Wandelt euch oder Ihr werdet bedeutungslos

5. Dezember 2017 • Digitales, Redaktion & Ökonomie • von

Sie gehört zu den dringendsten Fragen des modernen Journalismus: Wie können Traditionsmedien den digitalen Wandel erfolgreich meistern und in einer vom Internet und den sozialen Medien dominierten Welt überleben?

Das Bedürfnis nach Antworten ist so groß, dass das Web voll ist von Essays, „10 Tipps für Ihr Unternehmen“-Artikeln und TED-Talks, die genau dieser Frage nachgehen. Was diesen Beiträgen jedoch oft fehlt, ist ein solides empirisches Fundament, mit der luftige Versprechen und Prophezeiungen ausreichend belegt werden.

Lucy Küng

Ein neue Studie von Lucy Küng, Senior Visiting Fellow am Reuters Institute for the Study of Journalism und Professorin für Strategie und Innovation in Medienorganisationen, versucht jetzt genau diese Lücke zu schließen.

Basierend auf umfangreichen Recherchen und über 60 Interviews in mehr als zwanzig Organisationen, – darunter die Washington Post, Vox, Vice, die Financial Times, The Economist, Axel Springer, Schibsted, die New York Times und Le Monde, – geht Küng der Frage nach, wie Medienunternehmen handeln können und sollten, um in einer immer schwierigeren digitalen Umgebung zu bestehen.

„Traditionsmedien sterben nicht; sie rutschen in der Nahrungskette ab“

Der vielleicht überraschendste Befund in Küngs Studie ist, dass die Struktur des neuen Medienökosystems längst gefestigt ist, womit sie der gängigen Behauptung widerspricht, dass wir uns immer noch mitten in der digitalen Revolution befinden.

Besonders für ältere Medienorganisationen stellt dies laut der Wissenschaftlerin eine große Herausforderung dar: „Das Hauptrisiko“, schreibt sie in ihrem Bericht, „ist nicht das Aussterben, sondern eine allmähliche Erosion: von Marktanteilen, von Einnahmen, von Einfluss und Relevanz. Traditionsmedien sterben nicht; sie rutschen in der Nahrungskette ab.“

Küng warnt, dass der schwerwiegendste Fehler unter diesen Umständen darin bestehe, sich nur auf Inhalte zu konzentrieren, anstatt sich für einen ganzheitlichen Ansatz zu entscheiden. „Verständlicherweise setzten Medienhäuser zuerst bei den Inhalten an […]. Dabei ist es mindestens genauso wichtig, dass sie ihr Unternehmen transformieren. Dies ist der einzige Weg zur Nachhaltigkeit.“ Für diejenigen, die es vorziehen, diesem Ratschlag keine Beachtung zu schenken, hat Küng eine deutliche Warnung parat: „Wer dies versäumt“, schreibt sie, „[…] setzt sich dem Risiko aus, im digitalen Medienmarkt an Bedeutung zu verlieren.“ Ein düsterer Ausblick für viele.

Wie bereitet man sich auf die digitale Transformation vor?

Doch nicht alle Hoffnung ist verloren. Laut Küng können Traditionsmedien den digitalen Wandel meistern, solange sie mit der richtigen Strategie vorgehen. Die, so die Autorin, bestehe im Wesentlichen aus fünf Elementen:

  1. einem klar definierten langfristigem Ziel (analog zur journalistischen Mission)
  2. einem klaren Geschäftsmodell
  3. rigorosen Richtlinien für den Umgang mit technischen Innovationen und „Gimmicks“ wie „Virtual Reality“
  4. einem „zentralen Nervensystem“, das Technologie und Daten kombiniert
  5. der Bereitschaft und Fähigkeit, wenig lukrative Geschäftsfelder konsequent abzustoßen

In verschiedenen Kapiteln ihrer Studie erläutert Küng dann im Detail, wie diese allgemeinen Richtlinien für spezifischere Bereiche und Themen gelten.

  • Neue Tools und Produkte: Virtuelle Realität, das Internet der Dinge, Assistenten wie Amazons „Alexa“ – all diese Entwicklungen werden von Journalisten und Medienhäusern genau beobachtet. Viele fragen sich, wie sie im Journalismus eingesetzt werden könnten. Küng warnt jedoch davor, sich von diesen Innovationen allzu schnell verführen oder blenden zu lassen. Neue Entwicklungen sollten mit den strategischen Zielen und dem Geschäftsmodell abgeglichen werden und nur eingesetzt werden, wenn sie zu diesen passen.
  • Unternehmenswandel und Flexibilität: Küng räumt ein, dass dies besonders für Traditionsmedien ein schwieriges Thema sei. Dennoch rät sie, „eine Kultur fortwährenden Wandels zu fördern, multidisziplinäre Teams einzusetzen und technische Systeme und Prozesse so zu gestalten, dass die Flexibilität des Unternehmens maximiert wird“.
  • Personalentscheidungen: Küng empfiehlt, dass die Rekrutierung von Top-Talenten oberste Priorität zu sein habe. Gleichzeitig müsse kontinuierliche Weiterbildung auf allen Ebenen des Unternehmens zur Norm zu werden. Laut Küng verkürzt dies Innovationszyklen und setzt Impulse für den erfolgreichen Wandel.
  • Redaktionen und Projekte: Tech-Experten in die Redaktion einzubinden und die Zusammenarbeit an neuen Produkten zu fördern, sei ein einfacher Weg, um den Übergang schrittweise anzugehen, so Küng.

Am wichtigsten für den erfolgreichen Wandel, so Küng, sei jedoch die Bereitschaft, einen radikalen Kulturwandel innerhalb der Organisation durchzusetzen. Küng argumentiert überzeugend, dass dies am besten dadurch erreicht werde, dass die Führungsebene ihre Vorstellungen klar und eindeutig kommuniziere. Mindestens genauso wichtig sei es jedoch, sich mit „der Geschwindigkeit des Wandels außerhalb der eigenen Blase“ konstant auseinanderzusetzen.

Der vollständige Bericht „Going Digital. A Roadmap for Organisational Transformation“ wurde vom Reuters Institute for the Study of Journalism an der Universität Oxford veröffentlicht und ist hier einsehbar.

 

Bildquelle: Wikimedia, Shashi Bellamkonda, Matt Brown. CC BY 2.0

 

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