Was US-Journalisten über Wikileaks denken

23. Januar 2014 • Digitales • von

In den USA wird seit Monaten über die Einführung von „Shield Laws“ –Schutzgesetze für Journalisten und ihre Informanten – auf Bundesebene diskutiert. Bislang gibt es solche Schutzgesetze nur in den Bundesstaaten. Vor den höchsten US-Gerichten auf Bundesebene zählt die Verweigerung von Auskünften als Behinderung der Justiz, was Gefängnisstrafen nach sich ziehen kann.

Die Debatte, die durch den NSA-Skandal ins Rollen kam, wirft auch die Frage auf, wer überhaupt als Journalist betrachtet werden kann. Sollte auch Wikileaks-Gründer Julian Assange, dem seit Mitte 2012 die ecuadorianische Botschaft in London Asyl gewährt, von solch einem Gesetz geschützt werden?

Die US-Regierung bezog von Anfang an die klare Position, Julian Assange sei kein Journalist und genieße somit nicht die mit diesem Berufsstand verbundenen Privilegien. Auch die US-amerikanischen Journalisten sind Julian Assange und seiner Enthüllungsplattform gegenüber sehr negativ eingestellt, wie die beiden Kommunikationswissenschaftler Elizabeth Blanks Hindman (Washington State University) und Ryan J. Thomas (University of Missouri-Columbia) in einer Studie feststellten.

Sie untersuchten 83 Leitartikel über die Wikileaks-Affäre, die in amerikanischen Zeitungen zwischen dem 28. November und 28. Dezember 2010 veröffentlicht wurden, wobei sie ihre Systematik bei der Auswahl nicht offenlegten.  

Die meisten der von ihnen analysierten Leitartikel schlugen einen sehr kritischen Ton gegenüber der Enthüllungsplattform Wikileaks an und distanzierten sich von ihr; sie betonten ihren „Mangel an Diskretion“ und bezeichneten den traditionellen Journalismus als „einzigen und legitimierten Vertreter des öffentlichen Interesses“. Die Autoren pochten generell sehr auf die Unterschiede zwischen alten und neuen Medien.

So schrieb die Baltimore Sun 2010, dass Zeitungen „mit genau der Diskretion und Reife auf die Aktionen von Wikileaks antworten mussten, die der Gruppe fehlten“. In einem Leitartikel der Daily News hieß es, dass Julian Assange kein Journalist sei, sondern „ein anti-amerikanischer Krimineller, dessen Waffen zufällig Informationen sind.“

Viele Leitartikel differenzierten in ihrer Berichterstattung zwischen Wikileaks und seinen auserwählten Medienpartnern The Guardian, The New York Times und Der Spiegel, die die Wikileaks-Dokumente veröffentlichten. So schrieb The Charlotte Observer: „Die New York Times kam in den Besitz dieser geheimen Informationen. Zu diesem Zeitpunkt hätte sie die Informationen noch ignorieren können, Wikileaks hätte sie aber trotzdem weltweit publik gemacht. […] Die Alternative war, einige Informationen bereitzustellen, mit Kontext zu versehen und zu analysieren, und die Informationen, von denen sie glaubten, sie würden die nationale Sicherheit gefährden, zurückzuhalten. Das ist, was die Times getan hat“.

Die Journalisten offenbarten in einer überraschend großen Anzahl von Artikeln die Ansicht, dass nationale Sicherheit wichtiger sei als der Informationsanspruch der Bevölkerung und deshalb bestimmte Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten.

The Oklahoman schrieb, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange es „klar darauf anlegt, die Glaubwürdigkeit der USA, wenn nicht gar ihre Macht, zu beschädigen“. Es gab aber auch einige Pro-Wikileaks-Stimmen. So betonte die St. Petersburg Times, wie wichtig es sei, dass Informationen frei zirkulieren könnten und schrieb, dass „mehr und nicht weniger Informationen gebraucht werden“.

Hindman und Thomas analysierten auch, inwiefern die Journalisten in ihren Leitartikeln die Wikileaks-Affäre mit der Veröffentlichung der Pentagon-Papiere 1971 verglichen. Demnach sahen die amerikanischen Journalisten große Unterschiede zwischen beiden Fällen. Die Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienst-Analysten Daniel Ellsberg über den Vietnamkrieg wurden generell als heldenhafte Tat angesehen, die Wikileaks-Veröffentlichungen dagegen nicht. Im Gegenteil: Die Wikileaks-Mitarbeiter würden den Konsequenzen ihrer Taten keine Beachtung schenken, hieß es in vielen analysierten Zeitungsbeiträgen, einige Journalisten bezeichneten sie als  „rücksichtslos“.

Laut der Ergebnisse von Hindman und Thomas waren die meisten Journalisten der Ansicht, dass Wikileaks „nicht das Recht hatte, sich in eine Reihe mit der Veröffentlichung der Pentagon-Papiere zu setzen und entsprechend zu agieren“. Der Hauptgrund für diese Sichtweise könnte darin liegen, dass die Zeitungen die Veröffentlichung von Ellsbergs Enthüllungen als etwas definierten, was sie – die Zeitungen – taten.

Denn die New York Times entschied im Juni 1971 ohne die Erlaubnis oder gar die implizite Bitte Ellsbergs, ihr zugängliche Dokumente zu veröffentlichen. Es war also eine bewusste Entscheidung der Journalisten selbst, die verfügbaren Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen. Wikileaks hingegen agierte als Newcomer in der Medienlandschaft zunächst selbstständig und wandte sich erst später für Unterstützung an die Journalisten, deren Verdienst es war, die Informationen verständlich zusammenzutragen und in Kontext zu setzen. Julian  Assange hatte aber zuvor bereits auf die bloße Kraft der Veröffentlichung und der Schwarmintelligenz gesetzt. Vielleicht war es der Umstand, dass sie ihrer Gatekeeper-Funktion enthoben wurden, der einige Journalisten so brüskierte.

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels

Original-Artikel auf Englisch: WikiLeaks, Through Journalists’ Eyes

Bildquelle: Wikileaks Mobile Information Collection Unit / Flickr Cc

 

 

 

 

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