Das neue Nachrichtendienstgesetz NDG würde die Arbeit von Medienschaffenden in der Schweiz erheblich erschweren, der Quellenschutz wäre nicht mehr gewährleistet. Was eigentlich der ganzen Branche Anlass zur Sorge geben sollte, ruft – abgesehen von kritischer Berichterstattung – erstaunlich wenig Widerspruch bei Redaktionen und Verlagen hervor.
Am 25. September entscheiden die Schweizer Stimmberechtigten über die Einführung eines neuen Nachrichtendienstgesetzes NDG. Eine Abstimmung, die in ihrer Tragweite durchaus mit der Entscheidung des ehemaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush vergleichbar ist, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Kompetenzen der National Security Agency NSA drastisch zu erweitern.
Der sogenannte Patriot Act gewährte dem Abhördienst NSA allumfassende, präventive Kompetenzen zur Terrorbekämpfung. Seit den Enthüllungen Edward Snowdens ist bekannt, welch ausufernde Ausmaße die Überwachungsaktivitäten der NSA in den vergangenen 15 Jahren angenommen haben. Obschon eine vom Präsidenten Barack Obama und dem amerikanischen Kongress in Auftrag gegebene Untersuchung zum Schluss kommt, dass kein einziger Fall aufgedeckt wurde, in dem das Telefonabhörprogramm zur Aufdeckung eines zuvor unbekannten Plans oder zur Verhinderung terroristischer Angriffe beigetragen hätte, ist man in der Schweiz gewillt, unserem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ähnlich weitreichende Überwachungskompetenzen einzuräumen.
Keine breite Nein-Kampagne
Was in den bisherigen Diskussionen um das neue Nachrichtendienstgesetz kaum zur Sprache gekommen ist, ist die Rolle der Medien. Zwar haben sich die Berufsorganisationen Impressum, Syndicom und SSM gemeinsam und öffentlich gegen die Vorlage ausgesprochen, aber weder Verlagshäuser noch der Verband Schweizer Medien haben sich bisher zur Vorlage verlauten lassen – obwohl es den Kern ihres Geschäfts betrifft: die Medienfreiheit.
Das ist doch einigermaßen irritierend, denn ein Blick auf die Erfahrungen in den USA zeigt, dass Anlass zur Sorge bestehen würde. Eine Studie der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ aus dem Jahre 2014 hat die Effekte großflächiger, elektronischer Überwachung auf den Journalismus in den Vereinigten Staaten untersucht. Dabei zeigt sich, dass die Beschaffung von Informationen für Journalistinnen und Journalisten erheblich schwerer geworden ist.
Aus zwei Gründen: Zum einen scheuen potenzielle Whistleblower aus Angst aufzufliegen immer mehr den Kontakt zu Medienschaffenden und zum anderen müssen diese technisch komplexe Sicherheitsvorkehrungen treffen, um den Schutz ihrer Quelle überhaupt noch garantieren zu können. Dies führt dazu, dass immer weniger Informationen über mutmasslich illegale Regierungsaktivitäten an die Öffentlichkeit gelangen. Der Journalismus – verstanden als vierte Gewalt innerhalb einer Demokratie – ist so in seiner Kritik- und Kontrollfunktion erheblich eingeschränkt. Wird das neue Nachrichtendienstgesetz angenommen, droht investigativen Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz ein ähnliches Schicksal.
Keine wirksame Kontrolle
Wie die Vereinigten Staaten hat auch die Schweiz eine bewegte Geheimdienstvergangenheit. Die Fichen-Skandale von 1989 und 2010 prägen noch heute das Meinungsbild eines „gefräßigen Staates“. Damit sich solche Affären nicht wiederholen, benötigt der NDB eine wirksame Aufsicht. Diese ist im neuen Nachrichtendienstgesetz nicht gegeben, sagt Markus Schefer, Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel. Der Staatsschutz unterliege zwar einer fünffachen Aufsicht, doch jene Kontrollinstanz, die von entscheidender Bedeutung ist, sei die interne Aufsichtsbehörde. „Dies aber nur, wenn die interne Aufsichtsbehörde von jemandem mit einem ausgeprägten Sinn für Rechtsstaatlichkeit geleitet wird.“ Das Problem hierbei: Die unabhängige Aufsichtsbehörde ist administrativ dem VBS zugeordnet und deren Leiter wird auf Vorschlag des VBS durch den Bundesrat bestimmt. Wirkliche Unabhängigkeit sieht anders aus.
Ist die institutionelle Kontrolle zu schwach, so steigt die Bedeutung der journalistischen Kritik- und Kontrollfunktion. Dazu gibt es grundsätzlich fünf Möglichkeiten:
- Das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) hilft Missstände in Verwaltungen aufzudecken
- die Justizöffentlichkeit gibt Einblick in Gerichtsentscheide
- das Redaktionsgeheimnis bewahrt Journalistinnen und Journalisten vor staatlichen Eingriffen
- der Quellenschutz schützt deren Informanten
- die Institution des Whistleblowers liefert Informationen aus einem Bereich, in welchem der Journalismus selbst nur schwer recherchieren kann.
Doch diese für die journalistische Arbeit elementaren Werkzeuge wären bei Inkrafttreten des Gesetzes praktisch nutzlos.
Fehlende Transparenz
Allen voran das Öffentlichkeitsgesetz. Will der Journalismus kritisieren und kontrollieren, bedarf es Transparenz. Der Ausbau der Kompetenzen des Staatsschutzes ist jedoch unweigerlich mit dem Gegenteil verbunden. Gerade bei den genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen, deren Rechtsstaatlichkeit in der öffentlichen Debatte immer wieder infrage gestellt wurde, wäre mehr Transparenz entscheidend. Wie es in Artikel 67 des NDG heisst, läuft das BGÖ hier ins Leere. «Das Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 2004 gilt nicht für den Zugang zu amtlichen Dokumenten betreffend die Informationsbeschaffung nach diesem Gesetz.» Auch im Nachhinein wird keine Transparenz geschaffen. Einblicke in die Gerichtsentscheide werden keine gewährt. Dem Journalismus ist es also nicht möglich, anhand der Justizöffentlichkeit oder dem Öffentlichkeitsgesetz zu kontrollieren, ob rechtsstaatlich alles korrekt abgelaufen ist.
Kein garantierter Schutz für Whistleblower
Umso wichtiger wäre die Institution des Whistleblowers. Dessen Schutz ist in der Schweiz durch das Redaktionsgeheimnis und den Quellenschutz gegeben. Tritt das neue Nachrichtendienstgesetz in Kraft, können Journalistinnen und Journalisten weder das eine noch das andere vollends garantieren. Zwar schützt das NDG Berufsgeheimnisträger, doch dieser Schutz ist nicht absolut, sondern muss unter gewissen Umständen hinter gegenläufige Interessen zurücktreten, betont Staatsrechtler Schefer.
Wird etwa eine Person, die einer der in den Artikeln 171-173 der Strafprozessordnung genannten Berufsgruppen angehört, mit einer genehmigungspflichtigen Beschaffungsmaßnahme überwacht, ist durch eine vorgängige Selektion der bei der Beschaffung erhobenen Daten sicherzustellen, dass der NDB keine Berufsgeheimnisse erfährt, es sei denn, die konkrete Bedrohung nach Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe a NDG erfolge gezielt unter dem Vorwand des Berufsgeheimnisses. Der NDB kann also eine genehmigungspflichtige Beschaffungsmaßnahme anordnen, wenn eine konkrete Bedrohung im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 Buchstaben a bis d wie terroristische Aktivitäten, verbotener Nachrichtendienst, Umgang mit Kriegsmaterial oder Angriff auf kritische Infrastrukturen gegeben ist oder gemäß Artikel 3 die Wahrung weiterer wichtiger Landesinteressen es erfordert.
Bedenklich sind hierbei zweierlei Dinge: Zum einen, dass jemand nur dann eine Selektion durchführen kann, wenn er sich zuvor mit dem Inhalt der jeweiligen Daten beschäftigt hat und zum anderen, dass die konkreten Bedrohungen im Gesetz äußerst vage formuliert sind, heißt abhängig sind von der jeweiligen Auslegeordnung. Wie streng es der NDB dabei nimmt, wird niemand erfahren und kann auch niemand kontrollieren. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass es die Vorläuferorganisationen des NDB nicht allzu genau nahmen und lieber mehr als weniger Personendaten sammelten. Dass sich an dieser Kultur etwas ändern wird, sei trotz des neuen Gesetzes nicht zu erwarten, meint Schefer. Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Rainer Schweizer, ebenfalls Staatsrechtsprofessor, ließ sich Anfang September in 20 Minuten wie folgt zitieren: „Es ist illusorisch zu glauben, dass der Nachrichtendienst nicht E-Mails von Journalisten mitlesen würde. Schließlich sind diese Informationen besonders interessant, weil die Medien sehr viele Informationen aus vielen Lebensbereichen haben. Das Gesetz weist dem NDB nämlich keine Schranken auf.“
Mehr Staatsschutz, weniger Journalismus
Was bedeutet das für den Journalismus in der Schweiz? Zum einen dürften sich potentielle Whistleblower in Zukunft noch stärker überlegen, ob sie sich im Wissen, das Medienschaffende ihnen keinen absoluten Schutz mehr garantieren können, an sie wenden wollen und zum anderen sind sie genötigt, technisch komplexe Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, um mit ihren Informanten digital kommunizieren zu können. Die Quintessenz daraus: Die Arbeit investigativer Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz wird erheblich erschwert. Während der Staatsschutz ausgebaut wird, wird der Journalismus geschwächt. Ob er so seine Kritik- und Kontrollfunktion als vierte Gewalt innerhalb einer Demokratie zur Gänze wahrnehmen kann, ist zu bezweifeln.
Der Artikel basiert auf der Bachelorarbeit des Autors mit dem Titel „Mehr Staatsschutz, weniger Journalismus? Eine Darstellung der Auswirkungen zunehmender staatlicher Überwachung auf die journalistische Praxis und der möglichen Gegenmassnahmen am Beispiel des neuen Nachrichtendienstgesetzes“.
Erstveröffentlichung: Medienwoche vom 19. September 2016
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Schlagwörter:investigativer Journalismus, Medienfreiheit, Nachrichtendienstgesetz NDG, Quellenschutz, Schweiz, Transparenz im Journalismus, Whistleblower