Luhmann’sche Arbeitsteilung

11. Mai 2015 • Digitales • von

KlicksDer Klick ist die Währung des jungen Online-Journalismus. Er markiert Schnelligkeit und Erfolg. Auch für alte Zeitungen ist der Klick ein Glück. Ihnen hält er den Rücken frei für die Politurarbeiten.

Kürzlich traf ich einen Journalisten aus dem Online-Team des Tages-Anzeigers. Ich fragte ihn, wie ich mir die interne Diskussionskultur vorstellen müsse.

“Wie diskutiert ihr zum Beispiel, welche Themen groß und welche Themen klein abgehandelt werden?”, fragte ich.

„Wir brauchen keine Diskussionen“, sagte er, „wir haben Klicks.“

Tatsächlich hat nichts die publizistische Arbeit derart verändert wie die Klicks. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wissen Journalisten heute, welche Beiträge ihre Leser lesen. Sie wissen, wie lange sie lesen und wie oft sie die Artikel via Twitter und Facebook an andere Leser weiterreichen.

Damit starb die uralte Tradition der Zeitungsredaktion. Die Tradition bestand aus Gestocher im Nebel. Endlos debattierte man etwa über die Frage, ob auf die Frontseite die Regierungsumbildung in Algerien oder der Unfall auf der A1 gehöre.

Der Auslandschef war für die Regierungsumbildung in Algerien. Wenn man ihn nach dem Grund fragte, sagte er: „Algerien interessiert unsere Leser.“

Der Nachrichtenchef war für den Unfall auf der A1. Wenn man ihn nach dem Grund fragte, sagte er: „Unfälle interessieren unsere Leser.“

Weil in der alten Zeitungswelt keiner beweisen konnte, was die Leser wollten, verlagerte sich die Diskussion stets auf die normative Ebene. „Du bist elitär“, höhnte der Nachrichtenchef. „Du machst Boulevard“, höhnte der Auslandschef zurück.

Mittlerweile ist geklärt, was Leser lesen. Die zweithöchste Klickrate auf Tages-Anzeiger Online hatte im letzten Jahr ein Beitrag über einen Unfall auf der A1. Übertroffen wurde sie nur vom Abstimmungsresultat zur Masseneinwanderung.

Klicks sind die Währung des Publikumserfolgs. Es ist eine harte Währung. Die Online-Seiten der Medienhäuser sind weitgehend über Werbung finanziert. Je mehr Klicks heißt umso mehr Geld.

US-Newssites wie Gawker haben darum begonnen, ihre Autoren nach der Anzahl der Klicks zu bezahlen, die ihre Artikel erzielen. Die Autoren schreiben seitdem nicht mehr über Algerien, sondern über Allergien.

Wir wären damit bei Niklas Luhmann und seiner Differenzierungstheorie. In sozialen Systemen, so Luhmann, entstehen immer Teilsysteme, die eine partielle Aufgabe des Gesamtsystems erfüllen. Das Gesamtsystem reüssiert dank dem Mix der Teilfunktionen. Genau das ist in der Medienbranche geschehen.

Das System der Internetinhalte hat die Teilfunktion der Oberflächlichkeit übernommen. Es ist rasant, populistisch und boulevardesk. Im System zählt die Resonanz. Man ist am Publikum orientiert. Artikel mit tiefen Klickraten werden schnell aus dem Angebot entfernt.

Das System der gedruckten Inhalte hat die Teilfunktion der Hintergründigkeit übernommen. Es ist bedächtig, distanziert und differenziert. Im System zählt die Relevanz. Man ist am eigenen Anspruch orientiert. Artikel werden weniger an ihrer Wirkung gemessen.

Durch ihre Online-Outlets sind die Zeitungen nicht mehr unter dem Druck, permanent die Vorlieben des Publikums zu bedienen. Für diesen Opportunismus im Markt sind ihre Geschwister aus dem Online-Departement zuständig.

Die Klickjagd im Internet ist darum auch das Glück der gedruckten Presse. Sie hält ihr den Rücken frei. Die Internetschreiber machen die schnelle und erfolgreiche Schmutzarbeit. Die Zeitungsschreiber im gleichen Haus machen dann die Politur.

Das erklärt, warum Tageszeitungen in den letzten Jahren an Niveau gewonnen haben. Sie sind wieder stärker entbunden von der Jagd nach Einschaltquoten. Klick sei Dank.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 30. April 2015, S. 27

 

Bildquelle: See-ming Lee/flickr.com

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