie para-journalistischer Rollen beschäftigt sich eine Vielzahl von Studien, die in den letzten 15 Jahren entstanden sind. Zugespitzt, kennt die internationale Literatur zur Journalismusforschung praktisch nur noch die Beschäftigung mit den Folgen der Digitalisierung.

Im Kern sind die vielen Fragestellungen jedoch auf nur zwei reduzierbar: (1) Lässt sich eine spezifische gesellschaftliche Funktion professionellen Journalismus definieren? Wenn ja, an Hand welcher Kriterien lassen sich die Inhaber dieser Rollen von anderen Kommunikationsrollen, die insbesondere im digitalen Zeitalter entstanden, aber nicht darauf reduzierbar sind, unterscheiden? (2) In welchem Maße werden diese spezifischen Funktionen und Qualitäten von professionellem Journalismus von der Bevölkerung erkannt und nachgefragt? Das Phänomen der sogenannten „De-Professionalisierung“ im Journalismus hat demnach zwei Facetten: Die Produktion von aktuellem gesellschaftlichem Wissen und die Nachfrage nach diesem.

Die Angebotsseite

Es gibt immer mehr Quellen, die sich via Blogs, sozialen Netzwerken und Webseiten mit Informationen in den öffentlichen Raum einbringen, die dies aber mit anderen Absichten und mit anderen Ressourcen tun als professionelle Journalisten. Die Kategorie der Blogger ist zwar vielfältig, ein Großteil von ihnen will aber gar nicht neutral berichten, sondern seiner subjektiven Sichtweise folgen. Hinter den kommunikativen Aktivitäten verbergen sich häufig ideologische Vorlieben oder handfeste wirtschaftliche Interessen – oft auch nur das Motiv, ohne Rücksicht auf Realitätsverluste Spaß zu haben.

Professionelle Journalisten verfolgen demgegenüber idealiter – und zumindest in der Ausbildung so vermittelt – das Ziel, die Bürger mit relevanten, geprüften und in Kontext gestellten Informationen zu gesellschaftlichen Themen zu versorgen. Die Recherche und Validierung von Nachrichten sowie deren Kontextualisierung in einer immer komplexeren Umwelt verlangen Ressourcen, und zwar menschliche (z. B. gut ausgebildete Fachleute) ebenso wie technisch-wirtschaftliche (z. B. Abonnement von Nachrichten-Agenturen). Nicht-professionelle Kommunikatoren haben diese in der Regel nicht zur Verfügung, oder sie haben andere Ressourcen, die aber nicht auf die Optimierung qualitätsvoller Nachrichten, sondern auf die Optimierung von Wirkungen (z.B. PR, Werbung) ausgerichtet sind.

Schaubild 1: Berichterstattung über Top-Nachrichten des Vortags

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Quelle: Donsbach, W. (2012). Nachrichtennutzung und Nachrichtenwissen junger Menschen (News exposure and news knowledge of adolescents). Final Report to DFG

Diese Unterschiede schlagen sich in den Indikatoren für journalistische Qualität nieder. In einer von uns durchgeführten Studie über die mediale Darstellung und Rezeption der beiden wichtigsten Nachrichten des Vortags ergaben sich drastische Unterschiede zwischen professionellen und nicht-professionellen Quellen, am stärksten hinsichtlich der Ausgewogenheit (Schaubild 1). Andere Studien ermittelten, dass Nachrichtenblogs viel häufiger Mutmaßungen und Gerüchte verbreiten. Dies alles schlägt sich in der empirisch nachgewiesenen Tatsache nieder, dass den Nutzern dieser Quellen dadurch auch weniger valides Wissen vermittelt wird.

Die Nutzerseite

Wie sieht es nun auf der Seite der Nutzer aus? Die „Digital Natives“ werden ebenfalls intensiv erforscht ­– auch, weil sie durch das Internet via schneller und leider oftmals statistisch ‚schmutziger‘ Online-Befragungen erreicht werden können. Die Forschungsergebnisse lassen sich so zusammenfassen:

(1) Die in die digitale Welt hineinsozialisierte Generation nutzt immer seltener regelmäßig professionelle Nachrichtenquellen, um sich über das Tagesgeschehen und den gesellschaftlichen Prozess zu informieren.

(2) Innerhalb dieser sich verkleinernden Population der Nachrichtenutzer wächst der Anteil derjenigen, die dies via Internet-basierter Medien tun.

(3) Es wächst ebenfalls insgesamt der Anteil derjenigen, die nur noch sporadisch durch den Besuch bestimmter Webseiten,z. B. der Startseiten von Suchmaschinen oder sozialer Medien, also z.B. durch Tweets oder via Facebook, mit Nachrichten in Kontakt kommen. Nach einer Studie des PEW Research Centers sagen die Hälfte der Amerikaner, dass sie „schon mal“ journalistische Nachrichten über Facebook oder Twitter erhalten haben. Das klingt beeindruckend, hat aber mit einer kontinuierlichen und eigen-motivierten Nachrichtenutzung nichts mehr zu tun.

(4) Als Folge geht das „Weltwissen“ in der Bevölkerung immer weiter zurück. In einem von der DFG geförderten Projekt befragten wir eine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren zu ihrer Kenntnis der beiden wichtigsten Nachrichten des Vortages (über einen Zeitraum von 30 Tagen hinweg, täglich festgelegt von Chefredakteuren und Sozialwissenschaftlern). Von beiden Themen auch nur „gehört“ hatte nur jeder dritte Deutsche (Schaubild 2).

Forscht man weiter, ob die Befragten sich zusätzlich informiert (und nicht nur „gehört“) haben, gehen die Werte auf unter 20 Prozent – mit einer dramatischen Alters-Korrelation: von den 14- bis 17-jährigen haben sich 8 Prozent, von den 18- bis 29-jährigen gerade einmal 18 Prozent über die wichtigsten Themen informiert. Unsere multivariaten Analysen zeigen, dass die stetige Nutzung von Nachrichten – neben dem Alter der Befragten – den stärksten Einfluss darauf hat, was man über aktuelle Politik und das Zeitgeschehen weiß. Dieser Befund spricht für eine Abwärtsspirale, die bei geringer Nachrichtennutzung beginnt, zu weniger Wissen führt und damit noch einmal die Motivation reduziert, sich den komplexen und subjektiv oftmals unverständlichen Nachrichten zuzuwenden.

(5) Das sinkende Nachrichteninteresse hat mehrere Ursachen, für deren Erläuterung hier nicht der Platz ist. Im Zuge eines allgemeinen Wertewandels geht auch die staatsbürgerliche Überzeugung zurück, dass man sich informieren sollte („duty to keep informed“), was wiederum mit einem sinkenden generellen politischen Interesse korreliert.

(6) Beide Phänomene stellen zusätzlich ein Schichtenproblem dar: Nach Zahlen des Instituts für Demoskopie Allensbach geht in der Unterschicht das Interesse am öffentlichen Raum und damit an Nachrichten deutlich stärker zurück als bei den oberen sozialen Schichten. Dies führt zu tiefgreifenden Veränderungen des sozialen Gefüges.

 

Schaubild 2: Bekanntheit der zwei Top-Nachrichten des Vortags

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Quelle: Donsbach, W. (2012).Nachrichtennutzung und Nachrichtenwissen junger Menschen (News exposure and news knowledge of adolescents). Final Report to DFG; siehe auch: Donsbach, W., Walter, C., Mothes, C. & Rentsch, M. (2012). ‘If news is that important, it will find me’? Nachrichtennutzung und –wissen junger Menschen in Deutschland. Politische Bildung, 45(4), 138-152.

Die Nachfrageseite ist möglicherweise das noch größere Problem. Sie besteht aus zwei Teilproblemen: der Fähigkeit zur Distinktion und dem Interesse. Ersteres betrifft die Fähigkeit der Bürger, einen Unterschied zwischen professionellen und nicht-professionellen Angeboten machen zu können und diesen Unterschied auch zu schätzen. In unserer Trend-Studie „Journalismus in öffentlicher Wahrnehmung“ fragten wir die deutsche Bevölkerung, welche von mehreren Berufen bzw. Tätigkeiten sie als „Journalismus“ bezeichnen würde. Vier von zehn Deutschen rechnen Pressesprecher, Leserreporter oder Redakteure von Kundenzeitschriften dazu – jüngere Befragte in allen Fällen deutlich häufiger als Ältere (Schaubild 3). Für jeden dritten 18- bis 29-jährigen Deutschen sind auch Blogger Journalisten. Wer den Unterschied nicht kennt, hat auch keine oder zumindest die falschen Kriterien bei der Auswahl von Informationsangeboten.

Neben dem Wissen muss auch die Motivation vorhanden sein, um sich mit den Dingen zu beschäftigen, die professioneller Journalismus anbietet. Dies hat nicht nur, aber auch mit politischer Bildung und der Weckung von Interesse an Demokratie und Politik zu tun. In welcher Intensität und Form werden heute professionell-journalistische Medien im schulischen Unterricht behandelt? Unsere Befürchtung geht dahin, dass bei Teilen der Lehrerschaft bereits heute Facebook und Twitter einen höheren Stellenwert haben als beispielsweise die Regionalzeitung (on- oder offline).

Journalistische „Deprofessionalisierung“ bedeutet also nicht nur Verwässerung der Identität des Journalismus, sondern auf lange Sicht auch De-Validierung des gesellschaftlichen Wissens.

 Schaubild 3: Was ist ein Journalist?

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Frage: „Ich lese Ihnen nun einige Personen vor. Bitte sagen Sie mir bei jeder Person, ob das für Sie ein Journalist ist oder nicht.“ (N Welle 1 = 1.054; Welle 2 = 1.000; Angaben in Prozent); Quelle: Schielicke, A.-M., Mothes, C. & Donsbach, W. (2014). Vertrauen in Journalismus: Trends & Einflussfaktoren. In: Stark, B., Quiring, O. & Jackob, N. (Hg.). Von der Gutenberg-Galaxis zur Google Galaxis. Alte und neue Grenzvermessungen nach 50 Jahren DGPuK. Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Band 41. Konstanz und München: UVK, 247-269

Was tun?

Wir brauchen noch mehr, noch eindeutigere und vor allem im Zeitverlauf ermittelte Erkenntnisse über die konkrete Nachrichtenutzung der Bürger auf allen professionellen und nicht-professionellen Plattformen sowie ein Qualitätsvergleich der Wirklichkeitsbeschreibungen, die man dort jeweils erhält. Denn dies ist letztlich der normative Kern des Problems: Welche Wissensbestände über gesellschaftlich relevante Themen entstehen in den Köpfen der Menschen? Es gibt bereits Hinweise, dass diese Wissensbestände in der neuen Informationsumwelt zunehmend weniger valide werden, weil professioneller Journalismus in der Nutzung marginalisiert wird. Wenn sich das noch genauer nachweisen ließe, dann gäbe es auch seitens der Politik allen Grund, in der politischen Bildung gegenzusteuern.

Unser Appell aus den vorliegenden Erkenntnissen geht eindeutig dahin, die Qualitäts- und Funktionsunterschiede zwischen professionellem Journalismus und anderen kommunikativen Rollen bereits in der Schule stärker zu vermitteln und das Interesse am öffentlichen Raum und damit für die Produkte des professionellen Journalismus zu stärken. Damit würde einerseits dem Geschäftsmodell der journalistischen Medien eine Perspektive gegeben und andererseits – was viel wichtiger ist – eine soziale Rolle gestärkt, die für eine lebhafte und rational funktionierende Demokratie lebenswichtig ist. Der Pressefreiheit und damit den Medien wurde nicht umsonst vom deutschen Bundesverfassungsgericht eine „konstituierende Bedeutung“ beigemessen. Dann müssten die Medien erstens auch zeigen, dass sie diese Rolle ausfüllen (Qualitätsstandards), zweitens müssten die Menschen erkennen, welches diese Medien sind, die das Verfassungsgericht im Auge hatte, und drittens müssten die Bürger deren Produkten Interesse entgegenbringen.

Bei den beiden letztgenannten Postulaten sitzen die Medien im Boot mit der politischen Bildung wie auch dem politischen System insgesamt, die beide ebenfalls ein ureigenes Interesse an einem funktionierenden öffentlichen Raum haben sollten. Diese aus verschiedenen Motiven geschürte Interessens-Identität ist eine Chance. Die Vermittlung der Medienkompetenz im Rahmen der schulischen Bildung muss neu erfunden werden. Wir wissen auch hierüber noch zu wenig, aber sie mäandert wahrscheinlich zwischen angestaubter Wissensvermittlung über die Medienlandschaft des letzten Jahrhunderts und kritikloser Faszination für soziale Medien. Zu befürchten ist, dass die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz im Dreischritt „Interesse für Nachrichten – Distinktionsfähigkeit für Nachrichtenprofis – kritischer Umgang mit Quellen“ keine wesentliche Rolle im Unterricht spielt.

Auf der anderen Seite haben sich die Verlage das Leben selbst schwer gemacht, weil sie in den Anfangszeiten der Internetkommunikation die „Umsonst-Kultur“ mitgemacht haben, die ja der Auslöser für die fehlende Distinktion war. Damals konnten sie sich das noch leisten. Heute, da sich die „Alles gratis“-Erwartungen nur noch schwer zurückdrehen lassen, zieht ihnen diese Kultur den Boden unter den Füßen weg.

Der Ausweg, wenn es einen gibt, kann nur in der Offensive liegen: Selbst immer wieder deutlich machen, was man von den Nachrichtenprofis bekommt und was einem die Tausenden, ja Millionen anderen Quellen nicht liefern können oder nicht liefern wollen. Je mehr ein solcher Claim mit der Wirklichkeit der Medieninhalte übereinstimmt, desto besser.

Bildquelle: blu-news.org/flickr.com

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6 Responses to Journalismus: Gibt es den noch und wenn ja, für wen?

  1. Thomas Wengenroth sagt:

    Dass Journalisten „die Bürger mit relevanten, geprüften und
    in Kontext gestellten Informationen gesellschaftlichen Themen zu versorgen“,
    kann ich – realiter – für „meine“ Themen leider nicht bestätigen. Auch wäre interessant
    zu erfahren, wer die in Schaubild 1 dargestellte Ausgewogenheit eigentlich
    attestiert hat.

  2. Medienforscher sagt:

    Knüpfe an Wengenroth an – wer sagt denn, dass der Journalismus heute
    überhaupt die Informationensleitstung erbringt, zielguppengemäße
    Nachrichten bereitzustellen?

    Die sozial schwächeren Schichten
    werden nicht ernst genommen und mit Boulevard abgespeist, vieles ist für
    Mittel- und Oberschicht geschrieben.

    Kann mal jemand
    selbstkritisch bitte auch mal vom Versagen des Journalismus und der
    Verlage sprechen, zielgruppengerechte, attraktive und dennoch
    inhaltsschwangere und hilfreiche Angebote überhaupt zu machen?

    Ach ja, ich vergaß: “Ökonomisierung der Medien” – rechnet sich halt nicht in der sich spreizenden Gesellschaft.

  3. Thomas Wengenroth sagt:

    Weil’s so schön passt ein aktuelles Beispiel für “Aktivist statt Journalist” (die Kommentare holen fehlende Recherche nach): http://www.nw-news.de/magazin/schwarz_weiss/11289838_Lasst_Bambi_seine_Mutter.html

  4. Wolfgang Donsbach sagt:

    “wer sagt denn, dass der Journalismus heute überhaupt die Informationensleitstung erbringt, zielgruppengemäße
    Nachrichten bereitzustellen?” Da gehe ich mit: ich habe einige Jahrzehnte “journalismuskritisch” gearbeitet und publiziert. Inzwischen gewinnt aber immer mehr die Frage überhand: Was ist die Alternative zu unserem professionellen Journalismus? Nichts! Deshalb müssen wir an dessen Verbesserung arbeiten und ihn nicht vorher noch weiter kaputtreden.

  5. Wolfgang Donsbach sagt:

    Noch etwas zu “wer hat die Ausgewogenheit in unserer Studie festgestellt?” Wir haben hierfür (wie für viele andere Qualitätsmerkmale) ein Codebuch entwickelt und getestet, bis genügend Intercoder-Reliabilitiät vorhanden war. Dann wurde es Hunderte Beiträge angewendet. Das ist Standard in der Kommunikationsforschung.

  6. volki sagt:

    “Die Kategorie der Blogger ist zwar vielfältig, ein Großteil von ihnen will aber gar nicht neutral berichten” das müssen sie auch nicht….dafür kann ich ja verschiedene Blogs lesen….z.B aus verschiedenen Ecken…..auch politsch!

    Die Mainstream Medien haben fertig…..und ein Grossteil der Presse! Sie bedienen die Herrschaftseliten und sollen das Volk einlullen…..

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