Kriegsreporter im Jemen: “Es ist schwer neutral zu bleiben”

4. Mai 2018 • Internationales, Pressefreiheit • von

„Arabia Felix“, glückliches Arabien, nannten die Römer den Jemen. Heute herrscht dort Bürgerkrieg und die Situation der Journalisten und Korrespondenten gehört zu den schlechtesten der Welt.

Foto: Mohammed Al-Eez

Seit Beginn Arabischen Frühlings 2010 in zahlreichen arabischen Ländern lässt sich die Mediensituation im Jemen am besten mit dem Wort „Chaos“ beschreiben. Journalisten müssen nicht nur um ihr Recht auf freie Meinungsäußerung kämpfen, die in dem Land sehr stark eingeschränkt ist. Sie befinden sich zudem ständig in Lebensgefahr. Es wird für Journalisten deshalb immer schwieriger, ihre Rolle als Informationsermittler auszuführen. Sie vermitteln Informationen über verschiedene Konfliktgrenzen hinweg und stehen unter ständigem Druck. Dies kann auch die Ausgewogenheit und Neutralität ihrer Berichterstattung beeinflussen. Journalisten sind somit oft gezwungen, die Regeln und Normen ihres Berufes zu vernachlässigen, wenn sie nur über das berichten dürfen, was ihnen die Autoritäten erlauben.

Der Jemen wird heute im „Word Happiness Report“ der Vereinten Nationen als eines der unglücklichsten Länder der Welt gelistet. Der Glücksindex basiert auf Kriterien wie Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, soziale Unterstützung, Lebenserwartung, Korruptionsgrad und soziale Freiheit.

Der Jemen ist eines der ärmsten Länder der Welt und seine Stabilität wurde in den vergangenen Jahren immer wieder durch Konflikte und Krisen bedroht:

  • Der Krieg mit den Huthi-Rebellen seit 2014
  • Die Präsenz der Bewegung „Al-Haraka Al-Infissalia“ im Südjemen
  • Die Präsenz der Al-Qaeda in einigen Städten
  • Die Veränderungen ausgelöst durch den Ausbruch der Revolution 2011
  • Groß angelegte militärischen Operationen durch Saudi-Arabien und dessen Alliierte
  • Terroristische Anschläge in verschiedenen Teilen des Landes durch Terrorzellen, die dem IS nahestehen

Viele Journalisten sind als Folge ihrer Arbeit gezwungen, den Jemen zu verlassen; andere wie Jamal Al Sharabi und Mohammed Al Abssi, wurden getötet. Der Fotojournalist Al Sharabi wurde 2011 von jemenitischen Sicherheitskräften getötet, als er über die Anti-Regierungsdemonstrationen berichtete. Al Abssi kam während der Recherchen für einen Beitrag ums Leben, in dem er über die Korruption im Jemen berichten wollte. 41 andere Journalisten befinden sich momentan in Haft.

 „Es ist schwierig, die Todesszenen zu vergessen; und die Folgen zeigen sich nicht sofort, sondern erst im Verlauf der Jahre.“

Für meine Studie habe ich acht Kriegsreporter, die für insgesamt neun Medien tätig sind, interviewt. Die Befragten stammen aus dem Jemen (5), aus dem Irak (1), aus Ägypten (1) und aus Libyen (1).

Alle Befragten geben an, aufgrund ihrer Berichterstattung über den Krieg im Jemen unter psychologischen Auswirkungen zu leiden. Einige von ihnen haben auch physischen Druck (Todesdrohungen) sowie technische Schwierigkeiten (Probleme mit der Übermittlung von Informationen in Echtzeit) erfahren. Ein Korrespondent, der für einen internationalen Fernsehsender arbeitet, hat mir anvertraut: „Es ist schwierig, die Todesszenen zu vergessen; und die Folgen zeigen sich nicht sofort, sondern erst im Verlauf der Jahre.“

Bei der Beschaffung von Daten sind Journalisten stark abhängig von Regierungsquellen, militärischen Institutionen und deren Repräsentanten, Augenzeugen, den Medien und dem Internet. Die Journalisten, mit denen ich gesprochen habe, haben außerdem viele Informationen erhalten, die nicht veröffentlicht werden durften. Die meisten geben zu, Fehler gemacht zu haben, indem sie möglicherweise falsche Informationen ohne weitere Überprüfung veröffentlicht haben.

„Jede Konfliktpartei versucht, Journalisten auf ihre Seite zu ziehen. (…)“, erklärt ein Journalist, der für einen weiteren internationalen Sender arbeitet. „Der Journalist sollte nicht eine feindselige Haltung gegenüber einer bestimmten Seite einnehmen, sondern sollte sich auf die Suche nach der Wahrheit begeben, die wiederum keine Seite vorteilhaft darstellt.“

 „Ich wurde gekidnappt. Das zeigt, welche Stellung der Journalismus hat.”

Alle befragten Journalisten schildern, dass sie während ihrer Arbeit physischen Gefahren ausgesetzt seien (Ziel von Anschlägen, Schießereien, Überfälle aus dem Hinterhalt, Raketen, Autobomben, Entführungen). Ihre Sicherheit werde nicht genug geschützt, so würden auch kugelsichere Westen fehlen und für Personenschutz müsse man viel Geld zahlen.

Ein Journalist erzählt von drastischen Erfahrungen: „Ich wurde gekidnappt. Das zeigt, welche Stellung der Journalismus hat. Einige in den Konflikt involvierte Parteien wollen dessen Präsenz nicht akzeptieren und versuchen deshalb, Journalisten zum Schweigen zu bringen, indem sie ihnen Angst einjagen.“

Einige der befragten Journalisten berichten, dass die Qualität des Journalismus unter der militärischen Kontrolle der Gebiete, über die berichtet wird, leidet. Sie geben zu, dass sie in der Folge häufig nur die Meinung einer Konfliktpartei weitergeben. So sagt der Reporter einer lokalen Nachrichtenwebsite: „Die Huthis haben mich stark unter Druck gesetzt. Ich bin verhaftet worden und habe keinen Zugang mehr zu der von ihnen kontrollierten Zone. Von den anderen Seiten habe ich keine Repressionen gespürt, vielleicht, weil ich sie unterstützt habe.“

Der Schutz von Journalisten an den Frontlinien der Konflikte gilt als gefährlich und ihre Sicherheit ist niemals garantiert. Ein Journalist im Ruhestand erzählt: „Es gibt keinen Schutz, keine Garantie. Aber das ist Teil eines kalkulierten Abenteuers, denn auch wenn man alle möglichen Garantien zugesichert bekommt, setzt man sich mit jedem Schritt der Gefahr aus.“

„Es ist nicht leicht, neutral zu bleiben, wenn es um humanitäre Krisen geht.“

Die Studie zeigt, dass die verschiedenen Konfliktparteien ständig versuchen, Einfluss auf Korrespondenten auszuüben, damit die Berichterstattung ihren Interessen nützt. Die geopolitische Situation, in der sich ein Journalist befindet, kann sich stark auf dessen Entscheidungen auswirken, wenn es um mögliche Risiken bei der Berichterstattung über bestimmte Ereignisse und um die Verbreitung von Informationen über das Kriegsgeschehen geht. Die Arbeit in diesen Gebieten kann lebenslange psychologische Folgen für die Journalisten haben, die sich manchmal erst viel später herausbilden. Patriotismus kann auch dazu führen, dass Journalisten weniger objektiv berichten und sich selbst zensieren und somit zu Unterstützern einer der beteiligten Gruppierungen werden.

So sagt ein Journalist eines internationalen Mediums: „Es ist schwer, neutral zu bleiben. Manchmal konnte ich nicht anders, als zu weinen, weil die Tatsachen mich so sehr getroffen haben. Es ist nicht leicht, neutral zu bleiben, wenn es um humanitäre Krisen geht. Der Reporter kann oft nicht die Ansichten beider Seiten vermitteln und riskiert deshalb, zum Sprachrohr der Seite zu werden, auf dessen Gebiet er sich befindet.“

Trotz der Einschränkungen und Repressionen messen die Befragten dem Beruf des Journalisten eine große Bedeutung bei. Sie schätzen ihren kreativen Beruf, üben ihn mit großer Leidenschaft aus und sind bereit, für ihre Berichterstattung Risiken in Kauf zu nehmen. Die Arbeit von Kriegsberichterstattern ist hoch riskant, sie setzen immer ihr Leben aufs Spiel. Umso wichtiger ist es, dass Kriegsreporter sich mental auf alle möglichen Folgen vorbereiten. In Kriegsgebieten werden humanitäre oder moralische Normen nicht beachtet, auch nicht, wenn es sich um neutrale Personen wie Journalisten handelt.

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der rumänischen EJO-Seite veröffentlicht. 

Übersetzung aus dem Französischen: Johanna Mack

 

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