Iran: Die Corona-Krise und die Medien

7. April 2020 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Iran zählt zu den Ländern, die am stärksten vom Coronavirus getroffen wurden. Die Reaktion der iranischen Regierung auf den Ausbruch ist auch in Iran äußerst umstritten. Nichtsdestotrotz beschränkt sich die Berichterstattung der Medien über die Krise auf offizielle Quellen und das Narrativ der Regierung.

Der Berichterstattung in Iran fehlt es an Unabhängigkeit, Tiefgang und gründlicher Überprüfung der Fakten, was das Vertrauen der Menschen in die iranischen Medien geschwächt hat. Zudem werden die iranische Regierung und die staatlichen Medien beschuldigt, das Ausmaß des Covid-19-Ausbruchs zu verschleiern. Beide haben auch Verschwörungstheorien verbreitet, laut denen das Virus eine Biowaffe der USA sein könnte. Die iranische Berichterstattung über die Pandemie ist das Produkt einer Medienlandschaft, in der der Staat eine weitreichende Kontrollmacht hat.

Fast alle Medienunternehmen in Iran sind in staatlicher Hand oder haben enge Beziehungen zur Regierung. Einziger Anbieter von Radio und Fernsehen im Land ist der Rundfunk der Islamischen Republik Iran (IRIB), der unter direkter Kontrolle des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei steht. Alle Nachrichtenagenturen werden von der Regierung betrieben; alle privaten Anbieter sind auf die Unterstützung der Regierung angewiesen, um ihre Medien betreiben zu dürfen. So sind Zeitungen auf den subventionierten Import von Papier angewiesen, der vom Ministerium für Kultur und islamische Führung zugeteilt wird.

Die Liste der ausgesprochenen und unausgesprochenen roten Linien, die Journalisten nicht überschreiten dürfen, wächst stetig. Wer sich der Regierung widersetzt, muss mit strengen Verwarnungen rechnen. Es überrascht deshalb nicht, dass die iranischen Medien sich an die offiziellen Narrative zur Corona-Pandemie halten.

Wenn, dann milde Kritik gegenüber dem Verwaltungsapparat

Die iranischen Behörden hatten die Existenz der Krankheit bis zu den ersten Fällen am 19. Februar 2020 geleugnet. Das Gesundheitsministerium begann dann, täglich Pressekonferenzen zu geben, um die neuesten Infektions- und Todeszahlen bekannt zu geben. Die Verlässlichkeit dieser Daten wird sowohl von iranischen Bürgern und unabhängigen Journalisten als auch von ausländischen Medien in Frage gestellt. Zu den bemerkenswertesten kritischen Stimmen zählen dabei die Washington Post, die am 12. März 2020 Satellitenfotos von Begräbnisstätten veröffentlichte, sowie die New York Times, die am 28. Februar 2020 einen Artikel zur Berichterstattung iranischer Medien über das Coronavirus publizierte.

Mehrere Gesundheitsexperten haben deutlich gemacht, dass das wahre Ausmaß der Krankheit größer ist als von der Regierung dargestellt. Der Notfalldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Rick Brennan, besuchte Iran erst kürzlich und erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters am 17. März 2020, dass die wahre Zahl der Covid-19-Fälle in Iran fünfmal größer sein könnte als die offiziell angegebene. Doch bis dato hat noch kein iranisches Medium Recherchen dazu begonnen.

Einige iranische Politiker, Abgeordnete des Parlaments inklusive, haben die Regierung dafür kritisiert, dass sie die Krise kleinredet. Einige Medienhäuser haben die Vorwürfe, die gegenüber der Regierung geäußert wurden, ignoriert. Andere haben sie ohne Überprüfung oder zusätzliche Recherchen veröffentlicht.

Zeitungen, die sich in Privatbesitz befinden, veröffentlichten zum Ausbruch der Krankheit meist nur aufbereitete Texte der Regierung, die sie mit ein wenig milder Kritik, meist gegenüber des Verwaltungsapparats von Präsident Hassan Rouhani oder den kommunalen Behörden, anreicherten, aber nie mit Kritik gegenüber der Reaktion der Regierung auf den Ausbruch des Virus’. So veröffentlichte die Tageszeitung Donya-e-Eqtesad am 1. März 2020 einen Beitrag, in dem erklärt wird, wie Luftverschmutzung das Gesundheitsrisiko im Zusammenhang mit Covid-19 erhöhen könne und mangelnde Maßnahmen der Stadtverwaltung von Teheran zur Reduzierung der Luftverschmutzung kritisiert werden.

Es ist auch beachtenswert, dass alle größeren iranischen Zeitungsredaktionen in der Zeit vom 18. März bis 3. April während der Nouruz-Ferien (persisches Frühlingsfest) Pause machten, was wiederum bedeutete, dass fast ausschließlich staatliche Rundfunkanstalten und Nachrichtenagenturen über die aktuelle Situation berichteten.

„Fehler des Westens” hervorheben

Seit der Ausbruch des Virus’ offiziell bestätigt ist, kritisieren iranische Konservative die Regierung in den sozialen Medien. Auf Twitter beschuldigte der ehemalige Kommandeur der iranischen Revolutionsgarde und Abgeordnete Mohammad Bagher Ghalibaf am 30. März 2020 die Führung des Landes, „die Realität zu ignorieren” und „unangebracht optimistisch” zu sein. Er twitterte, dass Präsident Rouhani „die Krise verschlimmert, dann um Hilfe gefragt und anderen die Schuld gegeben” habe. Die Nachrichtenagentur „Mehr“ veröffentlichte den Tweet ohne zusätzliche Einordnung oder Reaktionen. Rouhani reagierte auf die Kritik, indem er Oppositionelle dazu aufrief, die Linie der Regierung zu unterstützen: „Dies ist nicht die Zeit, um Follower zu sammeln. Dies ist nicht die Zeit für einen politischen Krieg”, sagte der Präsident.

Einige Medien, allen voran der staatliche Rundfunksender IRIB, wiesen auch den iranischen Bürgern Schuld zu: Sie würden sich nicht streng genug an die Kontaktbeschränkungen halten.

Die iranische Regierung hatte sich geweigert, einen absoluten Lockdown auszurufen. Einige Behörden hatten argumentiert, dass solche Maßnahmen kostspielig wären – ein Luxus, den sich das Land nicht leisten könnte. Die Staatskassen seien ohnehin leer – vor allem aufgrund der strengen Sanktionen seitens der USA.

Die Nachrichtenagenturen Fars, Tasnim und Mehr sowie der Sender IRIB berichten auch ausführlich über die Schwierigkeiten, die sowohl die USA als auch das Vereinigte Königreich bei der Eindämmung der Pandemie haben. Die „Fehler des Westens” hervorzuheben, zählt zu den gängigen Mustern in der iranischen Berichterstattung der vergangenen vier Jahrzehnte.

Die Kernthemen der iranischen Medien während der Pandemie sind Schuldzuweisungen, Verschwörungstheorien, Lob für die Armee und der Aufruf an die internationale Gemeinschaft, Sanktionen aufzuheben. Mit der Mehrheit dieser Themen verfolgen die Medien den Zweck, Bürger durch Nationalismus und anti-westliche Propaganda auf die politische Linie der Regierung zu bringen.

Schuldzuweisungen

Trotz erster Anzeichen eines Covid-19-Ausbruchs wurden am 21. Februar 2020 Parlamentswahlen abgehalten. Laut offizieller Angaben betrug die Wahlbeteiligung 42 Prozent, die niedrigste Quote seit der Revolution im Jahr 1979. Hochrangige Politiker sagten, Feinde der Republik hätten die Gefahr des neuartigen Coronavirus hochgespielt, um Menschen an der Stimmabgabe zu hindern.

Zwei Tage später griff der Oberste Führer in einem Kommentar auf seiner Website die Medien an. Er bezeichnete die Nachrichten zur Pandemie als „westliche Propaganda” und schrieb, dass alles „vor ein paar Monaten begann und zur Wahl hin schlimmer wurde”, was impliziert, dass er davon ausgeht, dass alles nur inszeniert wurde, um die iranischen Parlamentswahlen zu beeinträchtigen.

Diese Auffassung wurde dann auch von den iranischen Medien wiedergegeben.

Quelle: Tasnim News Agency / Creative Commons Attribution 4.0 International License

Die Nachrichtenagentur Tasnim veröffentlichte am 21. Februar 2020 eine Karikatur, in der sie aufzeigte, dass die Wahlbeteiligung „trotz der Bemühungen westlicher Medien“ und „zur Bestürzung Washingtons“ hoch gewesen sei. In einer weiteren Karikatur, die der Staatsrundfunk veröffentlichte, wurde behauptet, dass einige im Ausland ansässige persischsprachige Medien ein Virus verbreiten würden, das noch viel ansteckender sei als das Coronavirus, und zwar Angst. Zu diesem Zeitpunkt behauptete die IRIB bereits, dass der Covid-19-Ausbruch überschätzt werde und die Reaktionen übertrieben seien.

Im selben Zeitraum begann das staatliche Fernsehen – vor allem in Talk Shows – der Öffentlichkeit einzureden, dass Covid-19 nicht schlimmer verlaufe als eine Grippe. Während einer Live-Sendung am 22. Februar 2020 behauptete IRIB-Moderatorin Atefeh Mirseyedi, die als Ärztin vorgestellt wurde, dass sie vom Virus genesen sei. Wenige Wochen später änderte sich das offizielle Narrativ: Dieselbe Moderatorin behauptete am 23. März 2020 wieder, dass sie sich mit dem Virus angesteckt habe, und dass es extrem gefährlich sei.

Verschwörungstheorien

Iranische Politiker machen sich dieselben Verschwörungstheorien zu eigen, die auch von der chinesischen Regierung verbreitet wurden – und iranische Medien, insbesondere diejenigen mit Verbindungen zur Revolutionsgarde oder zum Obersten Führer, berichten ausführlich über diese falschen Behauptungen.

Tasnim beispielsweise veröffentlichte zwischen dem 1. Februar und dem 28. März mehrere Artikel, in denen suggeriert wird, bei SARS-CoV-2 handele es sich um eine Biowaffe. Dieselbe Nachrichtenagentur brachte auch einen Artikel, in dem detailliert auf angebliche frühere Nutzungen von Biowaffen durch die USA eingegangen wird.

Am 22. März 2020 lehnte der Oberste Führer in einer Fernsehansprache Unterstützung durch die Vereinigten Staaten von Amerika ab und behauptete erneut, das Virus sei eine Waffe der USA: „Ich weiß nicht, wie wahrscheinlich das ist, aber sollte die Anklage stimmen, welcher vernünftige Mensch würde euch [Anm: den Vereinigten Staaten] dann die medizinische Versorgung anvertrauen? Es könnte schließlich sein, dass eure Medizin das Virus nur noch stärker verbreitet.” Außerdem sagte er, das Virus sei „speziell für Iran mithilfe genetischer Daten von Iranern“ gezüchtet worden.

Quelle: Tasnim News Agency / Creative Commons Attribution 4.0 International License

Ähnliche Vorwürfe wurden bereits vorher vom Kommandeur der Revolutionsgarde, Hussein Salami, geäußert. Während einer Rede in der Stadt Kerman am 5. März sagte er: „Wir werden uns im Kampf gegen das Virus, das eine Biowaffe der Vereinigten Staaten sein könnte und sich erst in China, dann im Rest der Welt ausgebreitet hat, behaupten”. Er fügte hinzu: „Sollte das tatsächlich der Fall sein, wird es auch Amerika treffen.”

Die Nachrichtenagentur Tasnim veröffentlichte am 2. März 2020 eine Karikatur, in der das Virus zu US-Präsident Trump sagt: „Mission erfolgreich abgeschlossen, Sir. Ich bin zurück.” In der Unterzeile heißt es: „Sind die Vereinigten Staaten fähig, das Coronavirus als Biowaffe zu nutzen?”

Lob für die Armee

Der Oberste Führer gab einen Erlass heraus, dessen Wortlaut am 12. März auf seiner offiziellen Website veröffentlicht wurde. Darin weist er die Armee an, den Kampf gegen das neuartige Virus anzuführen. Seitdem betonen die iranischen Medien immer wieder die Rolle der Revolutionsgarde in der Krise.

Die Einheiten führten Ende März eine landesweite Übung zur Abwehr biologischer Katastrophen durch und erhielten die volle Aufmerksamkeit der Medien. Die Tatsache, dass die Armee Notfallkrankenhäuser im ganzen Land aufbaute, interessierte die Medien weniger.

Sowohl iranische Politiker als auch die Medien bedienen sich in ihren Stellungnahmen und der Berichterstattung einer aggressiven Sprache. Einige Ausdrücke, die sie im Kontext der Bekämpfung des Virus’ häufig nutzen, sind „Front”, „Schlacht gegen Corona”, „Corona unterdrücken” und „Anti-Corona-Manöver”. Der Oberste Führer Ayatollah Khamenei bezeichnete Ärzte und Krankenpfleger, die an den Folgen des Virus gestorben sind, sogar als Märtyrer. Da in Iran die Armee den Kampf gegen das Coronavirus anführt, überrascht es nicht, dass die Generäle die Situation in ihrem militärischen Jargon beschreiben. Das ist auch in anderen Ländern der Fall. Während einige Social-Media-Nutzer in Iran gegen diese Sprachpraxis argumentierten, schweigen die Medien. Westliche Medien hingegen kritisieren einige Staatsoberhäupter für ihre kriegerische Terminologie. Ein Artikel der amerikanischen Zeitschrift The Atlantic vom 31. März 2020 zeigt auf, wie gefährlich es sein kann, wenn die Pandemie mit einem Krieg gleichgestellt wird. Dass sich die iranischen Medien dieser stichhaltigen Argumente nicht annehmen, ist bloß ein weiteres Beispiel dafür, dass die iranischen Medien es versäumt haben, das Handeln der Regierung zu durchleuchten und sie für ihre Entscheidungen zur Rechenschaft zu ziehen.

Sanktionen

Die iranischen Behörden und Medien beklagen immer wieder, dass die US-Sanktionen das Land daran hindern würden, das Virus angemessen bekämpfen zu können, und rufen dazu auf, die Sanktionen aus humanitären Gründen aufzuheben.

Einige Medien haben auch Übersetzungen von zwei Artikeln aus der Washington Post und der New York Times veröffentlicht, in denen zu einer Aufhebung der Sanktionen aufgerufen wird. Beide Artikel erschienen am 25. März 2020 in den USA, einen Tag später in der persischen Übersetzung in Iran. Am 27. März 2020 wurde auch darüber berichtet, dass prominente US-amerikanische Politiker wie der ehemalige Vizepräsident Joe Biden, Senator Bernie Sanders, Senatorin Elizabeth Warren und die Abgeordneten Ilhan Omar und Alexandria Ocasio-Cortez eine Lockerung der Sanktionen befürworten.

Soziale Medien

In Anbetracht der jahrzehntelangen einseitigen Berichterstattung zweifeln viele Iraner an der Glaubwürdigkeit der iranischen Medien und meiden sie daher immer mehr. Millionen von Iranern nutzen soziale Medien, um sich zu informieren. In den vergangenen Wochen wurde in den iranischen sozialen Medien heftig über die Unfähigkeit des Staates, die Krise in den Griff zu bekommen, diskutiert. Viele Nutzer äußerten zudem ihre Sorge, die Regierung könnte das wahre Ausmaß der Pandemie verschleiern.

In den sozialen Medien mahnen Iraner zur sozialen Distanz und dazu, Maßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen einzuhalten. Gleichzeitig kritisieren sie die staatlichen Medien dafür, die Öffentlichkeit nicht ausreichend über die Risiken der Pandemie aufzuklären.

Weil unparteiische und verlässliche Quellen nur schwer zugänglich sind, verbreiten sich Falschinformationen in der iranischen Bevölkerung. So wurde beispielsweise in Online-Posts behauptet, dass das Trinken reinen Alkohols vor einer Infektion schütze. Andere propagierten den Föhn als Heilmittel: mit ihm solle man den eigenen Rachen erwärmen und damit das Virus töten. Diese „Ratschläge“ haben die Belastung von Irans ohnehin überstrapaziertem Gesundheitssystem noch erhöht und zu noch mehr Toten und Verletzten geführt.

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