Das Verhältnis zwischen Polizisten und Journalisten ist komplex und immer wieder von Konflikten oder sogar Gewalt geprägt. Um diese Situation zu verbessern, haben mehrere europäische Organisationen, die sich für Pressefreiheit einsetzen, einen Verhaltenskodex für die Polizei herausgegeben.
Über wenige Berufsgruppen gibt es so viele Vorurteile wie über Journalisten und Polizisten – und diese Vorurteile nähren sich teilweise gegenseitig. Der im Dezember veröffentlichte „Pressefreiheitskodex für die Polizei“ soll hier Abhilfe schaffen. Der Kodex, den das European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) gemeinsam mit Partnerorganisationen herausgegeben hat, stellt erstmalig europaweit geltende Richtlinien für das Verhalten der Polizei gegenüber Journalisten aufstellt. Er beinhaltet mehrere Szenarios, in denen beide Gruppen aufeinandertreffen, von Demonstrationen und Protesten bis hin zur Überwachung von Journalisten und deren Quellen.
Eine wichtige Frage, die auch Peter Smets vom Europäischen Gewerkschaftsverband von Polizeigewerkschaften in der Europäischen Union (EuroCOP) beim Launch in Brüssel thematisierte, lautete: „Warum muss man sich besonders um Journalisten in dieser Hinsicht Gedanken machen? Viele Arten von Fehlverhalten sollten gegenüber allen anderen Bürgern ebenso vermieden werden wie gegenüber Journalisten.“ Das ist wahr. Rechte wie das der freien Meinungsäußerung müssen allen Bürgern garantiert sein. Die Pressefreiheit verdient aber einen besonderen Schutz, weil sie dazu dient, das Recht der Bürger auf Information zu gewährleisten.
Der „Pressefreiheitskodex für die Polizei“ ist in acht Richtlinien unterteilt, die Knackpunkte der Beziehung zwischen Polizei und Journalisten thematisieren.
- Jegliche Gewalt, die von Mitarbeitern der Polizei gegen Journalisten ausgeübt wird, ist inakzeptabel.
- Journalisten haben das Recht, Informationen zu sammeln und die Polizei hat die Pflicht, sie dabei vor ungebührlichen Beeinträchtigungen zu schützen, vor allem im Kontext von Demonstrationen.
- Journalisten haben das Recht, Polizeimitarbeiter zu identifizieren, zu dokumentieren und sich über deren Arbeit zu informieren.
- Die Polizei darf keine Fotos löschen oder Material beschlagnahmen, wenn sie dazu keine offizielle Berechtigung hat.
- Journalisten dürfen nicht kriminalisiert, diskriminiert oder wegen ihrer vorgeblichen politischen Einstellungen ausgeschlossen werden.
- Journalisten dürfen nicht unter Polizeiüberwachung gestellt werden.
- Wenn die Polizei Rechte von Journalisten behindert, Journalisten bedroht, belästigt oder angreift, müssen diese Geschehnisse von unabhängigen Stellen öffentlich gemacht werden.
- Die Polizei sollte regelmäßig über die Rechte von Journalisten informiert und ausgebildet werden.
Zur Analyse dieser Richtlinien richte ich den Blick zunächst auf körperliche Gewalt, die zum Beispiel während Demonstrationen oder Streiks vorkommen. Alleine 2019 gab es mehrere Fälle, in denen Polizisten während Demonstrationen gewalttätig gegen Journalisten vorgegangen sind – zum Beispiel während der Gelbwestenproteste in Frankreich. Auch während der Mobilisierung zur Unabhängigkeit Kataloniens soll es zu fast 70 Vorfällen gekommen sein. Dazu zählen könnte man auch rechtsextreme Demonstrationen in Deutschland, bei denen Polizisten nicht eingriffen, als Journalisten von Demonstranten angegriffen wurden.
In Italien wurde im Mai Stefano Origone, Journalist bei der italienischen Zeitung La Repubblica, angegriffen und geschlagen, als er über eine antifaschistische Demonstration in Genua berichten wollte. Wie schon der Europäische Menschengerichtshof im Fall „Alikaj and others v. Italy“ 2016 entschieden hatte, müssen derartige Übergriffe von unabhängigen Instanzen untersucht werden. Darauf bezieht sich Punkt sieben des Kodex. Der Fall des Stefan Origone wurde hingegen vom selben Gremium untersucht, dem die verdächtigten Polizisten angehörten.
Übergriffe in der Öffentlichkeit rücken außerdem die Frage nach der Identifizierung der Polizeimitarbeiter in den Vordergrund (Punkt drei). In einigen Ländern sind Ordnungskräfte anhand von Identifizierungsnummern erkennbar, die in Spanien zum Beispiel auf Schutzwesten und in Deutschland auf Helme gedruckt sind. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Italien, gibt es hingegen keine Identifizierungsmöglichkeiten.
Quellenschutz ist unabdingbar für den Schutz der Pressefreiheit
Besonders kontrovers diskutierten die Anwesenden zu Punkt sechs des Kodex die Unangemessenheit einiger Methoden, mit denen Journalisten oder deren Quellen überwacht werden. 2018 wurde das Vereinigte Königreich im Fall „Big Brother Watch and others v. the United Kingdom“ wegen Verletzung der Privatsphäre und Einschränkung der Ausdrucksfreiheit von Journalisten verurteilt. Britische Polizeikräfte nutzten außerdem Anti-Terror-Gesetze, um Log-In-Daten und Telefongespräche eines Journalisten der Sun zu erhalten, um an eine seiner Quellen zu einem Fall politischer Korruption heranzukommen.
Dieses Beispiel zeigt zwei wesentliche Aspekte, die in vielen Fällen, in denen Journalisten von der Polizei überwacht werden, bedeutsam sind. Erstens können Autoritäten durch spezielle Regelungen wie Anti-Terror-Gesetze teils die Pflicht umgehen, für derartige Überwachungen zuerst einen richterlichen Beschluss anzufordern. Zweitens ist oft nicht der Journalist selbst das Ziel, sondern seine Quellen. Wie der Europäische Gerichtshof betont, ist der Quellenschutz aber unabdingbar für den Schutz der Pressefreiheit, da die Quellen für journalistische Recherchen eine zentrale Rolle spielen.
Nationale Unterschiede
Bei einem Kodex, der für ganz Europa gilt, sollte man bedenken, dass die Praktiken der Polizei und deren Kommunikationsmöglichkeiten mit den Medien sich zwischen den Ländern stark unterscheiden. In einigen Kontexten hat es für Journalisten „keinen Sinn, Übergriffe der Polizei anzuprangern“, meint der bosnische Journalist Ivan Begic, der während einer Demonstration geschlagen wurde, mit Blick auf die Straffreiheit der Polizei in seinem Land.
Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen verschiedener kultureller Kontexte und die verschiedenen Formen der Gewaltentrennung in europäischen Ländern müssen einbezogen werden. Wie auch Peter Smets von EuroCOP anmerkt, ist die Verwaltung der Polizei in ganz Europa eine innenpolitische Angelegenheit, weshalb internationale Kooperationen und verbindende Normen nur schwer zu erreichen sind.
Ein erster Schritt könnte aber in der Ausbildung getan werden. Es wäre wünschenswert, dass die am „Pressefreiheitskodex für die Polizei“ beteiligten Gruppen – das Osservatorio Balcani e Caucaso Transeuropa, die European Federation of Journalists, Index on Censorship, Ossigeno per l’informazione und die South East Europe Media Organisation – weiter mit EuroCOP zusammenarbeiten und Polizisten in mehreren Ländern über die Rechte der Journalisten schulen.
Die Beziehungen zwischen Polizei und Medien sollten außerdem gemeinschaftlich und nicht aus einer Konflikthaltung heraus neu austariert werden. Beide Gruppen sollten dieselben Ziele verfolgen: Für eine gerechtere, transparentere und sicherere Gesellschaft zu arbeiten.
Dieser Artikel, der zuerst auf der italienischen EJO-Seite am 20. Januar 2020 veröffentlicht wurde, entstand in Kooperation mit dem Osservatorio Balcani e Caucaso Transeruopa.
Übersetzt aus dem Französischen von Johanna Mack.
Bildquelle: pxhere.com
Schlagwörter:European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF), Polizei, Polizeigewalt, Pressefreiheit, Pressefreiheitskodex für die Polizei, Quellenschutz, Überwachung