Polizei nutzt Antiterrorgesetze gegen Journalisten

20. Oktober 2014 • Pressefreiheit • von

Die Europäische Gesetzgebung zum Schutz von Journalisten und ihrer Quellen wird laut der Organisation National Union of Journalists (NUJ) von der britischen Polizei unterlaufen.

Die NUJ wirft Beamten vor, unter dem Vorwand der Anwendung von Antiterrorgesetzen die privaten Telefonverbindungen von Reportern zu überwachen. Demnach nutzt die Polizei laut der Berichte in jüngster Zeit häufiger die Regelung des „Regulation of Investigatory Powers Act“ (RIPA), was nach Ansicht von NUJ eine erhebliche Bedrohung für die Pressefreiheit und auch sonstige bürgerliche Freiheiten darstellt.

Selbst Lord Falconer, ehemaliger britischer Justizminister, kritisierte die Polizei: Die ermittelnden Beamten gingen zu weit, wenn sie sich selbst die Kompetenz zuschrieben, RIPA gegen Journalisten anwenden zu können. Sie hätten seiner Meinung nach auf eine richterliche Ermächtigung warten sollen, bevor sie die Daten der Telefonanschlüsse von mindestens drei britischen Journalisten anforderten.

Falconer bezog sich auf zwei sehr öffentlichkeitswirksame Fälle, in denen Polizisten erst kürzlich Telekommunikationsgesellschaften aufforderten, ihnen die Belege über Telefonate bestimmter Journalisten auszuhändigen.

Der erste Fall, der unter dem Begriff Plebgate bekannt wurde, hängt mit einer Recherche zur Auseinandersetzung zwischen einem früheren Kabinettsmitglied der britischen Regierung und Polizisten am Londoner Regierungssitz zusammen. Bei der zweiten Recherche ging es um den Fall einer strafrechtlich relevanten Geschwindigkeitsüberschreitung, in die der frühere Abgeordnete Chris Huhne verwickelt war.

Die Zeitung The Sun hat eine offizielle Beschwerde bei der Ombudsstelle für Verstöße der Ermittlungsbehörden eingereicht. Sie fordert eine öffentliche Untersuchung darüber, ob die Polizisten ihre Kompetenzen überschritten haben, als sie von Vodafone die Daten des Sun-Politikredakteurs Tom Newton Dunn forderten. Er hatte zu Plebgate recherchiert.

Die Zeitung geht davon aus, dass die Aktionen der Polizei einen Angriff auf die freie Presse darstellen. The Sun kommentiert: „Eine freie Presse ist fundamentaler Bestandteil all unserer Freiheiten. Und um freie Pressearbeit zu gewährleisten, ist es notwendig, dass Journalisten die Identität ihrer Quellen schützen können.“

Nach europäischem Recht müssten Polizisten zunächst eine richterliche Erlaubnis einholen, um die private Telekommunikation einer Person abzugreifen. Doch unter RIPA benötigt die Polizei nur die Einwilligung eines leitenden Beamten.

Die Polizei gab zu, dass sie sich auf diesem Wege die Telefonverbindungen von zwei leitenden Redakteuren der Mail on Sunday beschafft habe, die zum Fall Chris Huhne recherchierten. Gavin Miller, britischer Generalanwalt, der den Eigentümer der Mail on Sunday (DMG Media-Gruppe) im Zusammenhang mit der Recherche rund um Chris Huhne vertritt, gibt zu bedenken, dass RIPA 2000 in Kraft trat, um Terrorismus zu bekämpfen. Auch Sir Ian Blair, früherer Chef der Londoner Polizei, machte noch einmal deutlich, dass RIPA nie dazu gedacht war, um Informationen über Journalisten zu sammeln. Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson forderte zudem eine Gesetzesreform, damit Polizisten künftig eine richterliche Genehmigung einholen müssen, bevor sie gegen Journalisten ermitteln.

Die Anwendung von RIPA verteidigte der Sprecher der Polizei sowohl im Plebgate-Fall als auch bei den Recherchen um Chris Huhne damit, dass es manchmal wichtiger sei, „höhere Güter für Ordnung und Gerechtigkeit“ zu schützen als vertrauliche journalistische Quellen. Dennoch gestand der Sprecher ein, dass andere rechtliche Grundlagen für polizeiliche Ermittlungen über Journalisten und ihre Kontakte nötig seien.

Medienrechtler und Pressefreiheitsaktivisten sehen die bisherigen Entwicklungen jedenfalls mit Sorge, da die Anwendung von RIPA sehr intransparent ist und kaum kontrollierbar scheint. NUJ gibt an, die Polizei habe RIPA heimlich genutzt und könnte – bisher unentdeckt – auch die Telefonverbindungen weiterer Journalisten beobachten.

Das erscheint angesichts einer Veröffentlichung der UK Press Gazette, einer Branchenpublikation, nicht ganz unrealistisch. Sie führt momentan eine Kampagne zum Schutz journalistischer Quellen durch und hat in dem Zuge auch Polizeikräfte im gesamten Land aufgefordert, ihren Umgang mit RIPA im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Journalisten offen zu legen. Das Ergebnis: 25 Ermittlungseinheiten haben bisher jede Antwort auf ihre Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz verweigert, 17 Einheiten verweigern eine Anfrage wegen des bürokratischen Kostenaufwandes der Erhebung der Daten und neun Einheiten gaben an, eine Veröffentlichung der Informationen stelle ein Risiko für die nationale Sicherheit dar.

Bildquelle: flickr.com, Graham Binns

 

 

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