Medienvertrauen: Die unantastbare Variable der Demokratie

26. Oktober 2023 • Aktuelle Beiträge, Medienpolitik • von

Der Baukasten medienpolitischer Werkzeuge ist vielfältig. In einer Demokratie muss er dazu taugen, das Verhältnis zwischen Menschen und Qualitätsmedien zu stärken. Der fragile Punkt dieser Beziehung ist das Vertrauen, wie Beispiele aus Deutschland und den USA zeigen.

Bildquelle: Marco Verch/ Creative Commons

Das Konzept des Vertrauens nimmt in der Demokratieforschung und auch n den Medienwissenschaften eine zentrale Rolle ein. Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass das Vertrauen in demokratische Institutionen wie die Medien in vielen Ländern abnimmt – oder zumindest auf niedrigem Niveau stagniert. Hanitzsch et al., 2018, haben gezeigt, dass Vertrauen in die Politik und Vertrauen in die Medien zusammenhängen, und neue theoretische Ansätze zielen darauf ab, das eher abstrakte Konzept des Medienvertrauens zu erfassen (z. B. Müller, 2013).

Während Diskussionen über Desinformation, Medienkompetenz, “Fake News” und Plattformmacht den medienpolitischen Diskurs prägen, wird das Medienvertrauen selten direkt angesprochen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass das Medienvertrauen der Bevölkerung vom demokratischen Staat nicht angetastet werden kann, obwohl – oder gerade weil – es eine Voraussetzung für die Demokratie ist.

Gesetze können sich indirekt auf das Medienvertrauen auswirken

Mit der Konsolidierung der Medienmärkte und der Entstehung sogenannter regionaler „Nachrichtenwüsten“ durch Insolvenzen lokaler Verlage stehen Regierungen mehr denn je vor der Herausforderung, Maßnahmen zu finden, um die Medienvielfalt in ihren Ländern zu erhalten – insbesondere auf lokaler Ebene. Dabei dürfen sie sich gleichzeitig nicht über ein gewisses Maß hinaus in das System einmischen oder gar die Autonomie der Medien gefährden.

Teil dieses medienpolitischen Dilemmas ist die Herausforderung, das Medienvertrauen in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Ohne dieses Vertrauen wären die Medien nämlich kaum in der Lage, ihre demokratischen Aufgaben zu erfüllen (vgl. Habermas, 2022).

Medienvertrauen lässt sich allerdings nicht per Gesetz einführen. Es ist eine der vielen Variablen in einer Demokratie, die der Staat nicht direkt kontrollieren, sondern nur beobachten kann. Regierungen können jedoch entsprechend innerhalb ihrer legislativen Kompetenzen handeln und

  • private und öffentlich-rechtliche Medien, Plattformen und Verlage regulieren, um sicherzustellen, dass diese gemäß bestimmter Qualitätsstandards handeln,
  • gegen die Verbreitung von Desinformationen, Fake News und gefälschten Inhalten vorgehen und
  • die privaten Daten von Nutzern schützen und eine sichere digitale Sphäre gewährleisten, in der Medien, Journalisten und Mediennutzer agieren.

Der demokratische Staat braucht Medienvertrauen, kann es aber nicht gewährleisten

In Demokratien kuratieren die Medien den öffentlichen Diskursraum, in dem der Informationsaustausch zwischen Politik und Gesellschaft stattfindet (Habermas, 2022). Diese Rolle wird legitimiert durch die Wahrnehmung, dass die Medien glaubwürdig, verlässlich und an der Prämisse der Wahrhaftigkeit orientiert sind (Müller, 2013).

In der Theorie hat ein demokratisches Mediensystem nur dann Bestand, wenn ein ausreichender Anteil der Bevölkerung – die Mehrheit? – den Grundlagen, auf denen das Mediensystem aufgebaut ist, vertraut (mehr dazu im Einleitungskapitel von Müller, 2013).

Daher ist das Vertrauen in die Medien für das Funktionieren eines demokratischen Staates von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig ist es ein Faktor der Fragilität innerhalb einer Demokratie (wie sich aktuell in den USA beobachten lässt). Denn die Kontrolle über die Art und Weise, wie die Menschen Medien nutzen und wahrnehmen, übersteigt die Kompetenzen des demokratischen Staates.

Der deutsche Rechtswissenschaftler und ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat dieses Dilemma prominent in Worte gefasst: “Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.” Das heißt, dass Freiheit und Vertrauen in freie Institutionen aus dem System heraus entstehen müssen und ihm nicht auferlegt werden können.

Wie aber stellen Staaten dann ein bestimmtes Maß an Medienvertrauen innerhalb ihrer Bevölkerung sicher? Dieser Frage soll im Folgenden anhand von Beispielen aus Deutschland und den USA nachgegangen werden.

US-Wahlen 2016: Wendepunkt für das Medienvertrauen in den USA

Im Februar 2017, kurz nach seiner Wahl, läutete der ehemalige US-Präsident Donald J. Trump eine neue Ära des Medienhasses ein. Die Presse prangerte er öffentlich als “Feind des amerikanischen Volkes” an. Während seiner Amtszeit definierte Trump das Konzept des Rechtspopulismus neu, wobei die systematische Denunziation und Bedrohung von Journalisten und Medienhäusern zu einem seiner wichtigsten Werkzeuge wurde.

Nechushtai (2018) bezeichnete die Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 als einen Wendepunkt, der tiefgreifende Veränderungen innerhalb des US-amerikanischen Mediensystems offengelegt habe. Daten der Universität Oxford und des Meinungsforschungsinstituts Gallup zeigen, dass das Vertrauen in die Medien in den USA seit den Wahlen 2016 stetig abnimmt und besonders unter den Anhängern der Republikanischen Partei niedrig ist.

Laut Newman et al. (2023) vom Reuters Institute an der University of Oxford liegt das Nachrichtenvertrauen von US-Amerikanern bei 32 Prozent. Die einzigen Medien, denen (mehr als) die Hälfte der Befragten vertraut, sind lokale Fernsehnachrichten (61 Prozent) und BBC News (50 Prozent) – eine Beobachtung, die in diesem Kontext äußert wichtig ist.

In einem liberalen Mediensystem wie den USA wird die politisch-wirtschaftliche Einmischung in die Medien (obwohl sie in der Tat üblich ist, sowohl von demokratischer als auch von republikanischer Seite) von vielen sehr kritisch gesehen. Daten von Newman et al. (2022) zeigen, dass im Jahr 2022 nur 18 Prozent der Befragten davon überzeugt waren, dass die Medien unabhängig von “ungebührlichem politischen Einfluss” (S. 113) sind, verglichen mit 27 Prozent im Jahr 2017.

US-Medienwissenschaftler fordern öffentliche Gelder für Medienanstalten

Unterdessen fordern einige Kreise in den USA, darunter namhafte Journalistenschulen und Forschungsinstitute, eine unterstützende Rolle des Staates im Mediensystem. Die größte Herausforderung wird jedoch darin bestehen, den Mediennutzern zu beweisen, dass diese Beteiligung inhaltliche Einflussnahme ist.

Doch wie könnte diese Unterstützung überhaupt aussehen? Die starke politische Polarisierung in den USA hat das Land in Desinformation ertränkt, was zu erheblichem Marktversagen führte (Pickard, 2020). Größere Medien, die über Fact-Checking-Desks und Investigativ-Teams verfügen, bauen Stellen ab (Walker, 2021), während viele lokale Medien, insbesondere Medien indigener Gruppen, sich kaum mehr eine grundlegende IT-Ausrüstung oder die Miete für ihre Redaktionsräume leisten können (Waldman, 2023). Diese Entwicklung habe laut Nechushtai (2018) vermehrt zu rufen nach staatlicher Unterstützung geführt.

Während die Republikaner im Kongress darauf abzielen, die öffentliche Finanzierung von Medienanstalten zu kürzen – im März 2023 hat beispielsweise der texanische Abgeordnete Ronny Jackson den “NPR and PBS Act” (H.R. 1632 – 118. Kongress) eingebracht, der zum Ziel hat, die Finanzierung für National Public Radio und den Public Broadcasting Service zu streichen –, fördern die Demokraten die Diskussion über Themen wie die Finanzierung lokaler Medien und das sinkende Vertrauen in die Medien.

Kurz nach Jacksons Gesetzentwurf brachte eine Gruppe von Demokraten um den hawaiianischen Senator Brian Schatz eine Gegenresolution ein (S.Res. 147 – 118. Kongress), die die wesentliche Funktion von Lokalnachrichten in einer Demokratie hervorhebt.

Ein weiterer Gesetzentwurf, der “Digital Citizenship and Media Literacy Act” (S. 394 – 118. Kongress), der von der Senatorin Amy Klobuchar aus Minnesota im Februar 2023 eingebracht wurde, zielt darauf ab, die staatliche Finanzierung von Medienkompetenzprojekten zu erhöhen.

Deutschland und die EU: Weniger Polarisierung, aber kein Konsens

In Deutschland wird das Konzept der öffentlichen Finanzierung privater Medien, insbesondere lokaler Medien, mit Vorsicht diskutiert, löst aber weniger Kontroversen aus. In einem Interview mit dem österreichischen Standard sprach sich der Medienwissenschaftler Christopher Buschow von der Bauhaus-Universität Weimar für eine öffentliche Förderung von Innovationsprojekten in Medienunternehmen aus, kritisierte aber gleichzeitig eine Förderung, die sich rein an Kriterien wie der Auflage orientiert.

Buschow erklärt: “Man will doch nicht bedrucktes Papier fördern, sondern demokratiepolitisch relevanten Journalismus unterstützen”. Autonomie und Unabhängigkeit könnten kann dann durch unabhängige “Governance-Strukturen” überwacht und gewährleistet werden, so der Medienforscher.

Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es allerdings nicht so aus, als würden die deutschen Verlage in nächster Zeit eine solche öffentliche Finanzierung erhalten. Die Ampel-Minister debattieren über die Zuständigkeit; niemand will, dass sein oder ihr Ressort zahlen muss. Im Haushalt für 2024 ist die einst diskutierte Finanzierung nicht enthalten.

Wie das Vertrauen in die Medien wiederhergestellt werden kann, wird auch auf der Ebene der Europäischen Union diskutiert. Im Dezember 2018, etwas mehr als ein Jahr nach der Wahl des ehemaligen US-Präsidenten Trump, veröffentlichte die Europäische Kommission eine gemeinsame Mitteilung mit dem Titel “Aktionsplan gegen Desinformation”. Es handelt sich dabei um eine recht kurze Strategie, einen Schlachtplan für den scheinbar endlosen Kampf gegen Desinformation, mit dem Ziel, weitere Maßnahmen zur „Förderung eines sicheren, vertrauenswürdigen und verantwortungsvollen Internet-Ökosystems“ (Europäische Kommission, 2018, S. 2) einzuleiten.

Der Bericht stützt sich auf eine zentrale Feststellung: “Desinformation untergräbt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie und die demokratischen Institutionen” (Europäische Kommission, 2018, S. 13).

Im März 2020 brachte die Alternative für Deutschland (AfD) einen Antrag (19/17781) in den Bundestag ein, in der sie eine Ablehnung dieses EU-Plans forderte. Nach Ansicht der Opposition könnten die Maßnahmen dazu führen, dass „auf allen denkbaren Medienkanälen nur noch einseitige regierungs- und EU-genehme Nachrichten bzw. Informationen verbreitet werden“. Der Entwurf wurde vom Parlament abgelehnt.

Ein Antrag der PDF-Fraktion (19/23107), der im Oktober 2020 in den Bundestag eingebracht wurde, befasste sich mit dem Problem von Desinformation im Kontext von Covid-19: “Traditionelle Medien und vertrauenswürdige Informationsplattformen haben in den vergangenen Monaten einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der Krise in unserem Land geleistet”.

Die FDP-Antragsteller forderten eine engere Zusammenarbeit von Behörden mit digitalen Plattformen im Kampf gegen Desinformation, die Förderung von Medienkompetenzprogrammen und schlugen vor, Medien als “kritische Infrastruktur” in das sogenannte Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI-Gesetz) aufzunehmen. Das BSI ist unter anderem für die allgemeine Sicherheit im Internet zuständig, seine Kompetenzen liegen allerdings nicht im Bereich der Medien, weder der digitalen noch der analogen.

Akzeptanz für Medienpolitik hängt von vielen Faktoren ab

Es gibt mehrere Möglichkeiten für den Staat, das Medienvertrauen der Bevölkerung indirekt zu beeinflussen. Ob das auch tatsächlich Aufgabe des Staates ist, ist jedoch eine andere Frage.

Wie an den Beispielen aus den USA und Deutschland deutlich gemacht wurde, sind Medienkompetenz und ein funktionierender Medienmarkt Faktoren, die stark mit Demokratie, politischer Verantwortlichkeit und Medienvertrauen zusammenhängen (vgl. auch Adserà et al., 2003, und Snyder & Strömberg, 2008). Diese Variablen sind kontrollierbar, und aus der Sicht der Forschung ist es naheliegend, dass eine Verbesserung der Qualität der Berichterstattung und eine stabile Diversität auf dem Medienmarkt wiederum das allgemeine Vertrauen in die Medien stärken.

Betrachtet man das Medienvertrauen aus dieser Perspektive, so wird deutlich, wie stark der Typ des jeweiligen Mediensystems die Diskussion beeinflusst. In einem wohlfahrtsorientierten, demokratisch-korporatistischen System wie Deutschland dürften die demokratischen Schwellen für staatliche Eingriffe deutlich niedriger sein als in einem liberal-kapitalistischen System wie den USA.

Wie wir jedoch in den letzten Jahren gesehen haben, hängt der Grad der Akzeptanz staatlicher Eingriffe in jedem Sektor in hohem Maße von den politischen und wirtschaftlichen Umständen ab.

 

Von Roman Winkelhahn, übersetzt ins Deutsche von Johanna Mack

 

Literatur

Adserà, A., Boix, C., & Payne, M. (2003). Are You Being Served? Political Accountability and Quality of Government. The Journal of Law, Economics, & Organization, 19(2), 445-490. https://www.princeton.edu/~adsera/JLEO.pdf

Dirsch, F. (2009). »…lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann«. Lesarten und Interpretationsprobleme der Böckenförde-Doktrin als eines kanonisierten Theorems der deutschen Staatsrechtslehre. Zeitschrift Für Politik56(2), 123–141. http://www.jstor.org/stable/43783523

Europäische Kommission (2018). Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan gegen Desinformation. https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/aktionsplan_gegen_desinformation.pdf

Habermas, J. (2022). Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Suhrkamp.

Hanitzsch, T., Van Dalen, A. & Steindl, N. (2018). Caught in the Nexus: A Comparative and Longitudinal Analysis of Public Trust in the Press. The International Journal of Press/Politics, 23(1), 3-23. https://journals.sagepub.com/doi/epub/10.1177/1940161217740695

Müller, J. (2013). Mechanisms of Trust: News Media in Democratic and Authoritarian Regimes. Campus.

Nechushtai, E. (2018). From Liberal to Polarized Liberal? Contemporary U.S. News in Hallin und Mancini’s Typology of News Systems. The International Journal of Press/Politics, 23(2), 183-201. https://journals.sagepub.com/doi/epub/10.1177/1940161218771902

Newman, N., Fletcher, R., Robertson, C. T., Eddy, K. & Nielsen, R. K. (2022). Reuters Institute Digital News Report 2022. University of Oxford. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2022-06/Digital_News-Report_2022.pdf

Newman, N., Fletcher, R., Robertson, C. T., Eddy, K. & Nielsen, R. K. (2023). Reuters Institute Digital News Report 2023. University of Oxford. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2023-06/Digital_News_Report_2023.pdf

Pickard, V. (2020, March 12). Journalism’s Market Failure Is a Crisis for Democracy. Harvard Business Review. https://hbr.org/2020/03/journalisms-market-failure-is-a-crisis-for-democracy

Snyder, J. M., & Strömberg, D. (2010). Press Coverage and Political Accountability. Journal of Political Economy118(2), 355–408. https://doi.org/10.1086/652903

Waldman, S. (2023, August 8). The Local-News Crisis Is Weirdly Easy to Solve. The Atlantic. https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2023/08/local-news-investment-economic-value/674942/

Walker, M. (2021, July 13). U.S. newsroom employment has fallen 26% since 2008. Pew Research Center. https://www.pewresearch.org/short-reads/2021/07/13/u-s-newsroom-employment-has-fallen-26-since-2008/

 

Weiterführende Literatur

Munteanu, M. (2010). Media in Crisis: should the state intervene? University of Oxford. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/research/files/Media%2520in%2520Crisis-%2520should%2520the%2520state%2520intervene.pdf

 

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