Schon in den 1960er Jahren kritisierte die US-Regierung die Medien. Während der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung war das gut und konstruktiv, heute ist es zerstörerisch, meint der Journalismusforscher Thomas Hrach.
Die Männer tragen Bandana-Kopftücher, haben nackte Oberkörper und schauen finster in die Kamera. Es ist 1965 und Journalisten und Kamerateams berichten aus dem hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Watts-Viertel in Los Angeles von Aufständen, Plünderungen und Gewalt. Was die Fernsehzuschauer nicht wissen: Ein Kameramann hatte die schwarzen Männer nur wenige Minuten zuvor dazu überredet, ihre Hemden aus- und Bandanas anzuziehen. Damit sie „wie Piraten und bedrohlicher aussehen“.
Dies ist nur eines von vielen Beispielen, das Thomas Hrach, Journalismus-Professor an der University of Memphis, dafür gibt, wie Medienvertreter die Berichterstattung über die Rassenunruhen der 1960er Jahre manipuliert hätten. In seinem Buch „The Riot Report and the News: How the Kerner Commission Changed Media Coverage of Black America“ berichtet er von Reportern, die Jugendliche dazu animierten, Steine auf Geschäfte zu werfen, um gutes Filmmaterial zu bekommen. Damit waren sie laut Hrach oft mitverantwortlich dafür, wenn zunächst verbale Streitigkeiten eskalierten. Oft habe die Berichterstattung über Ausschreitungen in einer bestimmten Straße erst dazu geführt, dass die Menschen in Massen dorthin gingen und es zu wirklicher Gewalt kam.
Der Vorwurf ist nicht neu: Schon 1968 analysierte eine von US-Präsident Lyndon B. Johnson eingesetzte Kommission, wie die Massenmedien Gewalt zwischen Afro-Amerikanern und Polizei beeinflussten und was der Grund für die Ausschreitungen war. Dabei heraus kam der sogenannte „Kerner-Report“, der die amerikanische Gesellschaft wachrüttelte. „Obwohl die Regierung den Bericht dann größtenteils ignorierte, wurde das Buch ein Bestseller“, sagt Thomas Hrach bei einem Vortrag im Sendezentrum des ZDF. Er ist in diesem Semester Gastwissenschaftler am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Der Kerner-Report habe drei Fragen zu den „Riots“ beantworten sollen: Was ist passiert? Warum ist es passiert? Und wie können wir es in Zukunft verhindern? Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass das Land in zwei Gesellschaften geteilt sei. Eine schwarze und eine weiße, gespalten und ungleich. Für die Ausgrenzung der Schwarzen sei dabei die weiße Mehrheitsgesellschaft verantwortlich. Diese wisse einerseits fast nichts über das ärmliche Leben der schwarzen Bevölkerung in den Ghettos, sei andererseits direkt verantwortlich dafür, dass es die Ghettos überhaupt gebe. Um zu verhindern, dass sich die Gesellschaft weiter aufspaltet, müsse man sofort handeln, resümiert der Report. Dabei nimmt der Bericht besonders die Medien in die Pflicht und kritisiert ihr bisheriges Verhalten. Nicht nur die offensichtlichen Manipulationen bei der Berichterstattung, sondern auch grundlegende Versäumnisse. So hätten sie beispielsweise nie erklärt, warum es überhaupt Segregation und Armut gibt und wie diese zu Gewalt führt.
Laut Hrach habe der Report bei den Medien tatsächlich zu einem Umdenken geführt, die danach „einen wirklich guten Job“ bei der Berichterstattung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gemacht hätten. „Die Medien haben eine große Macht und können dabei helfen, soziale Probleme zu lösen“, sagte Hrach. Diese Rolle schreibt er auch heute noch den Medien zu. „Vielleicht brauchen wir wieder so etwas wie einen Kerner-Report, um die Medien und das Land durch eine erneute Zeit der Teilung und der Streiks zu führen“, meint der Journalismus-Forscher. Denn auch heute, 50 Jahre nach Veröffentlichung des Kerner-Reports, geht ein großer Riss durch die Vereinigten Staaten. Auch wenn es keine Massenaufstände wie in den 1960er Jahren mehr gibt, zeigen Protest-Bewegungen wie „Black Lives Matter“, Todesfälle wie der des Teenagers Michael Brown und die anschließenden Straßenschlachten in Ferguson zwischen Polizei und schwarzer Bevölkerung, dass die Probleme nach wie vor da sind.
Der Traum von einer Gesellschaft ohne Rassismus, Armut und Ausgrenzung des Bürgerrechtlers Martin Luther King, der vor 50 Jahren in Memphis ermordet wurde, hat sich nur zum Teil erfüllt. An seinem Todestag am 4. April gingen tausende Menschen im Land auf die Straßen, um friedlich zu protestieren.
Eine Studie der Drexel University in Philadelphia fand heraus, dass es für schwarze Männer fast dreimal so wahrscheinlich ist, durch Polizeigewalt zu sterben, wie für weiße Männer. „Die USA ist heute vielleicht auf dem Weg, so gespalten zu sein wie niemals zuvor“, sagte Hrach.
Deshalb sei Aufklärung auch heute so wichtig. Die Öffentlichkeit könne nur auf Probleme reagieren, wenn sie die Fakten geliefert bekomme. „Die Bürger brauchen objektive Informationen und wenn sie diese bekommen, werden sie auch gute Entscheidungen treffen, genauso wie die Regierung“, meinte Hrach. Eine erfolgreiche Demokratie bedürfe einer freien, unabhängigen Presse. „Und die Presse kann nicht mehr wirklich unabhängig sein, wenn sie zu abhängig von Werbeeinnahmen und kommerziellen Interessen ist“, warnte der Medienwissenschaftler. Ein weiterer wichtiger Faktor sei die Regierung, die die Presse zwar – wie im Fall des Kerner Reports – kritisieren dürfe, aber grundsätzlich unterstützen müsse. Wohl mit Blick auf den derzeitigen Umgang der Trump-Administration mit den Medien sagte Hrach: „Die Regierung sollte der freien Presse helfen, und sie nicht etwa ignorieren oder zerstören“.
Schlagwörter:afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, Journalistisches Seminar Mainz, Rassenunruhen, Thomas Hrach, University of Memphis, USA