Der dänische Rundfunk im Würgegriff

15. Oktober 2018 • Internationales, Medienpolitik, Pressefreiheit • von

Der dänische Rundfunk wird zukünftig aus Steuern und nicht mehr aus Gebühren finanziert. Zudem muss er in den nächsten fünf Jahren 20 Prozent seines Budgets einsparen. Das ist ein Generalangriff auf die freie Meinungsbildung.

Mein Friseur – ein älterer Herr im Rentenalter – ist auch Jazzmusiker. Vor der Eröffnung seines Salons musiziert er jeden Tag eine halbe Stunde mit der Trompete am frühen Morgen, wenn die Büros im Zentrum von Kopenhagen noch unbemannt sind. Im Laufe des Tages schaltet er oft sein DAB-Radio auf P8 Jazz ein.

Das hört bald auf. P8 Jazz macht dicht im Rahmen eines Riesensparprogramms des Dänischen Rundfunks (DR). Mein Friseur ärgert sich: „Dänemark hat eine große Jazztradition, und jedes Jahr kommen Enthusiasten aus aller Welt zum Copenhagen Jazz festival.“

Das Sparprogramm verändert nicht nur den Alltag der Jazzfreunde und so auch den meines Friseurs. Es geht um einen Generalangriff auf die freie Meinungsbildung im Königreich nördlich von Flensburg. Der – noch – gebührenfinazierte DR muss in den nächsten fünf Jahren zwanzig Prozent seines Budgets einsparen. „Wir nähern uns dem sowjetischen Modell“, lautet das Urteil des dänischen Soziologen Peter Duelund.

In genau diese Richtung zielen die Eingriffe. DR strahlt zur Zeit sechs Fernsehkanäle und acht überregionale Radioprogramme aus und hat ein Jahresbudget von 3,5 Milliarden Kronen (470 Millionen Euro). Wenn alle Sparmaßnahmen greifen, bleiben nur drei Fernsehprogramme und fünf überregionale Radioprogramme bestehen. Von 3.400 Mitarbeitern müssen in den nächsten drei Jahren 420 gehen, davon 90 Mitarbeiter in den Nachrichtensendungen!

Mit manchen dieser Veränderungen kann ich gut leben – sowohl als Journalist als auch als Menschenrechtsaktivist. Um es salopp zu sagen: Wir hatten ja auch Demokratie, als wir nur einen Sender (DR) mit einem Kanal hatten – und zwar in Schwarz-Weiß.

Das Problematische ist der Umfang. Eine Einsparung von 20 Prozent entspricht praktisch einem Würgegriff. Man kann es nur als Rache sehen. Politiker vor allem aus dem bürgerlichen Lager führen seit eh und je eine Kampagne gegen den „roten“ DR. Die sehen auch sehr gut gelaunt aus, wenn sie sich zum Thema äußern.

Dazu muss man allerdings wissen, dass die meisten Journalisten, die später Karriere als Politiker gemacht haben – wie der EP-Parlamentarier Morten Løkkegaard, der ehemalige Außenminister Uffe Ellemann und die ehemalige EU-Kommissarin Connie Hedegaard – dem bürgerlichen Spektrum anhören. In meinen Augen kann vom „roten DR“ jedoch nicht die Rede sein. Der dänische Rundfunk ist eher eine tragende Säule des Wohlfahrtsstaats und stellt dessen Grundlagen nicht in Frage.

Noch problematischer sind aber die Veränderungen beim Public Service Vertrag zwischen DR und der Regierung. Dieser Vertrag regelt seit 2003 unter anderem den Umfang an Produktionen, die von Dänen erstellt sein sollen. In einem Land mit knapp 6 Millionen Einwohner macht sowas Sinn. Der neue Vertrag ist aber ein Folterbett. Zum Beispiel das sogenannte Armlänge-Prinzip. Es besagt, dass die Regierung (und in diesem Fall auch das Parlament) nur die groben Richtlinien festlegt. Es blieb dem DR überlassen, diese in Nachrichten, Unterhaltung und andere Formate auszugestalten. So war es bisher. Der frühere Intendant, Christian Nissen, hat die Verträge durchforstet und herausgefunden, dass der erste Vertrag von 2003 neun Seiten umfasste. Die Fassung von 2015 ist 21 Seiten lang und regelt auf weiteren 20 Seiten die Vorgaben für die Jahre 2019 bis 23. Noch folgenreicher sind die Vorschriften, denn diese sind detaillierter denn je: Sie stiegen von 56 auf 172. Jetzt geht es auch um die Zahl der Chöre, die Zahl der Musiker in Orchestern, um die Verlagerung der Filmproduktion an private Firmen. Der Arm ist sehr, sehr kurz geworden.

Die neuen Public Service Verträge sind auch ideologischer. Jetzt wird der DR laut dem jüngsten Vertrag auf die christliche Tradition verpflichtet. Einige Politiker mögen offenbar nicht, dass die sehr gute Korrespondentin im Nahen Osten, Puk Damsgaard, sich wie arabische Frauen kleidet, wenn sie in Syrien und im Irak recherchiert. Man muss sich das vorstellen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Missionar!

Hinzu kommt, dass DR zukünftig über den Staatshaushalt, also über die Steuern finanziert wird und nicht mehr über Gebühren. Die Politiker haben sich so einen direkten Zugriff auf die öffentlich-rechtliche Anstalt gesichert.

Leider haben auch die Zeitungsverleger sich auf den DR eingeschossen. Die wollen – wie die deutschen Verleger auch – das Internetangebot des DR einschränken, weil alle Verlage jetzt eine Pay Wall haben, nicht aber der DR. Und auch dies ist neu: Auf der Website des DR dürfen in Zukunft keine längeren Berichte, Analysen und Interviews veröffentlicht werden. Das Online-Angebot wird also schlechter.

Mein Friseur kann jetzt auf P2 Klassik umschalten. Dort gibt es viel Trauermusik.

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der Website des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK)  in der Kolumnen-Reihe „Merk-würdig“ veröffentlicht.

Bildquelle: pixabay.de

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