‚Das ist ja wie Spotify für Journalismus!‘ Aber ist ein solcher Vergleich überhaupt zulässig? Wissenschaftler haben untersucht, wie sehr sich Netflix und Spotify als Referenzmodelle für abonnementbasierte Journalismusplattformen eignen.
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede existieren auf Nutzerseite zwischen den Plattformen Netflix und Spotify und den sieben abonnementbasierten Journalismusplattformen, die es auf dem deutschen Markt gibt? Dieser Frage gehen Prof. Dr. Andreas Will, Jonas Weber (beide Technische Universität Ilmenau) und Jun.-Prof. Dr. Christopher Buschow (Bauhaus-Universität Weimar) in ihrem Beitrag zum DGPuK-Tagungsband Internet-Intermediäre und virtuelle Plattformen medienökonomisch betrachtet nach. Damit werde „eine Wissenslücke in der Medienmanagement-Forschung aufgegriffen“, die das Wissen über Grundstrukturen von Medienplattformen und der „Ausgestaltung von nutzerseitig ansprechenden Medienplattformen“ umfasse.
Anhand einer qualitativen Analyse stellen die Wissenschaftler drei grundlegende Charakteristika von Netflix und Spotify – Preis, Inhaltsbündel und Interface – den Eigenschaften der Journalismusplattformen Read-it, Readly, United Kiosk, Yumpunews, Magzter, PressReader und Kindle Unlimited gegenüber.
Netflix und Spotify funktionieren nach dem Abonnement-Prinzip. Während das von Netflix angebotene Bundle („Inhaltsbündel“) dynamisch ist, was sich darin zeigt, dass das Film- und Serienangebot ständig wechselt, funktioniert Spotify als Musik-Archiv mit einem stetig kumulativ wachsenden Angebot.
Die Basis gibt’s für 10 Euro
Weber, Buschow und Will konnten feststellen, dass sich alle untersuchten Angebote (bis auf eine Ausnahme) „überwiegend in einer ähnlichen Preisspanne bewegen, in der der Preis für das Basisangebot stets nah an 10 Euro liegt“. Laut den Autoren belegt dieser Befund „wenig überraschend, […] wie sich die Journalismusplattformen […] an den etablierten Preisen des Musik- und Bewegtbildmarkts orientieren“. Auffällig ist hier, dass nur Spotify, jedoch keine der Plattformen mit rein journalistischem Inhalt, ein spezielles und günstigeres Abonnement für Studenten anbietet.
Qualitätstitel lassen auf sich warten
Für die Kategorie Bundle galt es zu prüfen, ob sich die Journalismusplattformen inhaltlich eher an der Exklusivität der Plattform Netflix oder an der Vollständigkeit der Plattform Spotify orientieren. Dazu untersuchen die Wissenschaftler, ob die zehn auflagenstärksten Zeitungen und Zeitschriften auf den Plattformen zu finden sind und ob ein „vollständiger Archivzugriff möglich war, wie dies für die meisten Künstler*innen bei Spotify der Fall ist“.
Die Forscher sprechen bei ihren Ergebnissen zu dieser Kategorie von „zwei Pole[n] eines Kontinuums, zwischen denen sich die Journalismusplattformen einordnen“. Das heißt, dass wenige Plattformen exklusive Inhalte anbieten (so wie Netflix), dass aber auch keine Plattformen einen umfassenden Archivzugriff ermöglichen (so wie Spotify). Zudem sei „mit Ausnahme der BILD bei Read-it und Readly keine der zehn auflagenstärksten Tageszeitungen auf den Journalismusplattformen verfügbar.“ Auch Der Spiegel und Stern, die zwei einzigen als Leitmedien zu wertenden Zeitschriften, die in der Studie betrachtet wurden, erscheinen auf keiner der Plattformen – die Boulevardblätter Bild der Frau und Neue Post hingegen erscheinen auf dreien.
Um die ökonomischen Hintergründe dieser Angebotsmuster nachvollziehen zu können, schlagen die Autoren gezielte Folgeuntersuchungen vor.
Kaum Personalisierung möglich
Zur Kategorie Interface konnten die Forscher bei den Journalismusplattformen „eine Art Grundstruktur in Bezug auf die Anordnung der Inhalte“ beobachten, von der sie vermuten, „dass Netflix und Spotify […] als Referenz genutzt wurden“. Jedoch falle auf, dass die Möglichkeit der Personalisierung von Inhalten bei den Journalismusplattformen im Vergleich zu Netflix und Spotify sehr viel kleiner ausfällt: Nutzern sei es nicht möglich, „einzelne Artikel […] aus dem Gesamtverbund des ePaper herauszulösen und zu neuen Magazinen zu rekombinieren“. Auch Werbung werde „überraschenderweise“ nicht personalisiert und obwohl Nutzerdaten nachverfolgt werden könnten (bspw. über den Log-in), seien auf den Journalismusplattformen bloß „digitale Duplikat[e] des Printprodukts“ zu finden. Der Verzicht auf personalisierte Inhalte, so die Autoren, wirke „anachronistisch“. Daraus ließe sich die Vermutung ableiten, dass es Verlagen vor allem um Reichweite geht und weniger darum, den Nutzern primär ein attraktives, auf sie zugeschnittenes Angebot zur Verfügung zu stellen.
Mit Spotify im Hinterkopf schließen die Forscher: „Derzeit bleibt der Eindruck, als würden die Verlage die abonnementbasierten Medienplattformen vor allem nutzen, um ihren Anzeigenmarkt zu stützen und nicht etwa, um völlig neue und anders funktionierende Erlösströme über die Plattformen zu erschließen, wie es etwa die Major-Labels im Musikmarkt getan haben.“
Zukunft ist lokal und personalisiert
Ihrer Regionalzeitung vertrauen zwei Drittel der Deutschen. Das geht aus dem Digital News Report 2021 des Reuters Institute hervor. Aktuelle Daten des BDZV zeigen zudem, worauf es Zeitungslesern in Deutschland ankommt: verlässliche Informationen zu lokalen „Spezialthemen“. Personalisierung müsse als „Booster für Paid-Content“ verstanden werden.
In Zeiten niedriger Zahlungsbereitschaft der Leserschaft bei gleichzeitig hohem Bedarf nach verlässlichen und personalisierten Informationen können Journalismusplattformen ein attraktives Geschäftsmodell für Verlage darstellen. Netflix und Spotify machen vor, wie man auf zwei verschiedenen Wegen durch Bündelung von Inhalten, ansprechende Algorithmen und Möglichkeiten der Personalisierung ein Publikum gewinnen und zufriedenstellen kann. Die Untersuchungen der Wissenschaftler aus Ilmenau und Weimar tragen dazu bei, diese Referenzmodelle für den Journalismus nutzbar und gewinnbringend zu machen. Gleichzeitig zeigen sie: Es gibt Luft nach oben.
Zur Studie:
Weber, J., Buschow, C., & Will, A. (2022). Netflix und Spotify als Blaupause? Ein Vergleich abonnementbasierter Journalismusplattformen mit Spotify und Netflix. In H. Gundlach (Hrsg.), Internet-Intermediäre und virtuelle Plattformen medienökonomisch betrachtet (S. 83-96). Hamburg: Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft e.V. https://doi.org/10.21241/ssoar.78713
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Schlagwörter:Journalismusplattformen, Medienökonomie, Netflix, Paid content, Spotify