Die rechte und die linke Hand der Medienpolitik: Warum der neue Facebook-Algorithmus zum Nachdenken anregen sollte.
„Bedeutsame Interaktionen“ statt „relevanter Inhalte“ – so lässt sich die jüngst angekündigte Neuausrichtung des Facebook-Algorithmus zusammenfassen. Die größte und bedeutsamste soziale Netzwerk-Plattform der Welt möchte seinen Nutzern also künftig mehr Mitteilungen aus dem Bekanntenkreis wie auch mehr unterhaltende Inhalte anzeigen, und dafür weniger Information oder Nachrichten aus massenmedialen Quellen. Vereinfacht könnte man sagen: mehr „soft“ statt „hard news“, mehr privat statt öffentlich.
Wie immer, wenn Facebook an seinem Algorithmus feilt, führte die Ankündigung zu erheblichem Aufsehen und zahlreichen kritischen Kommentaren (was als Indikator für die Bedeutung der Plattform interpretiert werden kann). Vor allem Vertreter der Massenmedien fürchten nun einen Einbruch des „Traffics“ auf ihre Web-Angebote, und damit einen weiteren Verlust von Werbeumsätzen.
Dennoch sollte die Facebook-Ankündigung nicht alleine für Verleger bedenklich erscheinen. Denn das soziale Netzwerk Facebook verfügt nicht nur über eine breite Nutzerbasis, also eine Reichweite, die kaum ein traditionelles Massenmedium noch erzielt. Facebook hat sich tatsächlich für zahlreiche Nutzer zu einer bedeutsamen, wenn nicht sogar der zentralen Quelle für harte Informationen und Nachrichten gemausert. Daten des Pew Research Center zeigen, dass 68% der US-Amerikaner Nachrichten aus sozialen Medien beziehen. An erster Stelle: Facebook. Bei den Bürgern unter 50 Jahren sind es gar knapp 80%. Damit erfüllt Facebook im Alltag der Mediennutzer eine Informationsfunktion, die öffentlich-rechtliche Medienhäuser erblassen lassen könnte.
Schneidet sich Facebook ins eigene Fleisch?
Umso bedeutender daher die Frage: Warum setzt Facebook nun auf Unterhaltung statt Information? Ein Fall von Marktversagen? Ziehen persönliche und unterhaltende Inhalte mehr Nutzer auf die Plattform oder binden sie länger dort (im Fachjargon: „Engagement“)? Verdient Facebook mit „weichem“ Content also mehr Geld als mit „hartem“? Hier lässt die Mitteilung des Internetriesen aufhorchen. Denn dort heißt es, man vollziehe den Schritt obwohl harte Inhalte und Nachrichten mehr Engagement erzeugten. „Ich möchte es deutlich machen: Durch diese Änderungen erwarte ich, dass die Zeit, die Leute auf Facebook verbringen, und einige Indikatoren der Beteiligung zurückgehen werden“, so Mark Zuckerberg.
Ja, haben denn den Facebook-Manager alle guten betriebswirtschaftlichen Geister verlassen? Warum schneidet sich der Konzern gleichsam ins eigene Fleisch (und das der verbundenen Medienhäuser gleich mit)? Ein Erklärungsansatz: „Harte“ Inhalte erzeugen zwar mehr „Engagement“ auf der Plattform, aber auch höhere Folgekosten. Genauer: politisch induzierte Folgekosten. Als Beispiel kann das heftig umstrittene deutsche „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) dienen. Dieses bürdet dem sozialen Netzwerk millionenschwere Strafen auf, wenn „offensichtliche rechtswidrige“ Mitteilungen seiner Mitglieder nicht umgehend gelöscht werden. In der Folge sah sich der Konzern bereits gezwungen, hunderte Aufpasser anzustellen, die gemeldete Inhalte umgehend entfernen oder auffällig gewordene Mitglieder sperren. Eine empfindliche Erhöhung der Fixkosten.
Das NetzDG gilt dabei unter Anhängern eines Kampfes gegen „Fake News“ und „Hate Speech“ im Netz als ein Vorbild – weit über Deutschland, ja Europa oder den Westen hinaus. Die Europäische Union richtete jüngst eine Task Force ein, die antieuropäische Propaganda im Netz erfassen soll. 39 Informationsexperten wurden zudem zusammengerufen, um Empfehlungen für den Kampf gegen digitale „Fake News“ zu erarbeiten. In den USA sieht sich Facebook von links unter Druck gesetzt, weil man dort die Wahl Donald Trumps auf irreführende Online-Propaganda zurückführt, von rechts dagegen, weil man vermutet, der Facebook-Algorithmus unterdrücke konservative Inhalte. „Stuck between a rock and a hard place“, nennt man dies im US-Volksmund.
Die Rolle der Medienpolitik
Mit anderen Worten: Die hohe Popularität „harter“ Inhalte auf Facebook, das starke Engagement durch kontroverse politische Debatten ist für das soziale Netzwerk ein zwiespältiges Geschäft. Denn viel Engagement bedeutet hohe Werbeeinnahmen, ja. Was nutzt dies jedoch, wenn dann die Politik teure Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen erzwingt, um zu vermeiden, dass die Nutzer sich für die falschen Inhalte begeistern? So zeigt sich: Zuckerberg und Co. haben das Rechnen durchaus nicht verlernt. Das Geschäft mit „hard news“ und Information wird zurückgefahren, weil es sich immer weniger lohnt. Doch nicht die Nachfrage fehlt und nicht der Markt versagt – es sind politische Weichenstellungen, die Facebook aus diesem Geschäft drängt.
Bei aller öffentlicher Aufregung über den neuen Facebook-Algorithmus wurde doch bisher zu wenig Aufmerksamkeit auf die Rolle der Medienpolitik gerichtet. Ist es nicht traditionell das Ziel der westlichen Medienpolitik, einen möglichst breiten Zugang zu Nachrichten und Information zu gewährleisten? Ist nicht genau dies der Grund, warum etwa ein öffentlicher Rundfunk finanziert wird? Wie ist es einzuordnen, wenn die linke Hand der Medienpolitik einen Informationsauftrag alimentiert, während die rechte die Dissemination dieser Information erschwert?
Gefordert sind in dieser Zwickmühle nicht zuletzt die Kommunikations- und Medienwissenschaften. Denn politischen Maßnahmen wie dem „NetzDG“ sowie äquivalenten Initiativen der EU oder des US-Kongresses, die das Nachrichtengeschäft für soziale Medien unattraktiv machen, liegt die Annahme zugrunde, „Fake News“ und „Hate Speech“ stellten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Wenn die EU ankündigt, dass der Kampf gegen „Fake News“ abzuwägen sei gegen Meinungsfreiheit und Medienpluralismus, dann zeigt dies, wie hoch der Einsatz der politischen Debatte ist. Ihre empirische Basis ist dagegen ausgesprochen dünn. Eine Versachlichung der Debatte tut somit dringend Not und leichtfertiger Alarmismus verbietet sich. Wenn der Abschied des Facebook-Algorithmus aus dem News-Geschäft also etwas Gutes hat, dann, dass er Medien und Experten an ihre Verantwortung für den öffentlichen Diskurs gemahnt.
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Schlagwörter:Facebook, Facebook-Algorithmus, Fake News, Hard News, Hate Speech, Kommunikations- und Medienwissenschaften, Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Soft News, soziale Netzwerke