Muss ein europäischer Gegenentwurf zu Facebook & Co. her?

8. Februar 2022 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Medienpolitik, Qualität & Ethik, Redaktion & Ökonomie • von

Es sind heute vor allem die US-amerikanischen Plattformen wie Facebook und YouTube, die das größte Publikum anziehen. Obwohl viele Medienunternehmen die Reichweite dieser Plattformen für ihre Zwecke nutzen, sehen einige Experten in ihrer Dominanz eine Bedrohung für den Medienmarkt. Warum das so ist und wie ein Gegenentwurf einer europäischen Medienplattform aussehen könnte, erklärt Prof. Dr. Christoph Neuberger (FU Berlin) im Interview mit Olivia Samnick.

Facebook, Instagram und andere digitale Plattformen haben eine ähnliche Macht wie die traditionellen Medien: Sie lenken die Aufmerksamkeit auf Themen, vermitteln Wissen, machen verschiedene Standpunkte sichtbar und vermitteln einen Eindruck vom Meinungsklima, so Prof. Dr. Birgit Stark (Institut für Publizistik, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz) in einem Beitrag für Medienpolitik. Und sie sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Aber: Für Social-Media-Plattformen gelten die Regeln journalistischer Qualität und -Standards nicht. Algorithmen und persönliche Vorlieben bestimmen, wie und welche Nachrichten einem Nutzer angezeigt werden.

Wie können Medien ihre Macht zurückgewinnen und Qualitätsjournalismus sichern? Die Lösung könnten kooperative, gemeinwohlorientierte Medienplattformen sein, so Experten. Solche Plattformen könnten TV-, Digital-, Radio- und Print-Inhalte miteinander vernetzen und deren Sichtbarkeit im Internet erhöhen. Prof. Dr. Christoph Neuberger (Freie Universität Berlin und Weizenbaum-Institut) ist neben Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, Prof. Dr. Otfried Jarren, Prof. Dr. Frank Lobigs und Daniel Moßbrucker einer der Autoren einer wissenschaftlichen Arbeit für den Medien- und Kommunikationsbericht 2021 der Bundesregierung. In seiner Arbeit diskutiert Neuberger eine europäische Plattformlösung.

Die Idee, Plattformen auf der Basis der Zusammenarbeit verschiedener Medien aufzubauen, ist nicht neu, zeigt der Bericht. Der Nachrichtensender ‘Euronews’ zum Beispiel wurde 1992 von Sendern aus zehn verschiedenen Nationen gegründet, um eine paneuropäische Perspektive auf dem Markt zu etablieren. Der deutsch-französische Fernsehsender Arte wurde gegründet, um die Verständigung zwischen der Bevölkerung Deutschlands und Frankreichs zu fördern.  

EJO: Facebook, Instagram und Co. sind im Alltag der meisten Menschen – auch dem von Medienschaffenden – kaum wegzudenken. Wie groß schätzen Sie den Einfluss von Plattformen auf den Journalismus in Europa?

Christoph Neuberger: Groß. Unter Plattformen verstehe ich sowohl soziale Medien als auch Suchmaschinen wie Google. Diese bestimmen stark, wie Menschen Nachrichten nutzen. Gut ein Viertel der jungen Menschen gibt etwa an, soziale Medien als ihre Hauptnachrichtenquelle zu nutzen. Alle, die sich auf Plattformen tummeln – also nicht nur seriöse journalistische Medien, sondern auch Unternehmen, soziale Bewegungen, Politiker – können gleichermaßen als Verbreiter von Nachrichten wahrgenommen werden. 

Wo liegt dabei das Problem?

Es gibt gleich mehrere: Erstens ist es auf den derzeitigen Plattformen jedem selbst überlassen, was er als Nachricht auffasst. Was Fake News, Verschwörungstheorie oder eine echte Nachricht ist, kann leicht verwechselt werden. Zweitens besteht eine Abhängigkeit des Journalismus von Plattformen. 

Inwiefern ist der Journalismus den Plattformen unterworfen?

Journalisten und Medienunternehmen interagieren auf den Plattformen mit dem Publikum, bewerben eigene Artikel, recherchieren für ihre Artikel. Die Plattform bietet dafür die Infrastruktur. Gleichzeitig hat der Journalismus aber keinen Einfluss darauf, wie diese Infrastruktur funktioniert. 

Welche Auswirkungen hat das auf den Journalismus?

Sowohl die schwindende Zahlungsbereitschaft des Publikums als auch die Einbrüche auf dem Anzeigenmarkt hängen mit der Dominanz digitaler Plattformen zusammen. Social Media-User sind kostenlose Inhalte gewohnt. Durch Onlinewerbung gerät der traditionelle Anzeigenmarkt unter Druck, durch den sich der Journalismus lange überwiegend finanzierte. 

Und: Die Markenführung von Medienunternehmen leidet im Strom der vielen Nachrichten, die die User überfluten. Der Journalismus lebt von der Bindung zum Publikum. Vertrauen ist sehr wichtig, schließlich ist das Publikum nur begrenzt in der Lage, selbst zu prüfen, was in der Zeitung steht. Diese Verbindung lockert sich auf den bestehenden Plattformen. 

Welche Möglichkeiten gibt es, um dieses Abhängigkeitsverhältnis von Journalismus zu Plattformen aufzubrechen?

Die eine Möglichkeit sind Regulierungsmaßnahmen für die Plattformen, etwa das in Deutschland geltende Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Damit sollen Hasskriminalität und andere strafrechtlich relevante Inhalte in den sozialen Medien wirksamer bekämpft werden. Eine andere Möglichkeit ist, selbst journalistische Plattformen als bessere Alternative zu schaffen.

Welche Vorteile bringt eine eigene journalistische Plattform für Europa?

Die ökonomischen Leitmotive bestehender Plattformen wie Facebook würden von einem klaren Gemeinwohlauftrag abgelöst, wie wir ihn vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk kennen. Eine gemeinsame, europaweite Plattform kann außerdem die Reichweite eines einzelnen Mediums erhöhen. So eine Plattform sollte dafür die technischen Voraussetzungen liefern, die es auf den US-Plattformen nicht gibt, also geeignete Gestaltungsmöglichkeiten und Mitspracherechte. Außerdem würde auch die kulturelle Vielfalt Europas dargestellt und so die Möglichkeit gegeben, ein gemeinsames europäisches Verständnis zu entwickeln.

Wie könnte eine Medienplattform für Europa aussehen?

Meiner Erwartung nach wird es nicht die eine große Medienplattform geben, sondern mehrere Experimentierfelder. Bestimmt dürfte auch nicht einfach jeder Anbieter darauf aktiv werden. Durch diese Einschränkung könnte man Pseudo-Journalismus verhindern, also etwa Nachrichten, die sich den Anstrich von Qualitätsjournalismus geben, aber keiner sind. 

Geht man auf die Seite der Bundesregierung, dann wird dort die Idee der Plattformen so erklärt: Gemeint sind damit Plattformen, die digitale Fernseh-, Radio- und/oder Printangebote miteinander verknüpfen und ihnen dadurch zu größerer Sichtbarkeit im Netz verhelfen. Geht es um eine europäische Mediathek?

Meiner Auffassung nach wäre eine Medienplattform nicht nur eine Mediathek, auf der verschiedene Medien ihre Inhalte sichtbar machen können. Die Plattform müsste darüber hinausgehen.

Und wie genau?

Moderation und Navigation werden im Internet immer wichtiger. Eine Aufgabe wäre es etwa, vor Fake News zu warnen. 

In dem Beitrag für die Bundesregierung heißt es weiter, eine europäische Medienplattform müsse gemeinwohlorientiert sein. Inwiefern spielen Werte eine Rolle?

Gemeinwohlorientiert meint die Werte der liberalen Demokratie. In Deutschland etwa Artikel 5 des Grundgesetzes, der Kommunikationsfreiheiten garantiert. Diese Werte wären dann für eine Plattform vorausgesetzt. Aber: Bei manchen Ländern, schaut man etwa nach Ungarn, gestaltet sich die Aushandlung dieser Werte leider grundlegend schwierig.

Welche Werte sind noch wichtig?

Im Bericht haben wir weitere Werte diskutiert, die für eine Journalismus-Plattform wichtig sind: Nachrichtenqualität, Vielfalt, Gleichheit, Integration und die Verteilung von Meinungsmacht sind einige davon. Auf den bestehenden Plattformen kommen diese bislang zu kurz.

Allein in der EU sind 24 Amts- und Arbeitssprachen anerkannt. Im Report wird diskutiert, dass es eine erhebliche Weiterentwicklung automatisierter Übersetzungssysteme bräuchte, damit Publikationen in den jeweiligen Muttersprachen länderübergreifend erscheinen können. Welche Hürden gilt es noch zu überwinden?

Wie kann die Projektförderung aussehen? Wie kann die Finanzierung gewährleistet werden? Wie kann man Angebote so gestalten, dass sie ein großes Publikum anziehen? Das sind alles Fragen, die es neben der Sprachbarriere für die Entwicklung europäischer Medienplattformen zu klären gilt.

 

Beitragsbild via pixabay.com

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