Auf der Suche nach einem neuen Journalismus
Die Informationen will man haben. Aber wie ist es mit der Zahlungsbereitschaft? Am kalifornischen Sitz von Yahoo trafen sich 150 Fachleute, um über die Zukunft des Journalismus nachzudenken.
Kann man das? Eine internationale Konferenz zur Zukunft des Journalismus so organisieren, wie sich die Veranstalter diese Zukunft wünschen und vorstellen mögen: vernetzt, interaktiv und basisorientiert? Statt eine Veranstaltung mit den üblichen Hauptreden und Podien, auf denen sich immer dieselben Experten im medialen Zirkus tummeln, zu organisieren, haben die Initiatoren von «Journalism that matters» einfach 150 Profis in Kaliforniens Silicon Valley eingeladen, die etwas von Journalismus und Journalistenausbildung oder von Medientechnik und virtuellen Gemeinschaften verstehen – und die obendrein bereit waren, vier Tage Zeit und eine beträchtliche Tagungsgebühr zu investieren.
Die Veranstalter haben auf das Prinzip der Selbstorganisation vertraut. Diejenigen, die voneinander lernen wollen, werden sich finden, und wer kommt, hat auch etwas zu sagen – ein Marktplatz der Ideen. Das Konzept hat, so sagt es Chris Peck, der Mitorganisator und Chefredaktor des «Commercial Appeal» in Memphis, VIPs angelockt – Visionäre, Innovatoren und «Possibility-seekers».
Mit Bedacht und Sinn für Ironie wurde der Ort des Geschehens ausgewählt. Man traf sich im Bauch des Ungeheuers Yahoo in Sunnyvale – jenes Internet-Giganten, den sich Microsoft einverleiben wollte. Das «Biest» war ein freundlicher Gastgeber. Anlocken liessen sich weit mehr Bewohner des Cyberspace, denen Yahoo den Himmel auf Erden verheisst, als Vertreter jener alten Medienindustrie, die der Koloss zu verschlingen droht, weil er in deren angestammter Domäne Anzeigen und Inhalte absaugt.
Die persönliche Zeitung
Ergebnisse zusammenfassen zu wollen, kann unter den gegebenen Umständen kaum gelingen. Aus Dutzenden Initiativen seien exemplarisch zwei Projekte hervorgehoben, die Energien bündeln: Das «Daily me», von dem in den letzten Jahren immer wieder die Rede war – eine virtuelle Zeitung, die sich nach den Bedürfnissen des Nutzers aus 2000 Online-Angeboten komponieren lässt –, ist jetzt in einem erfolgversprechenden Probestadium (www.dailyme.com). Auch der Versuch, Qualitätsunterschiede im Journalismus vom interessierten Publikum bewerten zu lassen und sie somit transparenter zu machen, ist so weit gediehen, dass es lohnt, die zugehörige Website anzuklicken (www.newstrust.net).
Das Bemerkenswerte bleiben jedoch Vorgehensweise und Stimmungen. Das Networking funktioniert – jedenfalls sind aus den bisherigen Treffen durch Vernetzung im Schneeballsystem neue Projekte entstanden. Vermutlich hat keiner die Konferenz verlassen, ohne etwas dazugelernt zu haben.
Sehnsucht nach Gemeinwohl
Erkennbar wurde erneut, wie tief gespalten Amerika derzeit ist, wobei die Jüngeren den etablierten, kommerziellen Medien mit grosser Skepsis begegnen. Es gibt eine grosse Sehnsucht, sich in virtuellen Gemeinschaften, aber auch im öffentlichen Interesse zu engagieren – wobei allerdings merkwürdig vage blieb, worin dieses immer wieder beschworene öffentliche Interesse eigentlich besteht. Die meisten Teilnehmer reklamierten den «Dienst an der Demokratie» umstands- und gedankenlos fürs jeweils eigene Projekt, das sie schon deshalb für gemeinnützig halten, weil sich kein Geld damit verdienen lässt.
Das andere Schlagwort, das durch die Konferenz geisterte, war «monetizing». Fieberhaft wird nach neuen Geschäftsmodellen für den Journalismus im Internet gesucht. Als in der Eröffnungsrunde gefragt wurde, wer schon einmal ein Projekt in den Sand gesetzt habe, erhob etwa jeder zweite seine Hand. Man schämt sich nicht, sondern lernt aus dem Scheitern und probiert es noch einmal. Dan Gillmor, der Guru des Grassroots-Journalismus, der sich inzwischen an der Arizona State University um Unternehmertum für digitale Medien kümmert, bringt es so auf den Punkt: «Es hat nie eine bessere Zeit gegeben, seinen eigenen Job zu erfinden. Die Kosten, im Internet zu experimentieren, sind nahe null.»
Spannend auch, dass von Micropayments so gut wie nicht mehr die Rede war. Man träumt einerseits von einem besseren Journalismus und spürt immerhin, wie wenig man in Amerika im Fernsehen und auch in den Zeitungen davon erfährt, was jenseits des eigenen Kirchturms passiert. Man verwehrt sich aber der Einsicht, dass Qualitätsjournalismus den Konsumenten Geld kosten könnte. Eine Teilnehmerin sagte es rundheraus: Sie sei von Kindheit an mit Gratisinformation im Internet aufgewachsen; sie könne sich «nicht mehr vorstellen, dafür etwas zu bezahlen».
Die Tagung liess einmal mehr die Gefahrenzone erahnen, auf die wir uns rasend schnell zubewegen: eine «Demokratie» fröhlich-uninformierter Erdenbürger, die angesichts des Übermasses an (Des-)Informationsangeboten ihre «rationale Ignoranz» ausleben. Noch mehr Soundbites und Videos, noch mehr Texte in SMS-Länge, die auch Analphabeten zu deuten wissen. Alles interaktiv – jeder quatscht mit jedem, jeder ist Journalist und/oder Experte. Ist das noch Journalismus? Vermutlich brauchen wir mehr denn je Navigatoren, die uns in der Informationsflut Orientierung verschaffen – aber wir werden begreifen müssen, dass die Werbebranche sie nicht mehr so generös wie bisher querfinanziert.
Grundrauschen am Besinnungsort
Zu den Veranstaltern zählen drei Medienexperten, die sich als Privatleute für das Forum bürgerschaftlich engagieren, sowie mediagiraffe.com – ein weiteres bemerkenswertes Projekt, das im Internet diejenigen vernetzt, die im Journalismus nach neuen Wegen suchen. Die Tagung war fast schon mit jenem Lernmarkt vergleichbar, mit dem der Jesuitenpater und Philosoph Ivan Illich in den siebziger Jahren Prominente aus aller Welt zu seinen Sommerschulen nach Mexiko ins entlegene Cuernavaca lockte. Damals war man allerdings in der idyllischen Enklave unter sich. Diesmal war das mediale Grundrauschen allgegenwärtig. Kaum ein Teilnehmer, der während der Tagung nicht zeitweise dank Blackberries und Laptops, WiFi und Skype anwesend abwesend war; und alles wurde von Kameras aufgezeichnet und direkt ins Netz gestellt. Um Shakespeare zu variieren: Viel Lärm – aber wenigstens nicht um nichts.
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