800 ehrenamtliche Mitarbeiter, Artikel in 30 Sprachen und aus 167 Ländern: Die Plattform Global Voices will Menschen Gehör verschaffen, die in den Mainstream-Medien oft stumm bleiben. Neulich feierte das internationale Netzwerk sein zehnjähriges Jubiläum.
Selbstzensur in Venezuela, das Politikinteresse der Jugend Japans oder ein Protokoll aus einem äthiopischen Gefängnis: 800 freiwillige Autoren, Analytiker, Onlinemedien-Experten und Übersetzer arbeiten für die weltweit arbeitende Bürgermedien-Plattform Global Voices – in einer gänzlich virtuellen Redaktion. Die Brasilianerin Débora Medeiros ist eine dieser Ehrenamtlichen. Seit 2007 zählt die 26-Jährige, die mittlerweile in Berlin lebt und dort im Bereich der Kommunikationswissenschaften promoviert, zum Team. „Ich redigiere die ins Portugiesisch übersetzten Texte meiner Kollegen und veröffentliche sie danach, das ist meine Hauptaufgabe. Ab und zu übersetze ich auch selbst portugiesische Texte ins Deutsche und umgekehrt oder schreibe einen eigenen Artikel“, sagt Débora Medeiros.
Ziel der 2004 von den US-Amerikanern Ethan Zuckerman und Rebecca MacKinnon gegründeten Plattform ist es, vor allem über Länder zu berichten, die in den Mainstream-Medien oft keinen Platz finden. „Wir versuchen, Menschen eine Stimme zu geben, die marginalisiert und unterrepräsentiert sind. Dazu sammeln, prüfen und übersetzen wir Nachrichten und Geschichten, auf die wir in Blogs und sozialen Netzwerken aufmerksam geworden sind“, erklärt Débora Medeiros.
Ergänzung zur klassischen Auslandsberichterstattung
Dadurch ist auch Marcus Michaelsen, der über digitale Medien im Iran promovierte und derzeit an der Universität Amsterdam forscht, auf die Plattform aufmerksam geworden. „Besonders als ich mich intensiver mit iranischen Blogs beschäftigt habe, hat mir Global Voices sehr geholfen. Zum Beispiel beim Zusammenfassen wichtiger Debatten. Und es hat mir Themen aufgezeigt, auf die ich so nicht aufmerksam geworden wäre, weil sie in unserer Presse nicht stattfinden“, so Michaelsen.
Das Netzwerk könne daher helfen, blinde Flecken, die die klassische Auslandsberichterstattung hinterlasse, zu beseitigen. „Natürlich kann Global Voices politische Ereignisse nicht wie ein Korrespondent abgleichen. Aber darum geht es auch gar nicht. Global Voices konzentriert sich eher auf Randthemen“, sagt Michaelsen. Somit sei die partizipative Plattform keine Konkurrenz zum Mainstream-Journalismus, sondern würde diesen gut ergänzen.
Für ihre Artikel arbeiten die Mitarbeiter von Global Voices oft grenzübergreifend zusammen. „Die interessantesten und wichtigsten Geschichten der Welt sind oft nicht nur an einem Ort zu finden, sondern in Bruchstücken im ganzen Internet verteilt“, sagt die Brasilianerin Débora Medeiros. Über Politik und Kultur wird berichtet, über Entwicklungen und Missstände, aber auch über Presse- und Meinungsfreiheit sowie Menschenrechte. Daneben gibt es Projekte und Kampagnen, wie etwa das Advox-Projekt, das digitale Rechte und Freiheiten verteidigen und gegen die Zensur kämpfen will.
Kein Geld von Regierungen
Unabhängigkeit sei der Gemeinschaft dabei besonders wichtig. „Studien belegen, dass zum Beispiel Nachrichtenagenturen oft der Auslandspolitik eines bestimmten Landes folgen und dass diese dann aus einem bestimmten Blickwinkel über Ereignisse berichten“, so Medeiros. Das will Global Voices nicht. „Wir möchten möglichst unabhängig berichten, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Dazu brauchen wir gute, verlässliche Quellen und die überprüfen wir auch immer wieder“, sagt Débora Medeiros.
Diesen Qualitätsanspruch bemerkte auch Marcus Michaelsen, als er 2012 an einem akademischen Workshop im Rahmen der Global-Voices-Jahreskonferenz, dem sogenannten Summit, teilnahm. „Die sehr bunte Gemeinschaft, die keineswegs amerikanisch dominiert ist und die gute Vernetzung untereinander waren bemerkenswert. Und es wurden auch Workshops angeboten, in denen bestimmte Fähigkeiten vermittelt werden. Als ich dort war, ging es um gute Social-Media-Reportagen, also wie man Bilder, Links, Tondokumente zu einer Story zusammenfügt“, erinnert sich Michaelsen. Laut dem Medien- und Kommunikationsexperte sind sich die Macher durchaus bewusst, dass sie eine gewisse Qualität bieten müssen, um überhaupt gelesen zu werden.
Auch in Sachen Finanzierung will sich das Netzwerk seine Unabhängigkeit bewahren. Zwar sei es laut Medeiros schon von Yahoo oder Google unterstützt worden, nie aber in Themenauswahl und ihrer Art der Berichterstattung eingeschränkt worden. Geld von Regierungen lehnt Global Voices dagegen streng ab. Stattdessen finanziert sich die Plattform durch Gelder von Stiftungen, wie dem Berkman Center for Internet & Society der Harvard Universität oder der MacArthur Foundation – und zu einem kleinen Teil auch durch Spenden. „Wir werden aber vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern gelesen. In diesen Ländern ist die Spendenkultur eine ganz andere und nicht so ausgeprägt wie etwa in Deutschland. Oder es fehlt an Zahlungsmethoden wie PayPal. Auch aus diesem Grund suchen wir derzeit nach neuen Möglichkeiten, wie wir Global Voices finanzieren können“, erklärt Medeiros.
Überhaupt ist die Plattform im Wandel. „Wir haben mittlerweile sehr erfahrene Journalisten an Bord, die stark auf die Qualität unserer Texte achten, auf eine gute Überschrift, den Aufbau und die Länge der Texte und auf die Quellen“, sagt Débora Medeiros. Qualitätssicherung sei es hohes Gut. Denn Global Voices habe einen guten Ruf, erreiche 500.000 Zugriffe im Monat und sei besonders bei Akademikern und Journalisten beliebt.
Bildquelle: Daniel Lopez Garcia/flickr.com
Schlagwörter:alternative Stimmen, Auslandsberichterstattung, Entwicklungsländer, Global Voices, transnationale Berichterstattung