Medienwissenschaftler haben ein Leitbild einer kooperationsorientierten Medienordnung entwickelt.
Für die Medien sind die besten Zeiten vorbei – wirtschaftlich gesehen. Seit die großen Internet-Plattformen aufgestiegen sind, haben die Medien ihre Exklusivität als Werbeträger verloren. Das hat nicht nur Auswirkungen auf den ökonomischen, sondern auch den publizistischen Wettbewerb. Die Vielfältigkeit der Medienlandschaft ist bedroht – und mit ihr die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Was folgt daraus für die Medienordnung in Deutschland? Für Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, TU Dortmund, Prof. Dr. Otfried Jarren, Universität Zürich, Prof. Dr. Frank Lobigs, TU Dortmund, und Prof. Dr. Christoph Neuberger, FU Berlin, lautet die Antwort: Kooperation. Die Medien müssten stärker zusammenarbeiten, wenn sie weiter Inhalte produzieren wollten, die qualitativ und gesellschaftlich relevant sind. Es sei vor allem erforderlich, dass öffentlich-rechtliche und private mehr miteinander kooperierten. Dies ist auch das Ergebnis einer Studie, die unabhängig erstellt wurde und die die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft unterstützt hat.
Empfehlenswert sind aus Sicht der Forscher vor allem Coopetition-Modelle: Die Beteiligten kooperieren in begrenztem Umfang (cooperation), während sie weiter miteinander konkurrieren (competition). Der Vorteil solcher Verbindungen sei, dass sie den publizistischen Wettbewerb stärken können. Sie sind (bislang) keine systematisch angewendete Leitidee der Medienpolitik, existieren in Ansätzen aber bereits heute. Arbeiten etwa Zeitungs- und Zeitschriftenverleger rein wirtschaftlich zusammen, fällt dies nicht unter das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen. Eine redaktionelle Kooperation ist dagegen ausgenommen. Im Rundfunkrecht ist zudem vorgesehen, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beispielsweise gemeinsam produzieren oder das Sendernetz betreiben. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2015 sorgt allerdings nach wie vor für Unsicherheiten. Das Karlsruher Gericht ging davon aus, dass es kartellrechtswidrig sein könnte, wenn die Rundfunkanstalten absprechen, dass sie Verträge kündigen.
Für Kooperationen zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien existieren bislang nur vereinzelt notwendige Rechtsgrundlagen, wie etwa im WDR-Gesetz. Danach muss der Westdeutsche Rundfunk die Grundsätze der Meinungsfreiheit einhalten und diskriminierungsfrei vorgehen, wenn er Kooperationspartner auswählt. Der Rechercheverbund von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung wurde zuvor stark kritisiert. In der Praxis kooperieren öffentlich-rechtliche und private Medien allerdings immer wieder – und das hat für beide Vorteile. Die Fernsehserie „Babylon Berlin“ etwa lief sowohl im Bezahlfernsehen als auch im Anschluss im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfolgreich. Es ist auch möglich, dass beide Seiten davon profitieren, wenn sie gemeinsam neue Technologien einführen.
„Für die Medien sind die besten Zeiten vorbei – wirtschaftlich gesehen.“
Die Wissenschaftler halten es für sinnvoll, dass öffentlich-rechtliche und private Medien weitere wirtschaftlich sinnvolle Kooperationen benennen, die ihre Produktionsleistung stärken und durch die sich Inhalte verbreiten, die öffentlich relevant sind. Es ginge ihnen nicht darum, die Unterschiede zwischen beiden zu verwässern. Die öffentliche Aufgabe, die es gemeinsam zu meistern gilt, sei so bedeutsam, dass die Medienordnung kooperationsorientiert weiterentwickelt werden müsse. Das gelte vor allem auch angesichts neuer Akteure, die marktmächtig sind und die neue Bedingungen für das Produzieren und Auffinden von Medieninhalte mit sich bringen. Die Plattform- und Streamingrevolution im Internet dürfe nicht dazu führen, dass Informationen, die öffentlich und letztlich demokratiepolitisch relevant sind, nicht mehr allgemein zugänglich und auffindbar sind. Der Medienstaatsvertrag, der Anfang Dezember verabschiedet wurde, reagiert darauf bereits ansatzweise, aber wohl ungenügend.
„Die Nagelprobe für eine kooperationsorientierte Weiterentwicklung der Medienordnung ist eine eigene medienübergreifende Plattform.“
Eine stärkere Kooperation sei auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk attraktiv, sagen die Autoren der Studie: Er hat derzeit schließlich ein Akzeptanz- und damit Legitimationsproblem. Weil viele Zuschauer, vor allem die jüngeren, ihn kaum noch nutzen, wird immer wieder über die Rundfunkbeiträge diskutiert. Dabei sind diese inzwischen im Kern nicht mehr rechtlich angreifbar. Das zeigt auch die Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im europäischen Ausland, etwa der Schweiz. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk stärker kooperiert, kann er seine stabilisierende Rolle für das Ökosystem Medien insgesamt erhalten, ohne private Medien zu verdrängen. Die Wissenschaftler sehen hierbei die Chance, anderen Medien wirtschaftlich sinnvoll Ressourcen bereitzustellen – ohne dem Grundsatz der Diskriminierungsfreiheit und Staatsferne zu widersprechen.
Die Nagelprobe für eine kooperationsorientierte Weiterentwicklung der Medienordnung wird es wohl sein, eine eigene medienübergreifende Plattform zu schaffen, wie sie viele fordern. Für die Nutzer könnte diese inhaltlich höchst attraktiv sein. Sie müssten sich zudem nicht mehr im jetzigen Maße den vertraglich verpflichtenden Nutzungsbedingungen und technischen Strukturen sozialer Netzwerke wie Facebook oder YouTube unterwerfen. Es ist allerdings herausfordernd bis kompliziert, eine solche Plattform auszugestalten. Das herkömmliche – vor allem ökonomisch zentrierte – Wettbewerbsrecht ist auf diese Herausforderungen nur begrenzt einstellbar. Hinzu kommt, dass das Bundeskartellamt in der Vergangenheit bereits kleinere Ansätze für Medienplattformen blockiert hat. Das ist ein Grund, warum es letztlich eines publizistischen Wettbewerbsrechts bedarf. Schließlich lohne es sich auch hier – so die Studie –, Ressourcen zu bündeln. Eine übergreifende Medienplattform werde allein aus dem Markt heraus nicht entstehen. Ein erster Schritt müsste allerdings sein, die Medienpolitik selbst kooperativer zu gestalten.
Die Studie ist hier abrufbar: https://www.vbw-bayern.de/Redaktion/Frei-zugaengliche-Medien/Abteilungen-GS/Planung-und-Koordination/2019/Downloads/19-11-20-Kooperationsorientierte-Weiterentwicklung-der-Medienordnung-2.pdf
Erstveröffentlichung: medienpolitik.net vom 22. November 2019 (für die Veröffentlichung auf EJO wurde der Text geringfügig modifiziert und aktualisiert)
Bildquelle: pixabay.com
Schlagwörter:Babylon Berlin, Christoph Neuberger, Coopetition, Frank Lobigs, Kooperation, Medienordnung, Otfried Jarren, Tobias Gostomzyk