Die Vielschichtigkeit im Umgang mit Konflikten: Radiojournalistinnen in Burkina Faso

17. November 2022 • Aktuelle Beiträge, Forschung aus 1. Hand, Internationales, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Einseitige Darstellungen und voreingenommene Daten können das Wissen, das wir über den Umgang der Medien mit Konflikten haben, verzerren. In ihrem Dissertationsprojekt geht Viviane Schönbächler auf neue Perspektiven ein, die oft unsichtbar bleiben: Die der Journalistinnen in Lokalradios in Burkina Faso. Als Frauen in Lokalmedien außerhalb der einfach zugänglichen Großstädte werden ihre Stimmen nur selten bis in die Wissenschaft getragen. Jedoch erlaubt es diese Perspektive, neue Aspekte der Konfliktberichterstattung und der täglichen Arbeit von Radiojournalistinnen wahrzunehmen. So wird sichtbar, wie es Frauen gelingt, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, einen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen und Beziehungen aufzubauen, durch die sie direkt und indirekt an Konfliktlösungen teilhaben können.

Die aktuellen Krisen und Konflikte führen uns wieder vor Augen, wie komplex und schwierig es ist, über Konflikte zu berichten. Besonders wenn man selbst direkt oder indirekt betroffen ist. Schaut man sich jedoch die wissenschaftlichen Studien zu diesem Bereich an, stellen Forscher:innen fest, dass es an fundierten theoretischen Arbeiten mangelt und dass die Datenlage auf einer sehr begrenzten, relativ homogenen Gruppe basiert, nämlich die der überwiegend europäischen männlichen Auslandberichterstatter. Richard Stupart, der die Soziologie der Konfliktberichterstattung im Südsudan untersuchte, stellt sich hierbei die Frage: Was können wir überhaupt über Konfliktberichterstattung wissen, wenn die Erfahrungsgrundlage dieses Wissens so beschränkt ist? Die Dissertation von Viviane Schönbächler «Journalistinnen im Lokalradios: Zugang, Interaktion, Partizipation an Konfliktlösungs- und Transformationsprozessen in Burkina Faso» setzt an diesem Punkt an und untersucht die Erfahrungen im Umgang mit Konflikten von Journalistinnen in Lokalradios, außerhalb der gesättigten Medienlandschaften der Großstädte in Burkina Faso. Denn anders als viele internationale Auslandskorrespondent:innen leben Lokaljournalist:innen oft in den Konfliktgebieten, über die sie sprechen.

Lokalradios und Konflikte

Lokalradiosender (auch Bürgerradios genannt) in Burkina Faso bieten vielseitige Räume für die Bearbeitung von Konflikten. Auf Sendung nutzen sie verschiedene Ansätze, um über Konflikte zu sprechen. Diese umfassen traditionelle Nachrichtenformate, aber auch kulturelle und performative Formate mit Einbezug der Hörer:innen. Darüber hinaus engagieren sich die Sender in friedensfördernden Projekten und sozio-kulturellen Veranstaltungen, um das Zusammenleben zu stärken.

Konflikte in Burkina Faso

Gesellschaften überall auf der Welt sind geprägt von Konflikten, die meist ohne Waffengewalt gelöst werden. In Burkina Faso analysierte die Dissertation viele verschiedene gesellschaftliche Konflikte: Interpersönliche Konflikte zwischen Nachbarn, Landkonflikte, politische Konflikte, aber auch Konflikte um Werte und Traditionen. Die Sicherheitslage in Burkina Faso ist komplex und hat sich in den letzten Jahren sehr verschlechtert. Aus globaler Sicht ist die Krise mit transnationalen terroristischen Gruppen wie Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) und dem Islamischen Staat in der Großsahara (IS-GS) verbunden. Diese transnationalen Netzwerke operieren hauptsächlich in Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad und dehnen sich weiter auf die Küstenländer (Benin, Togo, Elfenbeinküste) aus. Terroristische Gruppen und kriminelle Netze haben sich in den letzten Jahren ausgeweitet und weite Netze illegaler Aktivitäten wie Drogenhandel, Menschenhandel und illegalen Bergbaus aufgebaut. Es sind jedoch auch neben der Ausweitung des Terrors wichtige einheimische Gruppen wie Ansarul Islam im Soum entstanden, die sich auf lokale politische, wirtschaftliche und soziale Missstände beziehen. Die derzeitige Krise in Burkina Faso hat laut OCHA zu fast 2 Millionen Binnenvertriebenen geführt und Tausende von Schulen wurden geschlossen. Viel zu viele Menschen mussten ihr Leben lassen.

Die komplizierte Sicherheitslage in Burkina Faso hat zu neuen Spannungen zwischen den Radiomacher:innen und ihrer Umgebung geführt. Einschüchterungsversuche zusammen mit den begrenzten Ressourcen der Radiosender führen oft zu Selbstzensur, um sich vor bewaffneten Gruppen und staatlichen Maßnahmen, welche die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken, zu schützen. Die Radiosender verbleiben dabei aber nicht passiv. Sie passen sich der Situation an und erlangen ihre Handlungsfähigkeit wieder, indem sie über neue Themen sprechen, abstraktere Blickwinkel verwenden oder auf Stimmen von ‚außen‘ zurückgreifen (z.B. durch externe Produktionen, Synchronisierung von Beiträgen oder Experten). Dieser letzte Punkt offenbart ein Spannungsfeld zwischen Stimme und Schutz (voice vs. protection): Einerseits ist das Radio umso gefährdeter, je mehr Handlungsspielraum und Mitspracherecht der Hörerschaft eingeräumt wird (partizipative Ansätze). Andererseits fühlen sich Radiomacher:innen oft weniger exponiert, je mehr das Radio auf Stimmen von außen zurückgreift.

Journalistinnen in Lokalradios

Die intersektionale Perspektive der hier vorliegenden Forschungsarbeit erlaubt es, über das Geschlecht hinaus zu blicken und wirtschaftliche, bildungsbezogene, standortbezogene, religiöse und relationale Faktoren zu erkennen, die den Zugang von Frauen zum journalistischen Beruf, ihre Aufstiegschancen und die Arbeitsbedingungen beeinflussen. Die größten Herausforderungen hängen mit gesellschaftlichen Normen zusammen, die eine vermeintliche Unvereinbarkeit des Journalismus mit dem «Frausein» konstruieren, vor allem durch patriarchale Vorstellungen von der reproduktiven Rolle der Frau. Dies spiegelt sich zum Beispiel in der Berufstätigkeit wider: Laut des Zensus 2019 sind 51,8% der Männer berufstätig, während es bei den Frauen nur 35,2% sind. Heirat und Kinderbetreuung stellen daher besondere Herausforderungen für Journalistinnen dar und führen häufig zu einem Dilemma zwischen Arbeit und Familie. Die prekäre finanzielle und materielle Lage vieler Lokalradios führt zu der weit verbreiteten Praxis, diesen Mangel durch persönlichen Einsatz und Mittel der Journalist:innen zu überbrücken. Dieser Prozess, Mängel der Sender zu überbrücken, verstärkt jedoch intersektionale Ungleichheiten. Für viele Journalistinnen ist Radiomachen eine Leidenschaft, die sie bestärkt, diese Hindernisse zu überwinden.

Das Selbstbild vieler Journalistinnen, ihre Sensibilität für geschlechterspezifische Ungleichheiten sowie Praktiken und Normen, die Frauen bestimmte Themenfelder zuschreiben, erklären das Phänomen der horizontalen Segregation. Horizontale Segregation weist Journalistinnen oft frauenspezifische Themen zu. Zum Beispiel sind Journalistinnen häufiger in «Frauensendungen» zu hören, oder in Bezug auf Bildung, Reproduktionsgesundheit, Familie, Kindererziehung, etc. Dies kann einerseits eine Chance sein, eine Gegenöffentlichkeit zu bedienen oder gegenhegemoniale Diskurse zu verbreiten. So können diese Radioprogramme und die Stimmen der Frauen auf Sendung dazu beitragen, das Bewusstsein für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die Situation der Frauen zu schärfen oder gar mit Tabus und Stereotypen zu brechen. Andererseits werden frauenspezifische Inhalte nicht immer gleich wertgeschätzt wie andere Inhalte und können daher leicht verdrängt werden, wenn Sendezeit benötigt wird. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde als Beispiel eine Sendung über häusliche Konflikte herangeführt, die durch ein Entwicklungsprojekt zur Familienplanung ersetzt worden ist. Das Thema häusliche Gewalt wurde in dem Fall nicht mehr in der Gemeinschaft öffentlich diskutiert. Die horizontale Segregation ist also nicht per se ein Problem, wohl aber die Tatsache, dass den Programmen von Frauen weniger Bedeutung beigemessen wird.

Der Beitrag von Journalistinnen zu Konfliktlösungs- und Transformationsprozessen

In der vorliegenden Dissertation werden schließlich fünf Aspekte sichtbar, durch die Journalistinnen einen Beitrag zu Konfliktlösungs- und Transformationsprozessen leisten: Journalistinnen können einerseits durch Projekte (1) mit einer Medien- oder Kommunikationskomponente Zugang zu Konfliktlösungs- und Transformationsprozessen erhalten. Obwohl sie von der strategischen Entscheidungsfindung meist ausgeschlossen sind, können Journalistinnen die Projekte als Umsetzerinnen, Übersetzerinnen, Moderatorinnen oder Gruppenleiterinnen auf der täglichen Arbeitsebene mitgestalten. Des Weiteren können Journalistinnen durch ihre Berichterstattung (2), die Wahl der Quellen und ihre Übersetzungs- und Erzählpraktiken den Inhalt des Radios und den Diskurs über Frieden, sozialen Zusammenhalt und Konfliktlösung beeinflussen. Darüber hinaus können Journalistinnen eine Rolle dabei spielen, vielfältigere Kanäle für die Interaktion anzubieten und ‚leise‘ Interaktionen zu verstärken (3). Auf diese Weise kann ungehörten Stimmen über die Radiowellen Gehör verschafft werden. Journalistinnen leisten aber auch einen direkteren Beitrag zu Konflikttransformations- und Konfliktlösungsprozessen. Wenn es um ihre eigenen Radiosendungen geht, bringen Journalistinnen ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Kontrolle zum Ausdruck. Aufgrund der Dynamik, die zur horizontalen Segregation führt, können Journalistinnen diese Räume nutzen, um Anliegen anderer Frauen und Tabus zu thematisieren (4), über die sonst in der Öffentlichkeit nicht gesprochen wird. Auf diese Weise können Journalistinnen dazu beitragen, dass die Anliegen der Frauen ernst genommen werden. Wichtig hervorzuheben ist, dass Journalistinnen durch ihre Arbeit im Radio auch einen höheren sozialen Status erlangt und ihr Beziehungsnetz ausgeweitet haben. Diese erworbenen persönlichen, relationalen und gesellschaftlichen Kompetenzen können Journalistinnen nutzen, um sich direkt in Konfliktlösungen einzubringen (5), wenn sie zum Beispiel als Mediatorinnen angefragt werden.

Anhand dieser Analyse konnte die Dissertation die Komplexität und die Bandbreite der Ansätze aufzeigen, die Journalistinnen in Lokalradios einsetzen können, um zum Frieden beizutragen. Eine wichtige Erkenntnis aus dieser Analyse ist, dass Journalist:innen nicht bloß durch mediale Praktiken eine Rolle in der Gesellschaft spielen können, sondern auch durch ihre interpersönlichen Beziehungen und ihr Engagement (in Projekten und Vereinigungen) einen wichtigen Beitrag leisten. Umso wichtiger ist es, die Diversität und Vielseitigkeit von Journalist:innen wertzuschätzen und zu fördern.

 

Die Dissertation „Women Journalists in Proximity Radio: Access, Interaction, Participation in Conflict Resolution and Transformation Processes in Burkina Faso“ von Viviane Schönbächler ist an der Ruhr Universität Bochum als Teil der Medas 21 – Graduiertenschule  verfasst und Anfang September 2022 eingereicht worden.

 

Referenzen und Quellen

Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Konfliktporträt Burkina Faso, 2021.

INSD, “Cinquième Recensement Général de la Population et de l’Habitation du Burkina Faso” [Fünfter allgemeiner Zensus], 2022.

International Crisis Group, “The Social Roots of Jihadist Violence in Burkina Faso’s North”, Report N.254, 2017.

OCHA, “Burkina Faso: Aperçu de la situation humanitaire (Au 30 juin 2022)”, 2022.

Stupart, R. (2021). “Precarity, technology, identity: the sociology of conflict reporting in South Sudan”. In J. M. Maweu & A. Mare (Eds.), Media, Conflict and Peacebuilding in Africa: Conceptual and Empirical Considerations (pp. 197–209). Routledge Taylor & Francis Group.

Bildquelle: pixabay

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