Ost-West-Denken bei deutschen Medien?

11. März 2021 • Medienpolitik, Qualität & Ethik • von

Eine aktuelle Analyse von Lutz Mükke, die Anfang März als Arbeitspapier bei der Otto Brenner Stiftung erschien, beschäftigt sich mit den Folgen der deutschen Teilung und Wiedervereinigung für das deutsche Mediensystem: Bestimmen in der Bundesrepublik die ‚Westmedien‘, was auf der medialen Agenda steht? Worauf ist die Unterrepräsentation Ostdeutscher in der Medienbranche zurückzuführen. Und: Was bedeutet diese für den politischen Diskurs in Deutschland? Das EJO hat die wichtigsten Ergebnisse der Analyse zusammengefasst.

Mit der deutschen Wiedervereinigung ging ein grundlegender Wandel des ostdeutschen Mediensystems einher. Man könnte meinen, dass sich beide Medienlandschaften – die der BRD und die der ehemaligen DDR – in vielerlei Hinsicht angenähert haben; dass die eine Seite in den Osten expandiert ist und die andere Seite neue Marktsegmente im Westen erschlossen hat; dass Medienunternehmen Verträge geschlossen haben und dass sich die Freude der DDR-Bürger über den Zugang zu einer freien Presse in den Abo-Zahlen der Westmedien niederschlug. Doch all das entspricht kaum der Realität.

Belege dafür liefert Lutz Mükke in seinem Diskussionspapier „30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung“. Der Autor geht darin vor allem kritisch auf die Eigentumsverhältnisse in der deutschen Medienbranche nach der Wiedervereinigung und auf die heutige Berichterstattung über Ostdeutschland ein.

Treuhand-Verkäufe stärkten Monopole

Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik ging der SED-Medienbesitz gemäß Einigungsvertrag in die Verwaltung der Treuhandanstalt über. So begann das, was Lutz Mükke als „einmaligen, maximal brachialen Kahlschlag“ und „verheerenden Exodus intellektuellen Lebens“ in Ostdeutschland bezeichnet: die Privatisierung der Ost-Medien.

Bereits als die DDR nach dem Mauerfall noch (für kurze Zeit) als demokratisch legitimierter Staat bestand, machten sich westdeutsche Verlage über die Ost-Medien her. „Ende März begannen […] die staatlichen Pressesubventionen der DDR auszulaufen“, so Mükke. Die Medienhäuser der DDR gingen Kooperationen mit Verlagen aus dem Westen ein. Die waren jedoch nicht von langer Dauer, denn bereits im Oktober 1990 (mit dem Tag der Wiedervereinigung) begann die Arbeit der Treuhand.

Mükke bezeichnet die Behörde als „in Pressefragen völlig unerfahren“ und zitiert die Medienwissenschaftlerin Beate Schneider, Professorin an der HMTM Hannover, laut der sich das Handeln der Treuhand in Bezug auf die Ost-Medien ausschließlich „an hohen Erlösen und schnellem Verkauf“ orientierte.

Viele Regionalzeitungen in der DDR waren durch eine hohe Auflage und ihre provinziale Monopolstellung gekennzeichnet. Das Regime versuchte dadurch, möglichst gezielt die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Letztendlich habe der Verkauf dieser lukrativen Zeitungen der Treuhand 1,2 Milliarden DM eingespielt, so Mükke. Medienhäuser wie Gruner + Jahr, Burda und Bauer haben insofern vom Kauf profitiert, als dass der Medienmarkt im Westen bereits damals kaum noch Wachstum zuließ. Die Großen bekamen noch mehr. „Verkauft wurden die DDR-Bezirkszeitungen durchweg an westdeutsche Verlage wie Burda, Bauer, Springer, Holtzbrinck, DuMont Schauberg oder Grunder + Jahr“, erklärt der Autor.

Fair war der Wettbewerb laut Mükke nicht: Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) habe sich dafür eingesetzt, dass die Chemnitzer Freie Presse in die Hände der CDU-nahen Medien Union GmbH gelangen würde. Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher (FDP) habe sich nach demselben Muster um die Mitteldeutsche Zeitung gekümmert. Doch diese Affären machen nur einen kleinen Teil der Kritik aus. Viel gravierender: „Die Politik der Kohl-Regierung und die Politik der Treuhand zementierten damit in weiten Teilen Ostdeutschlands Strukturen von Ein-Zeitungs-Kreisen.“ Laut dem Medienwissenschaftler Hans-Jörg Stiehler, emeritierter Professor an der Universität Leipzig, den Mükke für seine Studie interviewte, hätten sich die Strukturen des DDR-Mediensystems in der Wendezeit unhinterfragt zementiert, weil es aufgrund der gegebenen Provinzialisierung der Medienlandschaft de facto keine Konkurrenz gab. Als seien diese Strukturen für die Meinungsfreiheit nicht ohnehin schon fatal, zeichnete sich schon bald ein zusätzliches Problem ab, das die ehemalige DDR und ihre Bürger in der Berichterstattung quasi unsichtbar machte: die Personalpolitik der Medienhäuser in den neuen Bundesländern.

Die Chefs aus dem Westen

Im Deutschland der Nachwendezeit „schrieben Westdeutsche für Westdeutsche“, erklärt Lutz Mükke. Wie problematisch die Personalpolitik der Medienhäuser in den neuen Bundesländern war, zeigt der Autor am Beispiel des Mitteldeutschen Rundfunks: „Im August 1991 wurden sieben von acht MDR-Direktorenposten mit Westdeutschen besetzt. Der eine Ostdeutsche war für die Technik zuständig“ (Rummel 1993, zitiert nach Mükke). Es handelt sich hier um ein außergewöhnliches Beispiel, da nicht die Rede von einem privatisierten Ex-SED-Verlag ist, sondern von einer Neugründung innerhalb des Systems des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der neuen Bundesrepublik. Die Führungsebene des MDR vertrat in der Nachwendezeit nicht die Ostdeutschen, sondern die Westdeutschen. Schuld daran sei vor allem die sächsische CDU gewesen, die folgende Standpunkte vertrat:

  • „Wer etwas von der Sache versteht, sprich in der DDR vergleichbare Positionen [Anm.: die Rede ist hier von z.B. Chefredakteuren] innehatte, muss als belastet gelten.
  • Es zählen vor allem Professionalität und Kompetenz. Zentral ist Erfahrung – und die haben nur westdeutsche Rundfunkmacher.
  • Ostdeutsche, die während der Wende in entsprechende Positionen des DDR-Rundfunks und Fernsehens gelangten, sind zum einen nur eingeschränkt als Fachleute anzusehen, zum anderen als weltanschaulich ausgeprägt ‚links‘ zu verorten.“ (Rummel, 1993, zitiert nach Mükke)

Vor allem in puncto Personalpolitik der Medienhäuser waren demnach schon früh Vorurteile und Stereotype ausschlaggebend für die Besetzung wichtiger Posten. Und das Resultat daraus, und zwar die Unterrepräsentation Ostdeutscher in der Medienlandschaft der Bundesrepublik, halte sich bis heute. Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, schreibt im Vorwort des Arbeitspapiers:

  • „In den Führungsetagen der wichtigen bundesrepublikanischen Leitmedien sind so gut wie keine Ostdeutschen zu finden.
  • Fast alle Regionalzeitungen, die im Osten erscheinen, sind in Besitz westdeutscher Medienunternehmen.
  • In den Chefetagen der großen ostdeutschen Regionalzeitungen sind Westdeutsche ähnlich überrepräsentiert wie vielerorts beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
  • Bei der Ausbildung von Journalist*innen sieht es nicht besser aus: Journalistenschulen bilden kaum Nachwuchs mit ostdeutschem Hintergrund aus.“

Inhalte verstärken negative Wahrnehmung

Die Personalstruktur in den Ostmedien der Nachwendezeit führte laut Mükke zu einem Phänomen, das sich bis heute beobachten lässt: „Nach der Wiedervereinigung publizierten die westdeutschen Meinungs- und Debattenführer weiter exklusiv für die gebildeten Mittel- und Oberschichtenmilieus Westdeutschlands und trugen dadurch kräftig zur Verstetigung von ‚Ost‘ und ‚West‘ bei.“ Dass Ostdeutsche aus der medialen Debatte ausgeschlossen werden, weil sie sich nicht in ihren Inhalten wiederfinden, legen auch die Zahlen nahe:

„Laut IVW [Anm.: Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern] verkaufte die AZ im ersten Quartal 2020 in den Neuen Bundesländern täglich nur rund etwa 7.900 Exemplare (exklusive Berlins). Das sind 3,4 Prozent der verkauften Gesamtauflage […]. Die SZ kam im selben Verbreitungsgebiet sogar nur auf rund 8.300 Exemplare, was 2,5 Prozent der verkauften Gesamtauflage […] entspricht.“

Dass sich die Inhalte der Medien im Osten auf Themen wie „Stasi, Doping, DDR-Misswirtschaft, Unrechtsregime, PDS, Umweltkatastrophe, Mauertote, Rechtsradikalismus“ beschränken – und damit in keiner Weise die gesamte Lebensrealität der Ostdeutschen abdecken –, könne ein Grund für „die Veränderung des gesellschaftspolitischen Klimas“ und für „die großen Mobilisierungserfolge populistischer Bewegungen“ sein. Kurzum: Sie verstärken das inzwischen als stereotyp geltende ‚Sich-nicht-verstanden-fühlen‘ vieler Ostdeutscher:

„Selbstverständlich nimmt die ostdeutsche Bevölkerung die […] Zustände, Machtverhältnisse, Elitenverhältnisse, Karriere-Hürden, Einkommens- und Besitzunterschiede innerhalb Deutschlands direkt und indirekt wahr. Es ist diese Wahrnehmung, die seit 30 Jahren ihre Einschätzung zementiert, minderwertig und ‚Bürger zweiter Klasse‘ zu sein […].“

Inzwischen haben auch unterschiedlichste politische Lager, allen voran die AfD, die politische Instrumentalisierung dieser Wahrnehmung für sich entdeckt. Eine angemessene Repräsentation Ostdeutscher in den Medien könne eine tiefere gesellschaftliche Spaltung („Gift für das demokratische Gemeinwesen“) verhindern, erklärt Mükke. Der Autor gibt abschließend neun Handlungsempfehlungen, die auf verschiedenen Ebenen umgesetzt werden müssten. Im Folgenden werden diese kurz angerissen:

  • Diskussion über Quoten für Ostdeutsche;
  • Repräsentanz Ostdeutscher in den öffentlich-rechtlichen Medien;
  • Bereitstellung eines „Sonderfonds zur Erforschung der Situation von Journalismus und Massenmedien in Ostdeutschland“ durch das Bundesforschungsministerium;
  • Öffnung der Archive westdeutscher Medienunternehmen zu Forschungszwecken;
  • Sonderförder- und Stipendienprogramme für journalistische Initiativen in und für Ostdeutschland;
  • Entsprechende Arbeitsgruppen an Journalistenschulen und Universitäten;
  • Gespräche und Projekte verschiedener Organisationen;
  • Konzepte der Parteien zu den „skizzierten Verwerfungen und den daraus entstandenen Konflikten;

und

  • „Die westdeutsche überregionale Qualitätspresse sollte sich öffentlich mit der Frage auseinandersetzen, weshalb sie im Osten seit 30 Jahren kaum Absatz findet.“

 

Auf der Website der Otto Brenner Stiftung steht die Analyse als Download bereit.

 

Bildquelle: pixabay.com

 

 

 

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