Wie unsere Persönlichkeit unseren Umgang mit dissonanten politischen Informationen beeinflusst

21. März 2023 • Aktuelle Beiträge, Forschung aus 1. Hand, Medienpolitik • von

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Wie reagieren wir auf Informationen, die unseren politischen Überzeugungen widersprechen? Und welche Rolle spielen unsere Charaktereigenschaften dabei? Chiara Valli widmet sich dieser Frage mit ihrem Kollegen Alessandro Nai und stellt erste Ergebnisse vor.

Wer wir im Innersten sind, ist von zentraler Bedeutung für unser Leben. Dies besagt auch die Eigenschaftstheorie („trait theory“), die davon ausgeht, dass der Charakter eines Menschen anhand einer Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen verstanden und zusammengefasst werden kann.  Dazu gehören unter anderem die sogenannten “Big Five Personality Traits”: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Diese Persönlichkeitsmerkmale existieren in einzigartigen und individuellen Kombinationen für jeden Einzelnen von uns, sind über das Leben hinweg relativ stabil und beeinflussen die Art und Weise wie wir uns in verschiedensten Lebenssituationen verhalten. Der Einfluss zeigt sich in unseren sozialen Interaktionen, unserem Konsum von Kulturgütern, unserem Lebensstil, den beruflichen Laufbahnen, politischen Handlungen und in vielen weiteren Bereichen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Persönlichkeitsmerkmale  unser innerstes Wesen widerspiegeln und zu einem großen Teil bestimmen, wie wir mit der Welt und anderen Menschen interagieren.

Unsere Forschungsarbeit analysiert die Rolle der Persönlichkeit im Kontext der politischen Persuasion. Bestimmt die Persönlichkeit unseren Umgang mit Informationen, die versuchen unsere Meinung zu ändern? Können manche Menschen diesen Überzeugungsversuchen einfacher widerstehen? Und welche Typen von Menschen ändern ihre politische Meinung, wenn sie mit gegenteiligen Informationen konfrontiert werden? Um diese Fragen zu beantworten, untersuchen wir verschiedene Phasen des Persuasionsprozesses.

Offenheit für Erfahrung

Menschen, die offen für neue Erfahrungen sind, lassen sich gerne auf kognitive Herausforderungen ein. Da ihre intellektuelle Neugier sie ermutigt, sich über neue Themen und Ideen zu informieren, suchen sie aktiv nach Informationen, die ihren bestehenden politischen Überzeugungen widersprechen. Sie mögen die Herausforderung.

Während Offenheit die Bereitschaft fördert, sich mit kontroversen Informationen auseinanderzusetzen, scheint diese Eigenschaft jedoch keinen Einfluss darauf zu haben, wie  Menschen diese Art von Informationen verarbeiten: Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass kein Zusammenhang zwischen Offenheit und der Bewertung politischer Gegenargumente und der Reaktion auf gegensätzliche Informationen besteht. Auch dass offene Menschen mit grösserer Wahrscheinlichkeit von solchen Informationen überzeugt werden, liess sich anhand der Ergebnisse nicht zeigen.

Gewissenhaftigkeit

Gewissenhafte Personen neigen dazu, verantwortungsbewusst zu sein und sich an soziale Normen zu halten. Untersuchungen haben ergeben, dass sie sich nur ungern an politischen Gesprächen beteiligen, insbesondere wenn sie mit ihrem Diskussionspartner oder ihrer Diskussionspartnerin nicht einverstanden sind. Dies liegt vermutlich daran, dass sie Politik als ein unangemessenes Thema für höfliche Gespräche betrachten.

Wenn sie dennoch mit gegenteiligen politischen Ansichten konfrontiert werden, neigen gewissenhafte Menschen dazu, ihr Verhalten anzupassen und sehr überlegt zu handeln. Daher zögern sie, inkongruente politische Informationen öffentlich in Frage zu stellen und anzuzweifeln. Obwohl sie dazu neigen, alternative politische Argumente zu billigen und sie als vernünftig zu akzeptieren, lassen sie sich nicht so leicht davon überzeugen: Unsere Ergebnisse zeigen, dass sie sich weniger leicht von kontroversen politischen Inhalten beeinflussen lassen. Alles in allem neigen gewissenhafte Personen dazu, relativ stabile politische Überzeugungen zu haben, die sich nur schwer ändern lassen.

Extraversion

Extravertierte Personen werden oft als aktiv, energiegeladen und aufgeschlossen beschrieben. Sie fühlen sich in sozialen Interaktionen wohl und beteiligen sich daher gerne an politischen Diskussionen. Aufgrund ihrer durchsetzungsfähigen und freimütigen Art scheuen sie auch nicht vor politischen Kontroversen zurück. Unsere Ergebnisse zeigen sogar, dass sie aktiv das politische Gespräch mit Menschen suchen, mit denen sie nicht einverstanden sind. Da sie von sich und ihren Ideen überzeugt sind, halten sie auch in konfliktbeladenen Situationen an ihrer Meinung fest und versuchen, andere von ihrem Standpunkt zu überzeugen. Im Einklang damit zeigen unsere Ergebnisse, dass extravertierte Personen sich aktiv gegen  gegensätzliche politische Ansichten wehren, sie als  unzutreffend abtun und die Gelegenheit nutzen, um ihre bereits bestehenden politischen Ansichten zu untermauern.

Verträglichkeit

Verträgliche Bürger sind selbstlose, einfühlsame und vertrauensvolle Menschen, die harmonische Beziehungen zu anderen suchen. Als solche fühlen sie sich in konfliktreichen Situationen im Allgemeinen unwohl und werden versuchen, sich von Gesprächen fernzuhalten, die möglicherweise zu politischen Meinungsverschiedenheiten führen könnten. Dennoch würden sie nicht riskieren, jemanden zu beleidigen, indem sie sich aktiv aus einem kontroversen politischen Gespräch zurückziehen.

Wenn sie sich jedoch in einer kontroversen politischen Diskussion wiederfinden, neigen sie dazu, still zu bleiben und sich nicht zu Wort zu melden. Ihre Passivität sollte jedoch nicht mit mangelnder Einstellungsstärke verwechselt werden. Wenn sie mit gegensätzlichen politischen Ansichten konfrontiert werden, stärken sie ihr Selbstvertrauen, indem sie sich an Menschen erinnern, die ihre Meinung teilen. Obwohl sie zögern, ihre Meinung offen auszusprechen, ist es relativ unwahrscheinlich, dass sie von der alternativen Position überzeugt werden.

Neurotizismus

Neurotische Menschen werden gemeinhin als ängstlich, nervös und jähzornig beschrieben. Sie reagieren sehr empfindlich auf negative Ereignisse und vermeiden Konfliktsituationen, die sie emotional aufwühlen könnten. Es ist daher wenig überraschend, dass sie aktiv versuchen, den Kontakt mit gegensätzlichen politischen Ansichten zu vermeiden, insbesondere in politischen Diskussionen. Wenn neurotische Personen jedoch mit politischen Meinungen konfrontiert werden, denen sie nicht zustimmen, neigen sie dazu, mit starken negativen Emotionen wie Wut zu reagieren.

Fazit

Alles in allem legen unsere Forschungsergebnisse nahe, dass ein umfassenderes Verständnis der Persuasionsprozesse nur gelingen kann, wenn die Persönlichkeit miteinbezogen wird. Auch wenn unser Charakter nicht der einzige Grund dafür ist, dass wir neue Informationen zu einem politisch umstrittenen Thema ablehnen und bei unserer ursprünglichen Meinung bleiben, spielt unser Innerstes dennoch eine zentrale Rolle, wie wir auf Informationen reagieren, die unseren politischen Überzeugungen widersprechen.

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