Ein unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist nicht selbstverständlich, nicht einmal innerhalb der Europäischen Union. Das zeigte das Panel „Less Freedom Without Press Freedom – Perspectives from Poland and Hungary”, die letzte Veranstaltung der Europa-Projektwochen 2022 in Dortmund.
„Etwas läuft entschieden falsch im polnischen Mediensystem“, erklärt Adam Szynol, Juniorprofessor an der Universität Breslau und Leiter der polnischen EJO-Redaktion. Jahrelang habe Telewizja Polska (TVP), das öffentlich-rechtliche Fernsehen Polens, journalistische Standards gesetzt und eine Vorbildfunktion innegehabt. Heute vertrauen jedoch nur noch 24 Prozent der Polen dem Programm TVP News, während fast die Hälfte der Befragten (49 Prozent) angibt, diesem nicht zu vertrauen. Das zeigen aktuelle Daten aus dem Digital News Report 2022 des Reuters Institute an der Universität Oxford.
Diese erschreckende Entwicklung (im Vergleich: In Deutschland vertrauen zwei Drittel der Bevölkerung den Nachrichtenformaten ARD Tagesschau und ZDF heute) sei vor allem auf die Wahl Andrzej Dudas zum polnischen Präsidenten im Jahr 2015 zurückzuführen.
Parallel zu Dudas Wahlsieg gewann die PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit) die Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Als Präsident trat Duda zwar aus der Partei aus, gilt ihr gegenüber dennoch als loyal. Laut Szynol ist die PiS-Partei „populistisch“.
Anders als beispielsweise Orbáns Fidesz-Partei hat die PiS keine Zweidrittel-Mehrheit und ist dadurch nicht in der Lage, Verfassungsänderungen aus eigener Kraft durchs Parlament zu bringen. Mithilfe ihrer Mehrheit im Parlament hat die polnische Regierungspartei jedoch im Jahr 2016 gesetzlich den Rat Nationaler Medien implementiert. Das Gremium entscheidet über die Personalaufstellung der öffentlich-rechtlichen Anstalten Telewizja Polska (Fernsehen) und Polskie Radio und der Nachrichtenagentur Polska Agencja Prasowa. „TVP wurde dadurch zu einem Instrument der polnischen Regierung“, erklärt Szynol. Drei der fünf Mitglieder des Rates Nationaler Medien gehören der PiS-Partei an. Adam Szynol spricht in diesem Kontext von einem Verfassungsbruch.
Programmatisch verfolgt Dudas Regierung die „Repolnisierung“ der Medien (das EJO berichtete). Der Nachrichtensender TVN24, der im Besitz der US-amerikanischen Unternehmensgruppe Warner Bros. Discovery ist, sah sich 2021 gezwungen, seine Lizenz in die Niederlande und somit in den Europäischen Wirtschaftsraum zu verlegen, um weiterhin in Polen senden zu dürfen. Durch restriktive Gesetze wie dieses versuche Dudas Regierung, kritische Stimmen auszuschalten, so Szynol.
Ungarn: Macht über die Verfassung
In Ungarn spreche man nicht mehr von „öffentlich-rechtlichen Medien“, sondern von „Staatsmedien“, erklärt Gábor Polyák, außerordentlicher Professor an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest und EJO-Redakteur. „Kaczyński ist der beste Schüler Orbáns“, sagt Polyák. Jarosław Kaczyński ist der Vize-Ministerpräsident Polens und Vorsitzender der PiS-Partei.
Viktor Orbán, Ministerpräsident Ungarns, ist bekannt für seine extrem autoritäre Medienpolitik. Orbáns Fraktion im ungarischen Parlament hat die Zweidrittelmehrheit inne und ist somit in der Lage, autark Verfassungsänderungen durchzusetzen. Mit der Gründung der Staatlichen Behörde für Medien und Nachrichtenübermittlung im Jahr 2010 diente man Polen womöglich als Vorbild. Die Behörde wurde 2011 mit der Verfügungsgewalt über das gesamte ungarische Mediensystem ausgestattet und untersteht unmittelbar der Regierung.
„Wir sprechen hier wohlgemerkt von einem Land innerhalb der EU“, betont Gábor Polyák. Der Wissenschaftler sei enttäuscht von der Reaktion des Bündnisses auf Orbáns Gleichschaltung der Medien: „Die EU handelt nicht, obwohl sie könnte.“ Nach der Wahl Dudas zum polnischen Präsidenten im Jahr 2015 habe sich gezeigt, dass der ungarische Medien-Despotismus „ansteckend“ sei und sich verbreite. „Es handelt sich um ein systematisches Problem“, so Polyák. „Das ist nicht mehr bloß eine Attacke gegen die Medien, sondern ein Angriff auf den gesamten Rechtstaat.“
Die EU hat allerdings kaum medienpolitische Kompetenzen, die sie gegenüber einzelnen Mitgliedstaaten geltend machen könnte. Zwar kann Brüssel die Missstände in Ungarn öffentlich kritisieren, für den Mediensektor ist man dort allerdings nur unterstützend zuständig, d.h. ohne die Möglichkeit des legislativen Eingriffs.
Beitragsbild: Guillaume Périgois/unsplash.com
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