Europäische Nachrichtenredaktionen im Social Web

10. Mai 2022 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Forschung aus 1. Hand, Internationales • von

Welche Fähigkeiten benötigen Journalisten, um ihren Beruf in den sozialen Medien auszuüben? Das Projekt NEWSREEL2 – New Teaching Fields for the Next Generation of Journalists hat führende Journalisten aus verschiedenen europäischen Redaktionen dazu befragt.

Infolge zunehmender Digitalisierungsprozesse und Konvergenzen hat die Popularität der sozialen Medien zugenommen. Nachrichten werden mehr und mehr online konsumiert, oft über soziale Medien, eingebettet in den täglichen Medienkonsum und angepasst an die Bedürfnisse von Nutzern. Diese Verlagerung des Medienkonsums verschiebt die Grenzen des Journalismus. Viele Forscher interpretieren den daraus resultierenden Wandel als boundary work oder sogar boundary struggle (Carlson und Lewis, 2015; Boesman und Costera Meijer, 2018), da es wird für Journalisten immer schwieriger wird, ihre Profession abzugrenzen. Besonders herausfordernd ist diese Abgrenzung da, wo sich die Redaktionen weg von traditionellen journalistischen Plattformen hin zu sozialen Medien bewegen. Die Entwicklung entsprechender journalistischer Fähigkeiten fehlt jedoch noch weitgehend in der Journalistenausbildung.

Um Best Practices und die in diesem Bereich benötigten Fähigkeiten zu vermitteln, haben wir im Rahmen des Projekts NEWSREEL2 – New Teaching Fields for the Next Generation of Journalists führende Journalisten aus Redaktionen in Ungarn, Tschechien, Rumänien, Portugal und Deutschland befragt. Die Interviews konzentrierten sich auf die Nutzung sozialer Medien, einschließlich der Werkzeuge und Strategien, die beim Produzieren von Nachrichten auf Social-Media-Seiten, insbesondere auf Instagram, verwendet werden.

Unterschiedliche Herausforderungen, ähnliche Lösungen

Die befragten Nachrichtenredaktionen sehen sich teilweise unterschiedlichen Herausforderungen gegenübergestellt. Beim Einstieg in die sozialen Medien wählen sie häufig dieselbe Strategie und dieselben Tools, um aber sehr unterschiedliche Ziele zu erreichen. Das Hauptproblem für die traditionellen öffentlich-rechtlichen Medienanstalten in Deutschland war, dass das Durchschnittsalter ihres Publikums hoch ist und sie Schwierigkeiten hatten, junge Publikumsgruppen zu erreichen. Für das aufstrebende, gemeinschaftsbasierte, oppositionelle Nachrichtenportal merce.hu in Ungarn besteht die Herausforderung darin, die Zuschauerreichweite zu erhöhen und in die tägliche Nachrichtenroutine der Leser zu gelangen. Für einen privaten Fernsehsender in Portugal stellt sich vor allem die Frage, wie man Fernsehen und digitale Plattformen effektiv miteinander verbinden kann. Ein vierteljährlich erscheinendes Sachbuchmagazin in Rumänien, das bisher nur in gedruckter Form veröffentlicht wurde, will den Bedürfnissen seines Publikums im Digitalen besser gerecht werden.

Das Hauptziel der Produktion von Social-Media-Inhalten ist in den meisten der untersuchten Fälle gleich oder sehr ähnlich: junge Menschen zu erreichen, die fast ausschließlich in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, und auf diese Weise ein jüngeres Stammpublikum aufzubauen und regelmäßige Besuche auf den verschiedenen Plattformen (TV, Facebook, Instagram usw.) zu erreichen.  Dabei dient Instagram je nach den dort geposteten Inhalten mehreren Zwecken: der Verbreitung von exklusiven Inhalten, der Steigerung des Traffics auf der Website oder der Facebook-Seite des Mediums, wo die Nachrichten primär verbreitet werden, oder der Markenstrategie.

Team und Ressourcen

In allen Redaktionen ist die Koordinierung der Aufgaben und der Verwaltung der Social-Media-Kanäle ein zentrales Thema. In einigen Fällen wird dies durch ein gewisses Maß an Spezialisierung erreicht, in anderen Fällen werden die Inhalte der sozialen Medien von den Journalisten selbst parallel zum Rest ihrer Arbeit erstellt. Die Redaktionen versuchen, ihre Journalisten beim Erstellen von Social-Media-Beiträgen mit einer Vielzahl von Methoden zu unterstützen, darunter Handreichungen und Vorlagen. Diese Vorlagen gewährleisten auch die Konsistenz der Inhalte in Bezug auf den redaktionellen Stil und das Layout, was notwendig ist, da mehrere Journalisten unabhängig voneinander Inhalte für dieselbe Plattform produzieren.

Soziale Medien bieten Chancen

Die befragten Journalisten und Redakteure gaben an, dass jedes Medienunternehmen eine oder mehrere der folgenden Arten von Formaten auf Instagram verwendet: Zusammenfassungen von Artikeln, Rezensionen (Filme, Musik, Bücher), exklusive Geschichten (z. B. Fotoreportagen), IGTV-Videos, Instagram-Takeovers mit Gästen, Umfragen, Zitat-Posts oder Posts, die andere Medieninhalte (Newsletter, Podcast, Video, Artikel) oder eine andere Plattform bewerben.

Jede Redaktion hat dafür ihre eigenen Tools entwickelt. Instagram bietet bestimmte Funktionen, die gewinnbringend für journalistische Zwecke genutzt werden können: Die so genannten Highlights, die Swipe-up-Option oder die Umfrage- und Fragebox in Instagram-Stories ermöglichen es Journalisten, sowohl kurzlebige Inhalte (wie bspw. Stories) zu archivieren als auch Besucher auf eine Website zu leiten oder mit ihren Followern in Kontakt zu treten.

Social-Media-Kenntnisse sind erforderlich

Nach Ansicht der Befragten müssen in der Journalistenausbildung Fähigkeiten vermittelt werden, die Journalisten helfen, in den sozialen Medien sicher und professionell zu arbeiten. Besonders hervorgehoben wurde der Bedarf an Fähigkeiten in den Bereichen der visuellen Bearbeitung, des Social-Media-Managements, der Analyse und der allgemeinen digitalen Kompetenzen. Da die Markenbildung auch eine wichtige Funktion der Social-Media-Auftritte ist, sollten Journalisten auch entsprechenden Techniken in diesem Bereich kennen. Die Nutzung von Social-Networking-Sites für journalistische Zwecke erfordert in jedem Fall kontinuierliches Lernen, Experimentieren und die Fähigkeit, Kennzahlen und das Publikumsverhalten zu analysieren.

Bild: Pixabay

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