Eine Studie aus der Schweiz zeigt, dass einer nachhaltigen Umsetzung der Transparenznorm im Onlinejournalismus noch zahlreiche Hindernisse im Weg stehen.
Die Digitalisierung der News-Produktion hat den redaktionellen Alltag komplett verändert. Dabei ist die Hoffnung, dass der Onlinejournalismus mehr Transparenz gewährleistet und damit unter den Nutzern für ein steigendes Medienvertrauen sorgt, in der Medienwelt immer noch weit verbreitet. In Anbetracht der zunehmenden Bedeutsamkeit der digitalen öffentlichen Kommunikation – und der Diskussion rund um Desinformation und Lügenpresse – gewinnt Transparenz vermehrt an Relevanz. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive wird Transparenz dahingehend verstanden, dass die journalistische Produktion offengelegt wird, sodass sie für die Nutzer nachvollziehbar wird. Die Forderung nach Transparenz steht also unmittelbar im Zusammenhang mit der Rechenschaftspflicht der Journalisten gegenüber den Publika.
Dass mit der Medientransparenz aber nicht nur Chancen, sondern auch Risiken verbunden sind, wird oftmals unterschlagen. So kann im zunehmend kollaborativen und vernetzten Journalismus die Zusammenarbeit mit Whistleblowing-Plattformen oder Aktivisten durchaus zu konkreten Gefahrensituationen führen, nicht nur in Fragen rund um die Privacy. Die hier präsentierte Studie, welche als Masterarbeit am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung IKMZ der Universität Zürich eingereicht wurde, befasst sich mit diesem aktuellen Thema. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass einer nachhaltigen Umsetzung der Transparenznorm im Onlinejournalismus noch zahlreiche Hindernisse im Wege stehen.
Eine vergleichende Perspektive
In der Studie wird der Fragestellung nachgegangen, ob und inwiefern sich die journalistische Tätigkeit in Onlineredaktionen bei ausgewählten Schweizer Medienunternehmen hinsichtlich der Transparenznorm verändert hat. Bis dahin wurde in der Schweiz noch nicht näher untersucht, wie Schweizer Journalisten der Transparenznorm gegenüberstehen, wie sie diese definieren, was sie damit in Verbindung setzen, und wie sie diese konkret umsetzen. Um die genannten Aspekte zu untersuchen, wurden qualitative Leitfadeninterviews mit Chefredaktoren und Journalisten von Medienunternehmen unterschiedlicher Medienmarktsegmente im Zeitraum vom 1. November 2016 bis 5. Mai 2017 durchgeführt.
Das Sample umfasste dabei die Redaktionen von 20 Minuten, Watson, Blick, der Neuen Zürcher Zeitung sowie der Wochenzeitung WOZ. Zudem wurde eine Dokumentenanalyse durchgeführt, welche die Webseiten der untersuchten Newsmedien nach öffentlich zugänglichen Informationen hinsichtlich der vorhandenen Transparenzinstrumente und -praktiken untersuchte. Diese explorative Herangehensweise erlaubte es, die Einstellungen der Journalisten gegenüber der Transparenznorm und deren Einflüsse auf die journalistische Praxis sowie deren praktische Umsetzung breit abgestützt zu untersuchen.
Das Potential bei weitem noch nicht ausgeschöpft
Die befragten Journalisten teilen generell die Ansicht, dass sich Transparenz als journalistische Norm im Alltag etabliert hat. Immer wieder betonen sie die herausragende Bedeutung von Transparenz und wie wichtig es sei, den korrekten Umgang mit Transparenz im journalistischen Alltag zu erlernen und aufzuzeigen. Dieses Verständnis von Transparenz umfasst nicht nur die klassische Offenlegung der verwendeten Quellen, sofern dies mit Blick auf den Quellenschutz möglich ist, oder die Veröffentlichung von Richtlinien zur Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten sowie (Kontakt-)Informationen über den Autor des jeweiligen Beitrages. Auch die so genannte partizipative Transparenz, welche dem Publikum ermöglicht, an der Nachrichtenproduktion teilzunehmen, wird oft erwähnt: Dabei spielen Kommentarspalten eine zentrale Rolle, da sie den Nutzern zumindest erlauben, auf die Beiträge mit Lob oder Kritik zu reagieren.
Bei der Aushandlung der Transparenznorm spielen Redaktionssitzungen als „normative Steuerungsmechanismen“ eine zentrale Rolle, da situativ Handlungsanweisungen für konkrete Probleme erlassen werden. Dadurch entstehen in einem „learning by doing“-Prozess informelle Regeln, die weder kodifiziert noch strukturiert vorliegen, jedoch das Handeln der Journalisten spezifisch determinieren. Allerdings zeigt sich, dass bei der konkreten Implementation von Transparenzinstrumenten noch zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten bestehen: Die technischen Möglichkeiten des Web erlauben nicht nur eine bessere Erreichbarkeit der Journalisten, sondern auch eine stärkere Einbindung der Nutzer in die redaktionellen Produktionsprozesse, die über Nutzerkommentare hinausgehen. Beispielsweise können partizipative Formate wie das Crowdsourcing Nutzer nicht nur reaktiv ansprechen, sondern auch in die eigentliche Nachrichtenproduktion integrieren. Zudem werden hauseigene Ethikkodizes auf den jeweiligen Unternehmenswebseiten höchst selten veröffentlicht.
Außerdem ist das Wissen um die Transparenznorm nicht bei allen Journalisten gleich gut ausgeprägt: Mit Ausnahme eines Journalisten hatten die befragten Medienschaffenden kein klares Bild davon, welche Instrumente auf der Webseite ihres Unternehmens vorhanden sind – obwohl die Dokumentenanalyse eine Vielzahl von vorhandenen Transparenzinstrumenten aufzeigte. Ein Grund dafür dürfte der hohe Zeitdruck bzw. die hohe Arbeitsauslastung sein, welche es den Onlinejournalisten nicht erlaubt, sich während der Inhaltsproduktion ausgiebig mit dem Thema Transparenz zu befassen.
Einig waren sich die befragten Journalisten allerdings bei den Grenzen der Transparenz, beispielsweise wenn es um den Quellenschutz geht: Bei Informanten oder Whistleblowern kann und darf Transparenz nicht hergestellt werden. Recherchen in diesen Fällen offenzulegen würde bedeuten, dass Quellen entweder in Gefahr geraten könnten oder ihnen (straf-)rechtliche Konsequenzen drohen.
Chancen und Risiken
Die Journalisten betonen häufig die Chancen, welche aus der Verwendung von Transparenzinstrumenten resultieren. Dabei erwähnen sie zum Beispiel die gezieltere Einbindung der Leserschaft, welche im Onlinebereich besonders leicht umzusetzen wären. Allerdings stellt die Frage der Ressourcenallokation eine fast unlösbare Herausforderung für die Redaktionen dar. Auf der einen Seite steht die Fülle an Kommentaren, deren Moderation innerhalb der jeweiligen Redaktion mit einem großen Aufwand einhergeht, für den oftmals die Zeit fehlt. Auf der anderen Seite fehlt es an technischem Know-How sowie an finanziellen Ressourcen, um die Medientransparenz vollumfänglich umzusetzen.
Ein weiteres Problem, das direkt mit den mangelnden ökonomischen Ressourcen der Medienunternehmen zusammenhängt und von den Journalisten sehr häufig im Zusammenhang mit der Medientransparenz erwähnt wird, ist das „native advertising“. Diese hybride Werbeform bedient sich dem Layout und der Grafik des redaktionellen Inhalts, um Anzeigen so einzubetten, dass sie nicht mehr als solche erkennbar ist. Kommerzielle Anzeigen werden so als redaktionelle Inhalte getarnt. Die Verlage versuchen dadurch, die Reaktanz, also die Abwehrhaltung der Nutzer gegenüber der Werbung, zu umgehen. Einige Medienunternehmen wie Buzzfeed oder Watson haben diese Werbeform sogar zu ihrem Geschäftsmodell gemacht. Die Transparenz bleibt dabei allerdings auf der Strecke. Die Interviews zeigten, dass sich die befragten Journalisten in diesem Zusammenhang für eine klar erkennbare Kennzeichnung der Werbung aussprachen.
Zukünftige Verbesserungsmöglichkeiten
In der Schweiz genießt der Presserat generell ein hohes Ansehen, was auch in den Leitfadeninterviews festgestellt werden konnte. Allerdings betonten die Journalisten, dass die Diskussion über aktuelle Probleme oder Presseratsentscheidungen zukünftig noch stärker gefördert und in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden sollte. So hat sich der Schweizer Presserat zum Beispiel erst 2015 im Zuge einer Beschwerde mit dem Thema „native advertising“ auseinandergesetzt. Zwar hat der Presserat in der Folge seine Richtlinien angepasst, es wäre allerdings wünschenswert, dass solche Probleme früher aufgegriffen und öffentlichkeitswirksam anhand von Fallbeispielen erklärt und diskutiert werden würden.
Gleiches gilt für die Journalistenausbildung: Wesentliche Begriffe wie Transparenz, Rechenschaftspflicht und journalistische Ethik sollten gerade in Zeiten „alternativer Fakten“ ausführlicher behandelt werden. Die mangelnde Kenntnis solcher Termini wird – wie in der vorliegenden Untersuchung aufgezeigt wurde – gerade im Onlinejournalismus mit dem hohen Workload und dem Zeitmangel innerhalb der Redaktion begründet. Deshalb sollten sich die Medienunternehmer bei der Anstellung von Journalisten vermehrt auf redaktionelle Richtlinien fokussieren, welche exemplarisch in deren Arbeitsverträgen festgehalten werden.
Letztlich weisen die Studienbefunde darauf hin, dass konkrete Handlungsanweisungen für die jeweiligen Journalisten notwendig sind, um die Potentiale von Transparenzinstrumenten aufzuzeigen. Allerdings sind diese bei weitem nicht allen Journalisten bekannt, weshalb es notwendig ist, diese aktiv in Redaktionssitzungen zu diskutieren, um sie so innerhalb der Redaktionen zu etablieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich Transparenz als ethische Norm tatsächlich durchsetzt.
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