Roboter können Journalisten nicht ersetzen

20. September 2018 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Die Liste der möglichen Vorteile, die der Einsatz von künstlicher Intelligenz in Redaktionen bietet, ist lang. Dennoch ist Vorsicht angebracht.

Die Aufdeckung der Panama Papers war eine Aufgabe mit großer Tragweite. In der mehrfach ausgezeichneten internationalen Kollaboration, die von der Süddeutschen Zeitung geleitet wurde, ging es vor allem um Manpower. Mehr als 400 Journalisten verbrachten ein ganzes Jahr damit, Daten zu durchforsten, nach Anomalien zu suchen und Quellen zu checken. Aber hätte es wirklich so mühsam sein müssen?

Einige Journalisten, die große Hoffnungen auf die Entwicklung des „Roboter“-Journalismus setzen, glauben, dass, wenn es eine ausgeklügelte Software gegeben hätte, mehr in kürzerer Zeit hätte gefunden werden können.

Aber ganz so einfach ist es nicht. Zwar wird künstliche Intelligenz neue Möglichkeiten für den Journalismus schaffen, die Weiterentwicklung von automatisierten Journalismus birgt aber auch erhebliche Risiken.

Künstliche Intelligenz: der Retter des Journalismus?

Zweifellos gibt es große Vorteile beim Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in Redaktionen. Kein Wunder also, dass Redaktionen auf der ganzen Welt sie einführen. Eine kürzlich vom Reuters Institute for the Study of Journalism durchgeführte Befragung unter Medienvertretern ergab, dass 69 Prozent von ihnen bereits eine Art KI in ihren Redaktionen einsetzten. Auch das Publikum scheint sie zu akzeptieren. Wie der Digital News Report des Reuters Institute 2017 zeigte, bevorzugten 54 Prozent aller Befragten, dass Algorithmen und keine Menschen für sie relevante Nachrichten auswählten.

Die Liste der möglichen Vorteile ist lang. Erstens wird die KI Journalisten von sich wiederholenden und langweiligen Aufgaben erlösen und ihnen helfen, sich auf wichtigere Aufgaben zu konzentrieren. Zweitens wird künstliche Intelligenz die Journalisten an Leistung übertreffen, vor allem in Bezug auf Volumen und Genauigkeit, wie die automatisierte Erstellung von Ertragsberichten oder Sportergebnissen in einigen Redaktionen bereits zeigt. Drittens werden Roboter in der Lage sein, die Art von hyperlokalem Journalismus zu betreiben, der Interesse beim Publikum weckt, sich aber kein Verlag leisten kann. Viertens hilft der automatisierte Faktencheck, Fehler zu vermeiden und die Verbreitung von Fehlinformationen zu stoppen, was zu mehr Glaubwürdigkeit und Vertrauen führt. Fünftens eröffnet der Datenjournalismus spannende neue Möglichkeiten für Recherchen. „Bei richtiger Anwendung und Analyse kann Big Data Kriege, Streiks, Terroranschläge, Wahlergebnisse und Online-Ausgaben vorhersagen und Journalisten dabei helfen, die Leser im Voraus auf wechselnde Modetrends, Naturkatastrophen, Staus, Ernteertragsschwankungen und vieles mehr hinzuweisen”, schreibt Amir Ruskin in dem aufschlussreichen Buch „Robot Journalism – Can Human Journalism Survive?“, herausgegeben von Noam Lemelshtrish Latar (2018).

Sechstens – als willkommener Nebeneffekt – wird der Umgang mit KI und Daten Journalisten in Fähigkeiten schulen, die auch in anderen Berufen gefragt sind. In einer zunehmend umkämpften Medienlandschaft ist es entscheidend, über Fähigkeiten zu verfügen, die die Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Siebtens können „echte“ Roboter und Drohnen in Kriegsgebieten eingesetzt werden, um dort Daten zu sammeln, wodurch die Risiken für Reporter reduziert und vielleicht sogar Leben gerettet werden können. Darüber hinaus verbessert künstliche Intelligenz die Kundenbeziehungen, indem sie Inhalte personalisiert. Zudem unterstützt sie Journalisten bei der Entdeckung neuer Geschichten und der Verwaltung ihres Materials.

Schöne neue Welt?

Also, wo ist dann der Haken? Sollten wir nicht die Entwicklung von künstlicher Intelligenz in den Redaktionen beschleunigen, wenn sie so viele Vorteile bietet? Nun, nicht so schnell. Lassen Sie uns kurz auf das Beispiel der Panama Papers zurückkommen. Ja, Roboter könnten in der Lage gewesen sein, tiefer in die Daten einzudringen als Menschen. Aber die größte Herausforderung bei den Panama Papers war nicht der Mangel an Informationen. Es war die Entscheidung, was veröffentlicht werden sollte, und vor allem, was nicht veröffentlicht werden sollte.

Zu den größten Kontroversen in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung zur Zeit der Panama Papers gehörte: Veröffentlichen wir zu viel und riskieren, dass die Aufmerksamkeit unseres Publikums verblasst? Und welche Geschichten sind nicht nur interessant, sondern auch politisch und/oder rechtlich relevant? Künstliche Intelligenz kann bei diesen Entscheidungen nicht helfen – bestenfalls kann sie Vorschläge machen. Am Ende sind es die Redakteure, die entscheiden müssen, was sie veröffentlichen wollen, nicht die Algorithmen.

Ein weiteres Problem von KI könnte sein, dass sie (zu) viel über die Leistung von Journalisten verrät. In Zukunft wird es immer einfacher sein, zu vergleichen, wie gut einzelne Journalisten bei den Lesern abschneiden und wieviel sie dementsprechend zum Wert des Medienunternehmens beitragen. Dieser Vergleich kann den Druck in den Redaktionen enorm erhöhen und die redaktionellen Entscheidungen in eine Richtung verändern, die nicht unbedingt dem öffentlichen Interesse dienlich ist.

Ein weiteres, nicht minder schwerwiegendes Problem ist, wie Dritte, insbesondere die Plattformunternehmen, von der Fülle der Daten, die Redaktionen mit Hilfe von KI produzieren, profitieren werden. „Wir füttern ein System, über das wir keine Kontrolle haben“, stellte Zulfikar Abbanhy von der Deutschen Welle kürzlich bei einem von der Europäischen Journalisten Föderation in Lissabon organisierten Workshop zum Thema Roboterjournalismus fest. Ein Aspekt, den man nicht übersehen sollte.

Der Einsatz von KI könnte auch schwerwiegende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt für Journalisten haben. Im Idealfall wird KI Ressourcen freisetzen und Journalisten helfen, sich auf wichtigere Aufgaben zu konzentrieren. Leider kann KI aber auch als Einsparungsmaßnahme eingesetzt werden: Bringt die Roboter rein, werdet die Journalisten los.

Doch selbst wenn dieses Szenario nicht eintritt, kann es negative Folgen haben, Journalisten mit der langweiligen, routinemäßigeren Arbeit zu verschonen. Wie werden sie zum Beispiel ihre Fähigkeiten trainieren, um die detaillierte Berichterstattung leisten zu können, auf die sich angeblich dank KI fokussieren können? Generationen von Journalisten haben ihre Karriere damit begonnen, Nachrichten über Polizeiberichte zu schreiben oder über lokale Veranstaltungen zu berichten. Diese Aufgaben mögen mühsam sein, üben aber Sorgfalt, die für die journalistische Qualität so notwendig ist.

Die zunehmende Automatisierung und Personalisierung durch KI haben einen weiteren potenziellen Nachteil. Wenn die Inhalte zu sehr auf die Interessen des Publikums zugeschnitten werden, könnte wichtige, aber weniger attraktive Berichterstattung leicht vernachlässigt werden. Aber einfach dem Gesetz des Marktes zu erliegen, ist kein Journalismus. Hochwertiger Journalismus bedeutet, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen und die Bürger mit den weniger angenehmen Aspekten des Lebens zu konfrontieren. Journalismus existiert nicht nur, um die Nachfrage der Verbraucher zu befriedigen, sondern auch, um der Demokratie zu dienen. Wenn er durch Personalisierung alles daransetzte, dem Publikum zu gefallen, wäre dies der Tod der journalistischen Freiheit.

Wie Redaktionen KI und Automatisierung integrieren sollten

Was bedeutet das nun für Redaktionen, wenn sie KI im Journalismus einsetzen möchten? Worauf sollten sie bei der Einführung von „Robotern“ achten?

Erstens müssen wir sicherstellen, dass Journalisten und keine Datenwissenschaftler Redaktionen leiten. Während Datenexperten in jede Redaktion gehören und über technische Möglichkeiten informieren sollten, müssen inhaltliche Entscheidungen von Redakteuren und Reportern getroffen werden, die darin geschult sind, die richtigen Fragen zu stellen und relevante Storys zu finden.

Zweitens müssen wir darüber nachdenken, was mit den erzeugten Daten passiert. Abgesehen vom Schutz der Privatsphäre von Quellen und Publikum sollte die Leistung von Journalisten nicht durch künstliche Intelligenz bewertet werden. Manchmal können Storys, die nicht ganz oben auf der Liste der meistgelesenen Beiträge des Tages stehen, dennoch enorme politische und gesellschaftliche Auswirkungen haben.

Drittens sollte Effizienz nicht mit gutem Journalismus verwechselt werden. Selbst wenn Bots die Beiträge produzieren, die die Abozahlen steigern, sollten sie lediglich als Werkzeuge betrachtet werden, die das größere Gut transportieren, für das Journalisten arbeiten.

Und viertens sollte man sich mit dem „Problem des Überflusses“ befassen. Sobald man mehr von allem tut, verliert man die Aufmerksamkeit der Nutzer. Am Ende des Tages haben sie nicht mehr die Energie für das, was wirklich wichtig ist.

Dieser Beitrag erschien auch auf der englischen EJO-Seite: We Can Use Robots But We Still Need Journalists

 

Zum Thema auf EJO:

Roboterjournalismus stellt neue Anforderungen 

Verantwortung im Zeitalter der Automatisierung

 

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