Corona-Pandemie wirkt sich weltweit massiv auf die Freiheit der Medien aus

5. Juni 2020 • Internationales, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Mitte März haben wir eine Serie gestartet, die beleuchtet, wie weltweit über die Corona-Krise berichtet wird. Die Einblicke demonstrieren, wie schlecht es derzeit um die Pressefreiheit in vielen Ländern rund um den Globus bestellt ist. Wir geben hier einen Überblick über die gravierendsten Einschnitte.

Dass unabhängige und freie Medien unverzichtbar für die Demokratie sind, zeigt sich gerade jetzt in der Corona-Krise. Es ist wichtig, dass Journalistinnen und Journalisten das Geschehen rund um die Pandemie analysieren, einordnen und kritisch hinterfragen. In vielen Ländern der Welt schränken Regierungen aber die Pressefreiheit ein – oder nutzen die Corona-Pandemie sogar, um sie weiter auszuhöhlen. „Die Corona-Pandemie bündelt bestehende repressive Tendenzen weltweit wie ein Brennglas“, sagte Katja Gloger, Vorstandssprecherin von Reporter ohne Grenzen, im April anlässlich der Veröffentlichung der neuen Rangliste der Pressefreiheit.

Europa

Wer in Ungarn Falschnachrichten oder „verzerrte Tatsachen“ über die Maßnahmen der Orbán-Regierung gegen die Pandemie verbreitet, kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Möglich macht dies ein neues Ermächtigungsgesetz, das das ungarische Parlament Ende März billigte. „Jede Veröffentlichung, [die die Regierung kritisiert], könnte unter Verdacht gestellt werden, die Fakten zu verzerren und das Risiko einer Gefängnisstrafe mit sich bringen“, sagt die ungarische Medienwissenschaftlerin Ágnes Urbán, die als Medienanalystin bei Mérték Media Monitor tätig ist, eine ungarische NGO, die sich mit aktuellen Fragen der Medienfreiheit, der Medienregulierung und der Medienpolitik in Ungarn beschäftigt. Selbst wenn die Journalisten verlässliche und gut recherchierte Quellen hätten, sei es ihnen nun nicht mehr möglich, unabhängig zu berichten, so Urbán.

Auch in Serbien will die Regierung den Informationsfluss kontrollieren und zeigt sich feindselig gegenüber unabhängigen Medien. Ende März wurde ein Erlass verabschiedet, mit dem sichergestellt werden sollte, dass Journalisten ihre Informationen direkt vom Pandemie-Krisenstab der Regierung beziehen und keine „inoffiziellen“ Quellen nutzen. Es habe nicht lange gedauert, bis ein Journalist mit diesem Erlass in Konflikt geraten sei, schildert Medienexpertin Milica Stojanovic in ihrem Beitrag für das EJO. So habe die Journalistin Ana Lalić am 1. April auf der Nachrichtenwebsite Nova.rs einen Artikel über die schlechten Arbeitsbedingungen und den Mangel an Schutzausrüstung für das Personal eines Krankenhauses in Novi Sad, der Hauptstadt der Provinz Vojvodina, veröffentlicht. Wenige Stunden nach Erscheinen des Artikels erstattete das Sekretariat für Gesundheit der Provinz Strafanzeige, und kurz darauf wurde Lalic verhaftet. Sie wurde angeklagt, Panik und Unruhe verursacht zu haben. Zwar wurde sie nach einer Nacht in Haft wieder freigelassen, die Strafanzeige gegen sie wurde aber erst Ende April fallengelassen: Nach einem internationalen Aufschrei und den Protesten von Seiten des Europarats und internationalen Organisationen, die sich für Medienfreiheit einsetzen, hob die Regierung den Erlass wieder auf.

Rumänien zählt auch zu den Ländern, in denen die Regierung ihre Deutungshoheit über ihr Krisenmanagement behalten möchte. So darf das Innenministerium laut einem Präsidentendekret Online-Falschinformationen zur Corona-Pandemie unterbinden – was bedeutet, dass es die Löschung oder Blockierung von Artikeln und ganzen Websites veranlassen darf. „Die Verbreitung von Falschinformationen im Internet sollte auf keinen Fall unterschätzt werden“, sagt die rumänische Medienexpertin Dumitrita Holdis, „eine aktive Zensur ist jedoch kein Lösungsansatz, sondern ist höchst kontraproduktiv. Die Tatsache, dass ein intransparenter Staat versucht, Informationen zurückzuhalten, könnte wiederum unseriöse Quellen legitimieren.“

In Albanien wurde ein ähnliches Gesetz schon vor der Corona-Pandemie verabschiedet. Im Dezember erhielt die Medienaufsichtsbehörde neue Kompetenzen und kann seitdem Falschinformationen von Websites entfernen lassen.  Wie problematisch das Verhältnis zwischen der Regierung und den Medien auch in der Corona-Krise sei, zeige eine Sprachmitteilung des Premierministers Edi Rama vom 12. März an Millionen von Mobiltelefonnutzern, so die Wissenschaftlerin und Journalistin Valbona Sulçe aus Tirana. Rama habe darin die Öffentlichkeit aufgefordert zu Hause zu bleiben, sich die Hände zu waschen – und sich vor den Medien zu schützen. In einer späteren Textversion dieser Nachricht habe es dann allerdings geheißen, die Albaner sollten sich vor Falschinformationen in Acht nehmen.

Asien

Zu Beginn des Ausbruchs in Wuhan wurde in Chinas Medien, die stark unter der Kontrolle der Regierung stehen, die Existenz einer neuen Krankheit verheimlicht und verharmlost. Erst ab Mitte Januar fand eine ausführlichere Berichterstattung statt. Dabei wurden die Reaktionen der chinesischen Regierung gepriesen und Vergleiche mit dem Westen zugunsten Chinas vorgenommen, das einen verantwortungsvollen Umgang mit der Krankheit vorgelebt habe und andere Länder nun unterstütze, erläutert Zhan Zhang, Research Fellow am China Media Observatory am Institut für Medien und Journalismus (IMeG) der Università della Svizzera italiana (USI).

Das Vertrauen der Iraner in ihre Medien ist schwach, da diese als staatsnah und kontrolliert gelten und es an Transparenz und Fact-Checking fehlt. Der iranische Jouranlist Khosro Kalbasi wirft den Medien vor, Informationen zurückzuhalten und Verschwörungstheorien zu verbreiten – zum Beispiel, dass das Virus eine Biowaffe der USA oder nur „westliche Propaganda“ sei.  Fast alle Medien sind finanziell von der Regierung abhängig, deshalb äußert sich Kritik hauptsächlich aus dem Ausland – zum Beispiel kritisierten amerikanische und europäische Medien die iranischen Medien für ihren Umgang mit der Krankheit. Oft werden in der Corona-Berichterstattung Regierung und Armee für ihre Bemühungen gelobt, andere Länder aber kritisiert und, mit Bezug auf die aktuelle Krise, das Aussetzen der Sanktionen gegen den Iran gefordert.

Afghanistan trifft die Corona-Pandemie in einer ohnehin anhaltenden Krise. Die Medienlandschaft ist fragmentiert: Während Regierungsmedien vor allem aufklären und die Regierung loben, haben verschiedene private nationale und internationale Medien, darunter BBC World Service, sich zusammengeschlossen, um Inhalte über Covid-19 zu teilen. Nicht-staatliche Medien kritisieren, die Regierung verschleiere tatsächliche Infektionszahlen und vernachlässige Flüchtlinge und die Ärmsten.

Suruchi Mazumdar von der O.P. Jindal Global University beobachtet in Indien: „Als die Coronavirus-Berichterstattung ab Ende März ihren Höhepunkt erreichte, wurden führende Zeitungen, Nachrichtensender und soziale Medienplattformen wie Twitter – im Einklang mit der Politik der BJP – zu Foren für nationalistische Sentiments und Fehlinformationen“. Die Regierung forderte Medien nach dem Lockdown auf, nur „positive“ Nachrichten zu veröffentlichen und soll außerdem mit Budget- und Werbekürzungen, Klagen, Drohungen und Angriffen gegen kritische Journalisten vorgegangen sein. Unabhängige Medien kritisierten Lücken in den staatlichen Schutzmaßnahmen. Auch in Pakistan hat die Regierung Medien davor gewarnt, dass „Panikmache“ strafrechtlich verfolgt werde.

In Bangladesch wurden Nachrichten über Covid-19 zunächst zurückgehalten, um die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des Staatsgründers nicht zu gefährden, berichtet Journalist Hossain An Nahid. Soziale Medien sind wichtige alternative Quellen – hier werden aber auch die meisten Fake News geteilt.  Einige Medien erwähnen die kritische Versorgungslage der Landbevölkerung und in Flüchtlingslagern. Human Rights Watch kritisiert Repressalien gegen Journalisten, die kritisch über die Corona-Maßnahmen berichtet hatten.

Die nepalesische Regierung hat zunächst die Bedrohung durch Corona heruntergespielt. Private Medien allerdings berichteten immer wieder über die Brisanz der Situation. Kritische Artikel in Online-Zeitungen wurden teils unter dem Druck der Autoritäten wieder gelöscht. Die chinesische Botschaft in Kathmandu bedrohte in einem offiziellen Statement Mitarbeiter einer Zeitung, die sich kritisch gegenüber Chinas Corona-Politik geäußert hatten. „Das war womöglich der extremste Angriff einer ausländischen Macht auf eine Zeitung oder Journalisten in Nepal, wo die Verfassung eine „vollumfängliche Pressefreiheit“ versichert“, so Journalismus-Professor Lekhanath Pandey.

Auch in Zentralasien stehen der Bevölkerung teils nur offizielle Regierungsinformationen zu Covid-19 zur Verfügung. In Usbekistan ist für viele Journalisten ein von der Regierung eingerichteter Telegram-Kanal, der aktuelle Informationen über die Verbreitung des Virus im Land veröffentlicht, die Hauptinformationsquelle. Neben der Zahl der Erkrankten geht es vor allem um die Maßnahmen, die von der Regierung ergriffen werden.

In der Türkei ist es für kritische Journalisten schwer, Zugang zu offiziellen Quellen zu erhalten. Regierungsnahe Medien veröffentlichen unkritisch die Aussagen des Gesundheitsministeriums. Im Fernsehen tauchten vermeintliche „Experten“ auf, die das Virus religiös interpretierten oder Fake News als wissenschaftliche Fakten präsentieren.

Afrika

Covid-19 erreicht Afrika in einer Zeit, die ohnehin von Krisen und Aufständen geprägt ist.

In Algerien bestimmen seit über einem Jahr Massenproteste gegen das Regime das Land. Bis zum Ausbruch der Pandemie zogen jeden Freitag Hirak-Demonstranten zu Tausenden friedlich durch die Straßen von Algeriens Städten. Das Militär greift mit zunehmender Härte durch und richtet sich gezielt gegen kritische Journalisten und Medien. Mehrere Nachrichtenwebseiten sind gesperrt, deren Redaktionen aufgelöst oder Journalisten inhaftiert. Die Verhaftung von Journalist und Korrespondent Ghaled Drareni sorgte für Entsetzen – zumal das Risiko, sich in den überfüllten Zellen mit dem Coronavirus zu infizieren, hoch ist. Jüngst verabschiedete die Regierung ein Gesetz gegen die Verbreitung von Fake News, die sich zur Pandemie ausgebreitet haben. Doch wie in anderen Ländern auch dient dieses nicht einem ehrlichen Kampf gegen Fehlinformation. Es ist vielmehr ein weiteres Instrument, unabhängigen Journalismus im Land zu zensieren, bewertet Algerien-Expertin Caroline Lindekamp die Gesetzesnovelle. Sie ist Journalistin und hat sich in ihrer Promotion auf Medien in den Maghreb-Staaten spezialisiert. Zuletzt verabschiedete sich die satirische Nachrichtenseite El Manchar von seinen über 700.000 Followern. Die Entscheidung habe man unter Druck getroffen, heißt es im letzten Facebook-Post der Redaktion: „Hoffentlich sehen wir uns irgendwann in einem besseren Algerien wieder.“

Auch In Marokko, das im Ranking von Reporter ohne Grenzen Platz 133 von 180 belegt, wurden die Medien bereits vor dem Ausbruch des Virus unterdrückt. Um kritische Stimmen verstummen zu lassen, eignet sich das Regime ganze Medienunternehmen an, oppositionelle Journalisten wie Omar Radi werden verhaftet. Die Journalisten Aida Alami und Salaheddine Lemaizi berichten auf EJO von restriktiven Pressegesetzen, die im Verlauf der Corona-Krise erlassen wurden und dazu führen, dass sich Journalisten selber zensieren.

In Tunesien ist die Regierung die Hauptquelle für Infektionszahlen und Hinweise zum Umgang mit der Pandemie und stellt damit ein einflussreiches Monopol dar, schreibt Abdelkrim Hizaoui, Journalismus-Professor und Leiter des Arab Journalism Observatory (AJO). Auf dem gesamten Kontinent befeuert dieses Prinzip die allgegenwärtige Gefahr der Fake News, die in vielen politisch geschwächten Staaten Afrikas ohnehin schon ein Problem sind und sich vor allem über die sozialen Netzwerke, allen voran Facebook, und über die Video-Plattform YouTube ausbreiten.

Im Fokus vieler Medien steht zudem der Blick auf die Schwächen der Gesundheitssysteme. In den ost- und westafrikanischen Staaten Elfenbeinküste, Guinea-Bissau, Kenia und Uganda sorgen sich Journalisten um die medizinischen Kapazitäten und leisten einen bedeutenden Teil der gesundheitlichen Aufklärung, um beispielsweise zu verhindern, dass sich Menschen durch „Behandlungsmethoden“, von denen sie im Internet gehört haben, selbst in Gefahr bringen. Dasselbe Problem tut sich auch in Südafrika auf: Hier bezweifeln Journalisten die Fähigkeit des nationalen Gesundheitssystems, die Krise zu bewältigen.

Die Medienwissenschaftler Michael Yao Wodui Serwornoo und Rachel Abrokwah sehen die Situation in Ghana kritisch, auch dort nutzt die Regierung die Krise, um verstärkt Einfluss auf die Medien zu nehmen: Sie droht Medien mit einem Lizenzentzug, sollten diese „Unwahrheiten“ verbreiten. Eine genaue Definition gibt es dafür nicht – jeder, der zu kritisch berichtet, kann als Lügner deklariert und stummgeschaltet werden.

 

Bildquelle: pixabay.com 

 

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