Sowohl-als-auch-Kultur statt entweder-oder

17. Januar 2022 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Redaktion & Ökonomie • von

2022 wird vielen Trendreports zufolge auch für Medien ein Jahr, in dem „hybrid“, fließende Grenzen und Prozessdenken wegleitend sind.

Zielgruppen des Journalismus unter die Lupe genommen

Die Schlüsselfrage für Medienhäuser lautet: Wer wird noch nicht hinreichend erreicht?

Arbeiten sowohl im Homeoffice als auch in Meetings im Medienhaus, Berichterstattung sowohl auf Papier als auch auf dem Smartphone, sowohl mehr Eigenverantwortung als auch klare und empathische Führungsstrukturen: Medieninsider betrachten das „Sowohl als auch“ als zentral für ein Medienschaffen der Zukunft.

Die Vorstellung einer „fließende Gesellschaft“ (liquid society), die der Soziologe Zygmunt Bauman beschrieben hat, und damit der ständige Wandel, die andauernde Erneuerung, kann in der Tat helfen, die zunehmenden komplexen Themen der Gegenwart zu erfassen und Journalismusfunktionen entsprechend neu zu gewichten. Die Kuratierfunktion von Medien zum Beispiel: Journalisten und Journalistinnen müssen aus den Fluten von Informationen auswählen, sie aufbereiten und so präsentieren, dass klar wird, weshalb jemand hierin seine Zeit und sein Geld investieren soll.

Daran knüpft auch die Prognose an, dass sich (bezahlpflichtige) Spartenangebote wohl doch eher rechnen dürften, zumal bislang die Paywall-Erfahrungen die Erlöserwartungen vieler Medienhäuser nicht erfüllt haben, viele Menschen also offenbar nicht generell, sondern eher fokussiert zahlungsbereit sind.

Impact wichtiger als Reichweite und Klicks

Hinzu kommt eine wachsende Sensibilität dafür, dass es nicht nur um Reichweite und Klicks, sondern mehr denn je um Impact gehen muss: Journalismus muss mehr denn je seine Aufgabe als Rückgrat demokratischer Gesellschaften erfüllen, und man weiß aus Forschung über Desinformation, dass eine der zentralen Herausforderungen darin liegt, in den Fluten des Falschen aus sozialen Medien das Richtige überhaupt zu finden. Folglich müssen Journalistinnen Fach- und Vermittlungsfähigkeit, ethisches Bewusstsein sowie ein Technikverständnis haben und unbedingt wissen oder lernen, wie sie Produkte entwickeln, die ihre Arbeit sichtbar, erkennbar und bedeutsam machen. Ein Beispiel, das den Blick zudem auf das gesamte Unternehmensangebot erweitert, ist die „Portfolio-Denke“ des Südwestrundfunks.

Die Schlüsselfrage lautet: Wer wird noch nicht hinreichend erreicht? Aus einem Studiendesign wurden sechs Typen gebaut (die Vergnügten, die Dynamischen, die Reflektierten, die Kultivierten, die Genügsamen, die Heimatverbundenen). Ein Team “Plattformstrategie” aus Medienforschung (unter ihnen Konrad Weber, der einen Projektbericht veröffentlichte), Programmschaffenden und Plattformexperten identifizierte weiße Flecke – es gebe kaum Youtube-Formate, die in relevanter Zahl Frauen ansprechen oder junge Menschen mit Migrationshintergrund -, für die nun gezielt Angebote entwickelt werden.

Fallbeispiel:

Konrad Weber: Wie der SWR eine Portfoliodenke etabliert. https://konradweber.ch/2021/12/04/praxisbeispiel-wie-der-swr-eine-portfolio-denke-etabliert/

Trendberichte:

Innovation Media Consulting group. Six highlights from the 2022 Innovation in News Media World Report: Available now: https://innovation.media/insights/six-highlights-from-the-2022-innovation-in-news-media-world-report-available-now

Zukunftsinstitut. In Transition. Wie große Transformationen gelingen. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/wie-transformationen-gelingen/

SZ Innovationsteam. Entwicklungsreport 2021/2022: Was formt die Zukunft des Journalismus? https://sz-innovation.github.io/entwicklungsreport-2021/

Zukunftsinstitut. In Transition. Wie große Transformationen gelingen. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/wie-transformationen-gelingen/

Erstveröffentlichung: tagesspiegel vom 9. Januar 2022

Bildquelle: pixabay.com

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