Als vor zwei Jahren Hunderttausende Ukrainer auf die Straße gingen, um gegen das Regime des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch zu protestieren, begann die Arbeit des Internet-Fernsehsenders Hromadske. „Der Euromaidan brauchte ein Medium wie Hromadske TV – flexibel, dynamisch und vor allem unabhängig“, sagt Angelina Kariakina, die als Journalistin für den Sender in Kiew arbeitet.
Die Aufstände gingen in die Geschichte der Ukraine ein, ebenso der Internetsender Hromadske TV: als Medium, das ebenfalls protestierte – gegen die Zensur der Medien durch die Regierung und die Oligarchen. Letztere besitzen fast alle elektronischen und viele Printmedien.
Dass die Veröffentlichung unabhängiger Informationen somit kaum gewährleistet ist, ist in der Ukraine kein Geheimnis. Viktor Zablotsky, der bis vor kurzem als Journalist bei Hromadske TV gearbeitet hat, meint: „Für die Oligarchen ist es wichtig, die großen Fernsehsender zu kontrollieren, weil diese wichtige Informationsquellen für die Leute sind.“ Doch besonders zur Zeit der Proteste – an ihrem wichtigsten Schauplatz Kiew – ging die gewollte Vermittlung von kontrollierten Informationen durch die klassischen Medien nicht mehr auf. Die Bevölkerung in der Hauptstadt wollte unabhängige Nachrichten.
Der neue Internetsender Hromadske TV (auf Deutsch: öffentliches Fernsehen) lieferte sie ihnen – am 22. November 2013 ging er mit einer ersten Sendung an den Start. Gegründet wurde das Medium von einer Reihe prominenter ukrainischer Journalisten, die den Fernsehsender TVi verlassen hatten, weil auch dieser nach einem Besitzerwechsel seine Unabhängigkeit verloren hatte. Unterstützt wurden sie von Mitarbeitern, die keine Ausbildung im Journalismus hatten. Man arbeitete mit einfachen Mitteln, dafür aber effizient und so flexibel, dass die Berichterstattung über viele ukrainische Krisenschauplätze gleichzeitig abgedeckt werden konnte. Videostreaming zeigte die Geschehnisse in Echtzeit. Angelina Kariakina erzählt: „Hromadske wurde zu einem der wichtigsten und beliebtesten Sender der Revolution. Wir haben den Weltrekord der Anzahl an live gesendeten Stunden bei YouTube gebrochen, als wir all die dramatischen Erlebnisse vom Maidan übertrugen.“
Nach dem Ende des Euromaidans hat sich die Berichterstattung vor allem auf die Krise im Osten der Ukraine und die Situation auf der Halbinsel Krim fokussiert, aber auch das restliche Land und das Ausland werden inzwischen im Programm abgebildet. Im Studio, das sich in einem unscheinbaren grauen Bürogebäude in einem Außenbezirk von Kiew befindet, werden Interviews mit Meinungsführern aus der Ukraine und der ganzen Welt geführt. Mittlerweile hat der Internetsender über 100 Mitarbeiter, von denen nur etwa 20 eine journalistische Ausbildung haben.
„Heutzutage kann jeder Journalist sein. Es gibt so viele Möglichkeiten“, sagt Zablotsky, „und es ist die Aufgabe der Gesellschaft, zu entscheiden, welche Art von Medien sie wollen und woher sie ihre Informationen beziehen möchten.“ Dass Nischenanbieter im Internet während der Demonstrationen beim städtischen Publikum in Kiew großen Anklang fanden, zeigten zu dieser Zeit die Klickzahlen von Hromadske. Die Geschehnisse auf dem Maidan-Platz verfolgten teilweise eine halbe Million Zuschauer und mehr. Diese hohen Zuschauerzahlen konnte der Sender nach Ende des Euromaidans allerdings nicht aufrechterhalten.
Hromadske TV will aber weiterhin ein Medium sein, das die Ereignisse komplett unabhängig von Regierung und Oligarchen analysiert – als nicht-kommerzielles Bürger-Fernsehen vor allem für die jüngere und politisch interessierte Mittelklasse.
„Nur ist es in der heutigen Krisenzeit nicht möglich, eine Ausgewogenheit an Informationen zu schaffen. Es ist eine verrückte Situation für die Medien, Lügen werden zu gleichen Teilen verbreitet wie die Wahrheit. Und wir können nicht mit ‚Russia Today‘ konkurrieren, weil wir weniger Geld haben und in den westlichen Ländern nicht so viel gesehen werden“, erklärt Zablotsky die schwierige Situation des Senders. Da eine Abhängigkeit von Oligarchen oder anderen Werbekunden vermieden werden soll, gestaltet sich das Programm ohne Werbung.
Hromadske TV finanziert sich allein über Spenden seiner Zuschauer und Hilfen von innerhalb und außerhalb der Ukraine. So kamen laut eigenem Finanzbericht des Senders unter anderem Spendengelder von der amerikanischen und der niederländischen Botschaft in Kiew sowie der International Renaissance Foundation des amerikanischen Milliardärs George Soros. Auch die kanadische Regierung, die Fritt Ord Stiftung und das Auktionshaus „Dukat“ spendeten Beträge an Hromadske TV. So konnten mittlerweile auch Beiträge auf Russisch und Englisch in das ukrainische Programm eingegliedert werden.
Seit letztem Jahr läuft sogar der englischsprachige Ableger „Hromadske International“, der besonders wegen seiner politischen Informationssendung „The Sunday Show“ gefragt ist. Diese läuft einmal wöchentlich am Sonntag. „Wir laden hier Experten ein, die über die Politik in der Ukraine reden. Dazu haben wir noch viele weitere Ideen für die Zukunft, aber natürlich gibt es auch immer die Diskussion, ob solche langen Gesprächsrunden auf dem heutigen Medienmarkt sinnvoll sind. Wollen wir ein ganz gewöhnliches Programm machen oder nicht, das ist die Frage“, stellt Zablotsky fest.
Auch hinter dieser Frage verbirgt sich natürlich der finanzielle Aspekt. Das Problem: Geld für Medien ist etwas, das innerhalb der ukrainischen Bevölkerung momentan nicht vorhanden ist, wie Viktor Zablotsky sagt: „Medien sind aktuell einfach kein wichtiges Thema, die Leute haben andere Probleme, da geht es teilweise ums Überleben.“ Die Regierung in der Hauptstadt und die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine verzeichnen trotz der momentan vereinbarten Waffenruhe auf beiden Seiten immer wieder Verstöße gegen den Frieden. „Die Ukraine befindet sich im Wandel. Wir wissen noch immer nicht, wie dieser Krieg enden wird“, sagt Viktor Zablotsky.
Ohne die Krise in der Ukraine wäre der Internetsender wohl kaum entstanden. Die Journalisten von Hromadske TV müssen nun darauf hoffen, über die Zeit der Krise hinaus erfolgreich sein zu können. Ob es gelingen wird, Fernsehjournalismus online gegen den Oligarchen-Mainstream in der Ukraine zu betreiben oder das Projekt vor weitere Schwierigkeiten gestellt wird, ist offen. „Wo ich den Sender in einem Jahr sehe?“, fragt Viktor Zablotsky. „Ich weiß es nicht.“
Bildquelle: Screenshot Hromadske TV
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer dreitägigen Exkursion nach Kiew mit Studierenden des Instituts für Journalistik der TU Dortmund unter der Leitung von Tina Bettels-Schwabbauer, leitende Redakteurin der deutschen EJO-Seite, und Dariya Orlova, leitende Redakteurin der ukrainischen EJO-Seite.
Schlagwörter:Angelina Kariakina, Euromaidan, Hromadske TV, Internet-Fernsehsender, Ukraine