Vernetzung als Problem: Social Media in der Politik

16. Dezember 2014 • Digitales • von

Politiker und politische Parteien interessieren sich sehr dafür, das Internet und speziell soziale Netzwerke für ihre Kommunikation einzusetzen. Obwohl bislang unklar bleibt, wie viele zusätzliche Stimmen sich über Facebook, Twitter & Co gewinnen lassen, bieten diese Anwendungen ein großes Potential für Dialog, Image-Management und die gezielte Ansprache von potentiellen Wählern. Vor diesem Hintergrund scheint es zunächst überraschend, dass sich politische Akteure im Umgang mit Social Media so schwer tun. Empirische Studien belegen, dass Social Media, wenn überhaupt, zumeist als weiterer Kanal für einseitige Information eingesetzt werden. Dagegen findet kaum wirkliche Interaktion mit den Bürgern statt und ein großer Teil ihres Potentials bleibt ungenutzt.

Allerdings unterscheidet sich nun die Logik vernetzter Medien (oder: network media logic) ganz wesentlich von der Logik der traditionellen Massenmedien. Dies betrifft die Produktion von Inhalten, die Verbreitung von Informationen sowie die Art der Mediennutzung. Obwohl sich die Logik der Massenmedien und die Logik vernetzter Medien oftmals überlappen, sind sie grundverschieden. Daher werden politische Akteure lernen müssen, beide Logiken zu bespielen, wenn sie auch online erfolgreich kommunizieren wollen.

Soziale Netzwerke haben die Art und Weise, wie Informationen und Nachrichten entstehen, grundlegend verändert. Am deutlichsten wird dies auf der Akteursebene, durch das Verschmelzen der Rollen von Informations-Produzenten und Informations-Konsumenten. Der größte Teil der Inhalte in sozialen Netzwerken stammt von Amateuren, die möglicherweise über authentisches Wissen und Informationen verfügen, jedoch nicht über entsprechende Expertise und Ressourcen. Produktion bezieht sich auch auf die unterschiedlichen Stile oder Techniken des storytellings, die in Massenmedien und sozialen Netzwerken Anwendung finden. Es ist empirisch gut belegt, dass Journalisten ihre Auswahl von nachrichtentauglichen Informationen anhand ähnlicher Kriterien vornehmen. Ganz anders ist dies in sozialen Netzwerken. Dort ist die Auswahl maßgeblich geleitet von den persönlichen Interessen der Autoren, von Überlegungen, wie sie von anderen wahrgenommen werden wollen und dem Ziel, maximale Sichtbarkeit zu erreichen. Dies führt dazu, dass sich die Informationen, die sich in sozialen Netzwerken verbreiten, deutlich von den Inhalten und Themen in traditionellen Massenmedien und auf journalistisch produzierten Nachrichten-Websites unterscheiden. Soziale Netzwerke ermöglichen vor allem unmittelbare, horizontal vernetzte, interaktive und stark personalisierte Kommunikation.

Soziale Netzwerke haben zweitens auch die Art, wie sich Informationen verbreiten, verändert. Es gibt Gründe, warum das Internet voll ist mit Katzenvideos und „food porn”. Die Verbreitung in sozialen Netzwerken basiert auf Viralität, verstanden als „network-enhanced word of mouth”. Traditionelle Massenmedien kennen ihr Publikum üblicherweise sehr genau und wissen, dass ihre Publikationen eine bestimmte Anzahl an Abonnenten, Hörern oder Lesern erreichen wird. Auch dies verhält sich ganz anders in sozialen Netzwerken: Dort müssen Publikationen ihre Rezipienten erst finden, die diese dann möglicherweise über ihre Netzwerke an Freunde und Gleichgesinnte weiter verbreiten. In diesem Sinne gibt es in sozialen Netzwerken kein „Publikum”. Daher gestaltet sich die Verteilung von Inhalten in sozialen Netzwerken asymmetrisch. Nur ein sehr kleiner Anteil von Postings wird überhaupt wahrgenommen, das meiste bleibt ungesehen. Viralität ist eng verbunden mit Popularität, in dem Sinne, dass soziale Netzwerke die Dominanz populärer Inhalte verstärken. Daraus resultiert ein starker Zusammenhang von Emotionalität und Viralität. Nutzer sozialer Netzwerke teilen eher emotionale und positiv besetzte Inhalte miteinander, während Journalisten bevorzugt über negative Inhalte berichten. Vor diesem Hintergrund wäre es eine sinnvolle Kommunikationsstrategie, Angenehmes in sozialen Netzwerken zu teilen („sweet talk“) und schlechte Nachrichten über Massenmedien in die Öffentlichkeit zu tragen.

Soziale Netzwerke ermöglichen drittens einen hohen Grad selektiver Zuwendung und führen zu fragmentierten Rezipientenstrukturen. Dadurch entsteht eine andere Logik der Mediennutzung. Während sich traditionelle Medien an ein Massenpublikum richten, kann über soziale Netzwerke zwar eine hohe Zahl selbst-selektierter Nutzer erreicht werden, jedoch nicht eine breite Öffentlichkeit. Nutzer müssen sich heutzutage in einem Überfluss an Informationen zurecht finden – daher ist das Teilen von Informationen und Hinweise von Kontakten im eigenen Netzwerk so bedeutsam. Wenn wir unsere Freunde und Kontakte bei Facebook und anderen Plattformen auswählen, schneidern wir gleichzeitig daran, welche Informationen wir künftig bekommen werden – und welche nicht. In anderen Worten: Nutzer konstruieren und organisieren ihre soziale Realität durch ihre Netzwerke. Dies wurde wissenschaftlich bereits diskutiert und schlägt den Bogen zu früheren Studien über persönlichen Einfluss und Herdenverhalten. Ökonomen haben gezeigt, dass Konsumenten den Entscheidungen und Empfehlungen von Anderen folgen, selbst wenn sie selbst über bessere und gegenteilige Informationen verfügen. Dieses Verhalten unterscheidet sich signifikant davon, Informationen zu konsumieren und soziale Realität auf Basis der Empfehlungen professioneller Experten entstehen zu lassen. Zudem verdeutlicht diese Dynamik die Macht des Populären in sozialen Netzwerken.

Die Logik vernetzter Medien ersetzt nicht die Logik traditioneller Massenmedien. Soziale Netzwerke funktionieren einfach nach anderen Spielregeln. Das bedeutet aber keineswegs, dass Massenmedien nun obsolet wären oder nur noch eine marginale Rolle spielten. Die Mehrheit relevanter Informationen wird nach wie vor journalistisch hergestellt, über Massenmedien verbreitet und von Individuen mit routinisierten Mediengewohnheiten genutzt. In der Realität überlappen sich die Logik vernetzter Medien und die massenmediale Logik: Häufig sind die Inhalte in sozialen Netzwerken nicht nutzergeneriert, sondern verlinken und kommentieren Inhalte aus den journalistischen Massenmedien. Traditionelle Medien versuchen sich ihrerseits an viraler Distribution als Basis für neue Geschäftsmodelle. Die Grenzen zwischen Journalisten und Nicht-Journalisten verschwimmen zusehends, während Journalisten auch Tweets und Blogeinträge ausserhalb ihrer Arbeitszeit und ihres beruflichen Kontexts schreiben. Jüngere Leute schauen sich Fernsehprogramme zunehmend im Internet an und Medienorganisationen setzen vernetzte Videoplattformen ein, um Inhalte zu bewerben und zu verbreiten.

Für Politiker und Parteien ist die Herausbildung der Logik vernetzter Medien eine große Herausforderung. Um maximale Wahrnehmung zu erreichen, müssen Politiker so viele Verbindungen und Beziehungen wie möglich aufbauen und unterhalten. Es reicht nicht aus, ein Profil z.B. bei Facebook zu erstellen. Sie müssen auch möglichst viele andere Nutzer als „Freunde“ gewinnen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Mit vielen anderen verbunden zu sein ist wichtig, denn es signalisiert Popularität. Für politische Akteure bedeutet dies, dass Kommunikationsstrategien in sozialen Netzwerken anders aussehen müssen als jene, die auf traditionelle Massenmedien gerichtet sind.

Politische Kommunikation verändert sich durch soziale Netzwerke. Das bedeutet aber nicht, dass diese besser oder demokratischer wären als traditionelle Massenmedien. Sie unterscheiden sich nur grundlegend in ihren Formaten und ihrer Logik.

Der Beitrag basiert auf Klinger, U., & Svensson, J. (2014). The emergence of network media logic in political communication: A theoretical approach. New Media & Society, doi: 1461444814522952.

Bildquelle: mkhmarketing/flickr.com

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