Karol Jakubowicz, polnischer Medienwissenschaftler und Medienexperte des Europarats, erläutert im Gespräch mit dem Central European Journal of Communication, welche Auswirkungen die neuen Medien und Technologien auf Osteuropa haben.
Innerhalb Osteuropas müsse man zwischen zwei Arten von Ländern unterscheiden, um den Einfluss neuer Technologien aufzuzeigen: Die demokratisch ausgerichteten und die weniger demokratisch ausgerichteten. In den demokratisch ausgerichteten Ländern Osteuropas trügen die neuen Medien und Technologien ebenso wie in Westeuropa zur Gestaltung des öffentlichen Raums und des politischen Prozesses bei, erklärt Jakubowicz. Blogosphäre, Bürgerjournalismus und soziale Netzwerke würden als Foren für den Austausch politischer Ideen fungieren und zur Mobilisierung politischer Anhänger dienen.
Vor allem im Fall eines politischen Konflikts komme den neuen Technologien – allen voran Internet und Mobiltelefonie – eine große Bedeutung zu.
Als Beispiel führt Jakubowicz die Proteste in Moldawien 2009 an: Zwei Tage nach der Wahl gingen mehr als 10.000 Demonstranten auf die Straße, die der kommunistischen Regierung Wahlfälschung vorwarfen und eine Wiederholung der Wahl forderten. Der Aufruf zur Massendemonstration sei hauptsächlich auf Facebook und Twitter gestartet worden, so Jakubowicz.
Ein anderes Beispiel für den Einfluss der neuen Medien auf die Politik seien die Protestbewegungen gegen die linksgerichtete Regierung in Ungarn 2006. Auslöser war die Veröffentlichung einer internen Ansprache des Ministerpräsidenten Gyurcsanys in der Fraktion der Sozialistischen Partei, in der er erklärte, dass er die Öffentlichkeit vor der Parlamentswahl in Bezug auf die Wirtschaft und Staatsfinanzen des Landes angelogen habe.
Hauptkommunikationsmittel der politisch rechts gerichteten Demonstranten in Ungarn sei das Internet gewesen. Auch wenn die Proteste 2006 keine politischen Veränderungen auslösten, habe das Internet den politischen Gruppen ermöglicht, Informationen auszutauschen, politische Ziele zu kommunizieren, Sympathisanten zu gewinnen und ihre Version der Ereignisse zu veröffentlichen.
In den weniger demokratisch entwickelten Ländern sei das Internet wahrscheinlich der einzige Ort, wo regimekritische und oppositionelle Ideen geäußert werden können, so Jakubowicz – allerdings nicht gänzlich uneingeschränkt, da auch die jeweiligen Regierungen das Potential der neuen Medien erkannt hätten und nun einiges dafür täten, es zu begrenzen.
So zählt die NGO Reporter ohne Grenzen (ROG) Belarus und Russland zu den „Feinden des Internets“. Laut ROG war das Internet bis 2011 in Belarus der einzige Ort, an dem Freiheit geherrscht habe. Seitdem die belarussische Regierung jegliche Online-Aktivitäten beobachte und reguliere, sei es auch mit der Freiheit im Internet vorbei.
In Russland, so ROG, hätten Politiker ihre gewohnten Taktiken der Unterdrückung und Zensur – physische Gewalt bis hin zu Mord – mit subtileren Formen ergänzt, so z. B. mit beschwerlichen Registrierungsauflage für Websites, inhaltlichen Beschränkungen für Online-Inhalte und zeitweiligem Lahmlegen von Websites unabhängiger Medien.
Jakubowicz bezeichnet die neuen Medien und Technologien in Ländern wie Belarus und Russland als „neues Schlachtfeld“ für den altbekannten Kampf zwischen Freiheit und Demokratie und der Erhaltung des autoritären Regimes.
Hier geht es zum Interview mit Karol Jakubowicz im Central European Journal of Communication (auf Englisch).
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