(K)eine Frage des Alters?

6. Juli 2020 • Digitales, Forschung aus 1. Hand, Qualität & Ethik • von

Digitale Technologien verändern die Art und Weise, wie investigative Journalisten recherchieren und ihre Informationen und Quellen verifizieren. Soziale Medien wie Facebook und Twitter helfen ihnen dabei, Geschichten von öffentlichem Interesse zu identifizieren und Informationen über potenzielle Informanten zu sammeln. Gleichzeitig gefährden die digitalen Spuren im Netz nicht nur die Journalisten selbst, sondern auch den Schutz ihrer Quellen. 

Es heißt, Journalisten mögen keine Veränderungen. Doch die Digitalisierung der Berufswelt bringt viele Veränderungen mit sich – auch für die Arbeit von investigativen Journalisten. Technologische Innovationen haben die Anforderungen an ihre beruflichen Qualifikationen verändert. Dabei sind bestimmte Fähigkeiten, vor allem in den Bereichen der Datenanalyse, Programmierung und Verifikation, wichtiger geworden. Für den Erwerb dieser Fertigkeiten sind Journalisten von den Ressourcen innerhalb ihrer Redaktion abhängig. Aber auch soziodemographische Faktoren wie das Alter und ihre individuelle Anpassungsbereitschaft bestimmen, wie sie in einer digitalen Umgebung arbeiten. Bewerten beispielsweise junge investigativ arbeitende Journalisten die Veränderungen, die durch technologische Innovationen hervorgerufen werden, positiver? Wie gehen ältere Journalisten mit den neuen technischen Möglichkeiten um?

Die Bedeutung von sozialen Medien für die Recherche 

Soziale Medien haben nicht nur die Art und Weise wie wir kommunizieren grundlegend und nachhaltig verändert. Über Plattformen wie Twitter und Facebook wächst der Berg an persönlichen Daten, die wir online preisgeben, täglich. Sowohl für junge als auch für ältere Investigativ-Journalisten ist es daher einfacher, Themen von öffentlichem Interesse zu identifizieren, Informationen über potenzielle Informanten zu recherchieren und mit Quellen in Kontakt zu treten.

Ein 25 Jahre alter Journalist aus Serbien erzählt, dass soziale Medien insbesondere bei der personenbezogenen Recherche wichtig sind: „Ich muss sagen, dass es jetzt wirklich einfacher ist, über eine Person online zu recherchieren, wegen all der sozialen Medien. Wenn man also zu einer Person ermittelt, ist der digitale Weg vielleicht wichtiger als der traditionelle.”

Soziale Medien ersetzen häufig sogar traditionelle Methoden im ersten Schritt der Recherche, wie ein 42-jähriger Journalist aus Norwegen beschreibt:

Wir nutzen die sozialen Medien viel mehr, um Quellen zu finden, Informationen zu recherchieren, Trends aufzuspüren, das Geschehen auf verschiedenen Ebenen zu verfolgen. Wo wir also vor vielleicht zwanzig Jahren zum Telefon gegriffen oder einen Brief geschrieben haben, würden wir heute versuchen, Personen über soziale Medien zu finden.

Auf den ersten Blick bewerten Journalisten die neuen Möglichkeiten durch technologische Innovationen positiv: Aufgrund der Masse an Daten können Informationen aus verschiedenen Quellen schneller gesammelt und analysiert werden – das spart Zeit. Gleichzeitig müssen sich investigativ arbeitende Journalisten jedoch mit der Schwierigkeit auseinandersetzen, den Wahrheitsgehalt dieser Informationen und Quellen zu ermitteln.

„Wir müssen uns fragen: Ist diese Information, die man verknüpft, wahr, ist das tatsächlich so geschehen? Man muss sehr vorsichtig sein, um nicht manipuliert zu werden”, mahnt ein 47-jähriger Journalist aus Algerien. Die Überprüfung der Fakten kann sehr zeitaufwendig sein und ist einer der Gründe, warum digitale Medien heutzutage als „zweischneidiges Schwert” angesehen werden – sie beschleunigen zwar die Recherche der Journalisten, zwingen sie aber gleichzeitig zu zusätzlicher Arbeit bei der Verifikation.

Um den Wahrheitsgehalt der Daten zu überprüfen, verwenden Investigativ-Journalisten sowohl Statistiken, die von Regierungs-Websites und öffentlichen Ämtern bereitgestellt werden, als auch frei zugängliche Software-Tools. Darüber hinaus erfassen sie Beweise mit ihren Smartphones und verifizieren diese durch Fotos oder Tonaufnahmen. Auch die „Cross Verification” wird durch Online-Informationen erleichtert: Der Aufenthaltsort von Personen kann ermittelt und Zeugen im Internet identifiziert werden, die ihrerseits Aussagen oder Informationen verifizieren können.

Ältere investigative Journalisten reflektieren ihren digitalen Fußabdruck kritisch

Neben den neuen Möglichkeiten, die sich aus der Online-Recherche ergeben, reflektieren vor allem ältere Investigativ-Journalisten die Folgen ihres digitalen Fußabdrucks. Die Nachverfolgung ihrer „digitalen Spuren“ kann den Quellenschutz gefährden. Ein Journalist aus Nordmazedonien, der seit mehr als zwanzig Jahren im investigativen Bereich arbeitet, betont: „Im heutigen digitalen Zeitalter besteht die Schattenseite darin, dass es auch für Menschen, die verfolgen, was du tust, einfacher ist, Zugang zu deiner Kommunikation zu erhalten.“ Das habe weitreichende Konsequenzen:

Ein Journalist, der nicht dazu in der Lage ist, seine Quellen zu schützen, darf nicht als Journalist arbeiten.

Außerdem kritisieren vor allem ältere Investigativ-Journalisten, dass die Masse an digitalen Informationen zu einer staatlichen Überwachung und Datensammlung führe. Regierungsbehörden würden die riesigen Datenmengen zudem gezielt einsetzen: Sie lenken Journalisten in die falsche Richtung oder überhäufen sie mit unübersichtlichen Datenbergen, um sie abzuschrecken.

Auch junge Investigativ-Journalisten berichten, dass sie sich über ihre Online-Aktivitäten Gedanken machen: „Die meiste Zeit fühlt man sich sicher und denkt, dass man anonym ist und seine Spuren verwischt, aber in Wirklichkeit ist man es nicht – man hinterlässt seine Spuren”, betont ein 30 Jahre alter Journalist. Besonders in Ländern mit autoritären Regimen könnten diese Spuren möglicherweise Informanten, Kollegen aber auch den Journalisten selbst in Gefahr bringen.

Die Kombination aus traditionellen und digitalen Methoden ist unumgänglich

Trotz der Risiken durch den digitalen Fußabdruck spielen soziale Medien in der täglichen Arbeit von investigativ arbeitenden Journalisten eine wichtige Rolle: Im ersten Schritt der Recherche ersetzen sie manchmal sogar traditionelle Werkzeuge. Beispielsweise ziehen immer mehr Journalisten den Computer als Speicherort für Rechercheergebnisse und das Smartphone als Aufnahmegerät dem klassischen Papier vor. Dennoch kombinieren sowohl junge als auch ältere Investigativ-Journalisten digitale mit traditionellen Methoden, wie ein 27-jähriger Journalist von den Philippinen beschreibt:

Ich denke, es ist nicht ganz getrennt zu sehen, denn traditionelle und digitale Methoden arbeiten wirklich zusammen. Gemeinsam gibt es eine Symbiose. Und dann können wir den traditionellen Ansatz wirklich nicht vom neuen Ansatz trennen, wir müssen immer eine Mischung aus allem nutzen.

Mit digitalen Diensten wie Google oder Excel suchen investigative Journalisten im Internet nach Informationen, finden unterschiedliche Quellen und analysieren die Daten – der erste Schritt, um sich einen Eindruck zu verschaffen sowie Informanten zu identifizieren und zu kontaktieren. Erst danach nutzen sie traditionelle Methoden, wie das persönliche Gespräch oder eine Recherche vor Ort, um einen tieferen Einblick in die Geschichte zu erhalten. Dabei schätzen Investigativ-Journalisten, dass der Kontakt in persönlichen Gesprächen intensiver ist und die Informanten mehr von sich und ihrem Wissen preisgeben: „Wenn das Gespräche nicht aufgenommen wird und wenn er merkt, dass um ihn herum nichts ist, dann öffnet er sein Herz, öffnet seinen Verstand und teilt auch sehr viel geheimere Informationen mit”, erzählt ein 39-jähriger Journalist aus dem Irak.

Die Nutzung digitaler Technologien ist also keine Frage des Alters. Vielmehr verändern sie die Art und Weise, wie Investigativ-Journalisten arbeiten auf eine positive Art und Weise – neue technische Möglichkeiten eröffnen viele neue Wege der Recherche, Analyse, Kommunikation und Verifikation: „Digitale Methoden machen einige Bereiche der Arbeit leichter. Es ist viel einfacher, über Datenbanken auf Informationen zuzugreifen, und sie ermöglichen auch einige Arten von Geschichten, die vorher nicht machbar waren”, sagt ein 62-Jähriger Investigativ-Journalist aus den USA. Doch über alle Generationen von Journalisten hinweg bleiben traditionelle journalistische Methoden, insbesondere die Recherche vor Ort und das persönliche Gespräch, unersetzlich – um den journalistischen Instinkt zu verfeinern und wertvolles Vertrauen zu den Menschen aufzubauen.

 

Die Erkenntnisse basieren auf qualitativen Leitfadeninterviews mit 133 investigativ arbeitenden Journalisten, die auf der elften weltweiten Konferenz für investigativen Journalismus (Global Investigative Journalism Conference) vom 26. bis zum 29. September 2019 in Hamburg durchgeführt wurden. Die Interviews haben im Durchschnitt 15 bis 20 Minuten gedauert. Daneben wurden quantitative Daten wie die Soziodemografie (Alter, Geschlecht und Herkunftsland) sowie Angaben zur Arbeitserfahrung, zum Haupttätigkeitsbereich sowie zum Medium und Ressort der investigativ arbeitenden Journalisten erfasst. 

 

Dieser Beitrag ist in einem Forschungsseminar im Masterstudiengang Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg unter der Leitung von Dr. Jessica Kunert und Prof. Dr. Michael Brüggemann entstanden. Das Seminar greift auf Daten des Forschungsprojekts „Global Investigative Journalism“ (GIJ) zurück, das den Einfluss digitaler Recherche- und Verifikationspraktiken auf den investigativen Journalismus untersucht und sich mit grenzübergreifenden Herausforderungen und „blinden Flecken“ im investigativen Journalismus beschäftigt.

 

Zum Thema auf EJO: Eingeschränkte Sicht durch restriktive Pressefreiheit?

 

Bildquelle: pixabay.de

 

 

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