Segen oder Fluch?

18. April 2011 • Digitales • von

Mönche twittern ein Morgengebet; ein Abt lädt über Microblog-Dienst zur Wallfahrt ein; Theologen „reden“ per Mail mit Menschen, die nach einem Ausweg aus Lebenskrisen suchen.

Immer mehr Geistliche begnügen sich nicht mehr mit den eher Wenigen, die zu ihnen in die Gottesdienste gehen, sondern begeben sich regelmäßig zu den Vielen im Internet, gewinnen hier „Freunde“ und „Followers“ für Glaubensfragen.

Beobachten wir hier Verzweiflungsakte von Glaubens-Profis, denen die Kundschaft wegbleibt? Verkommt die Religion zum virtuellen Fake, bei dem weder der Absender noch der Adressat wirklich weiß, ob der andere „echt“ ist?

Nein. Soziale Medien sind ein Segen. Für Geistliche, denen Kommunikation ein Anliegen ist, und für Menschen, denen der Zugang ins virtuelle Pfarramt leichter fällt als in ein reales, sind sie ein brauchbarer Kanal.

Kirchenhistorisch gesehen, verbreiten bloggende, twitternde, simselnde, mailende Bischöfe, Äbte, Mönche oder Pfarrer eine Art moderner, elektronischer Briefe, wie sie der Apostel Paulus auf seine Weise vor 2000 Jahren an die Gemeinden richtete. Die christliche Kirche erwuchs aus „communicatio“ und „communio“, aus Vermittlung“ und „Gemeinsinn“ Soziale Medien führen letztlich zurück zu diesen Wurzeln.

Papst Benedikt XVI. animierte Christen wiederholt, Wege der sozialen Netzwerke nutzen, um den Glauben zu verbreiten und durch die Art, wie sie das tun, Zeugnis abzulegen, dass sie denselben Grundsätzen folgen: Sie sollen beitragen, die digitale Welt zu evangelisieren. Der Vatikan setzte mit http://pope2you.net ein Beispiel. Es gibt Bischofsblogs, Projekte wie die virtuelle Kirche St. Bonifatius des Bistums Hildesheim in Funcity (http://www.funcity.de/).

Der elektronische Dialog führt hin zu den anders kaum noch erreichbaren jüngeren Zielgruppen und er ermöglicht der Kirche Chancen, neue „Glaub-Würdigkeit“ zu erhalten. Unter einer Voraussetzung: Sie muss Kritik zulassen, ja dankbar dafür sein, und darf nicht von der elektronischen Kanzel herunterpredigen.

Schlüssel für die neue Gläubigkeit im Internet ist die Lebenshilfe. Die 1995 von einem reformierten Schweizer Pfarrer und einem Internetexperten gegründete, mittlerweile ökumenisch ausgerichtete Seite www.seelsorge.net zählt zu den Pionierplattformen. Befürchtungen, der Computer ersetze die Begegnung, trafen nicht ein; der Internetkontakt war häufig einfach der Anfang.

Die digitale Welt ist keine heile; in ihr gibt es auch profitorientierte Interessengruppen, Gewalt, Falschheit… Vor allem: was in ein soziales Netzwerk hochgeladen wird, bleibt ewig. Kürzlich brachte Apple eine Anwendung auf den Markt, die angeblich erlaubte, via Handy zu beichten. Irgendwem. Rom protestierte, Apple relativierte: Es handle sich nur um eine Beichtvorbereitungs-Anwendung, die Beichte nehme weiterhin ein Priester ab.

Einem sozialen Netzwerk das Beichtgeheimnis zu übertragen: So würde aus dem Segen ein Fluch.

Erstveröffentlichung: Kölner Stadt-Anzeiger vom 13. April 2011

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