Offline sein – eine Freiheit?

20. Oktober 2014 • Digitales • von

Man muss online sein, Mails checken, twittern, surfen, Fotos uploaden, instagrammen, whatsappen, liken, unfrienden, googeln und noch schnell mal die News downloaden und einen Film streamen. Nicht nur am Arbeitsplatz, sondern via Smartphone und Tablet, überall und immer.

Die digitale Kommunikation scheint die metaphysische Eigenschaft in sich zu tragen, dass man sofort reagieren muss. Aufschub scheint Verrat an der digitalen Welt. Wenn man auf eine Mail nicht binnen eines Tages antwortet, entsteht Unruhe, bei Tweets scheint die Zeit noch kürzer.

Das gilt nicht nur für Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Kommunikation verdienen. “Sei erreichbar!” ist vielmehr ein Imperativ für alle, die Teil der Mediengesellschaft sind (oder es sein wollen oder – noch schlimmer – müssen). Ins Positive gewendet, kann dies zu mehr Information und mit Glück zu mehr Wissen führen. Begriffe wie Wissens- und Informationsgesellschaft markieren diese Hoffnungen.

Verschwimmen der Grenzen

Ins Negative gewendet, kann es zum Verschwimmen der Grenzen von Öffentlichkeit und Privatsphäre und von Arbeits- und Lebenswelt führen. Mit den bekannten Gefahren wie Burn-out und dem diffusen Gefühl der Beschleunigung und neuen Risiken wie Nomophobie (die Angst, nicht erreichbar zu sein) und Cybermobbing. Darauf weisen aktuelle Publikationen wie die des Ulmer Psychiaters Manfred Spitzer zur “Digitalen Demenz” nachdrücklich und zumindest in diesem Fall polemisch hin.

Jedoch: Die Medien zwingen niemanden – auch die digitalen nicht. Einem ehemaligen CEO der Telekom Austria zufolge ist der wichtigste Knopf des Handys der Abschaltknopf. Man kann offline sein: Der Kabarettist und Schauspieler Roland Düringer zeigt gerade, wie man damit leben kann – und so, wie es aussieht, gar nicht so schlecht. Medienkompetenz bedeutet wohl nicht nur Kritikfähigkeit den Inhalten gegenüber, sondern auch die Kompetenz, Medien angemessen in die Alltags- und Lebenswelt zu integrieren.

Das meint wohl in diesem Fall auch, sich hin und wieder vom Netz zu nehmen. Nicht immer und überall – aber doch von Zeit zu Zeit. Neue Grenzen einzuziehen, kann in der Informationsflut auch helfen, die Differenz von Quantität zu Qualität zu bestimmen. Und sich selbst dabei nicht ganz aus den Augen zu verlieren.

Bildquelle: Esther Vargas / flickr.com

Der Beitrag ist Teil der Serie „Ein Fall für die Wissenschaft” auf derStandard.at, in der Medienforscher Ergebnisse ihres Fachs präsentieren und die das EJO zweitveröffentlicht.

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