Sachverhalte und Deutungen prüfen

19. März 2018 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Der Check, ob richtig oder falsch, verlangt, endlich in klassischer Recherchetradition neben den Sachverhalten auch die Deutungen zu prüfen. Menschliches Urteilsvermögen lässt sich nicht vollautomatisieren. 

Die Besorgnis über Falschnachrichten, die sich online weit schneller und wirkmächtiger verbreiten lassen als Falschmeldungen und Medienfälschungen in früheren Zeiten, führte zu Gründungen von Faktencheck-Initiativen und zu neuen automatisierten Faktenprüfungs-Techniken; Fakten prüfen ist mehr denn je eine Kernaufgabe von Journalismus. Das Reuters Institut der Universität Oxford veröffentlichte jetzt einen interessanten Überblick über neue Projekte (z.B. Tech & Check Alerts, FactStream, Chequeabot). Die mit Faktenprüfern und Informatikern geführten Interviews ergaben aber klar: Viele Tools sind raffinierter und effektiver als bisherige, helfen Journalisten, schneller zu reagieren und Quellen falscher Informationen aufzuspüren. Doch sie können menschliches Urteilsvermögen und ein Gefühl für Zusammenhänge nicht ersetzen (zum Thema auf EJO: Automatisiert gegen Fake News).

Wir müssen auch begreifen, dass das Falsche nicht nur falsche Sachverhaltsinformationen umfasst, sondern auch falsche mediale Darstellungen und unangemessene Deutungen. Nicht nur Sputnik.de oder Klagemauer.tv informieren irreführend. Eine Studie des Webmagazins Motherboard ergab: Auch mindestens jeder zehnte Facebook-Post von Focus oder Bild enthielt eine Falschinformation. Und wenn sich durch die Digitalisierung alte Gewissheiten über Privatheit oder auch den eigenen sozialen Status auflösen und jene, die ihren sozialen Abstieg befürchten, sich von einem liberalen Weltbild abwenden und Zuflucht im Populismus suchen, unterstreicht dies: „falsch“ oder „richtig“ einzuschätzen, umfasst auch, verschiedene Deutungen und Weltbilder zu betrachten und auf ihre Angemessenheit hin zu prüfen.

Eine Studie der Universität Yale zeigte, dass Menschen dazu neigen, etwas zu glauben, weil es ihnen einigermaßen vertraut ist und weil es ihnen plausibel erscheint, selbst dann, wenn es falsch ist oder wenn sie sogar darauf hingewiesen werden, dass es falsch ist. Anders gesagt: Die Hinwendung vieler zum Falschen spiegelt auch das Versäumnis wider, aktuelle Wahrheiten gemeinsam auszuhandeln.

Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 18. März 2018

Bildquelle: pixabay.com

 

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