In Ungarn und Russland werden Medien so gut wie nie von einheimischen Geldgebern gefördert und ausländische Medienförderer von den Regierungen unter Druck gesetzt. Der ungarische Medienwissenschaftler Krisztian Simon promoviert an der Freien Universität Berlin zur Rolle der Medienförderung von Stiftungen und anderen Geldgebern in ehemaligen Ostblockstaaten und in Russland. Kornélia R. Kiss hat mit ihm über seine Forschung gesprochen.
EJO: Für Ihr Dissertationsprojekt analysieren Sie, welche Rolle ausländische Förderer für die Medienmärkte in Mittel-und Osteuropa spielen. Für Ihre Fallstudien haben Sie Russland und Ungarn gewählt – warum diese beiden Länder?
Krisztian Simon: Russland und Ungarn sind Länder, in denen die Regierungen enormen Druck auf ausländische Förderer ausüben. Einheimische Förderer, die unabhängige Medien im eigenen Land fördern, wie dies zum Beispiel in den USA oder in Deutschland der Fall ist, hat es in diesen Ländern nie gegeben. Seit dem Ende des Kommunismus wurden Medien von ausländischen Stiftungen, mehrheitlich von amerikanischen, gefördert, wie zum Beispiel dem National Endowement for Democracy, der Ford Foundation oder den Stiftungen des ungarischstammigen amerikanischen Milliardärs und Philanthropen George Soros.
Warum gibt es in diesen Ländern keine einheimischen Medienförderer?
Im östlichen Teil Europas sind wohlhabende Geschäftsleute vor allem in wirtschaftlichen Bereichen tätig, denen die Regierung wohlgesonnen ist. Sie sind bereit, in den sozialen oder in den Gesundheitsbereich zu investieren, aber sie vermeiden Themen, die politisiert sind und deswegen zu Konflikten mit der Regierung führen könnten, wie zum Beispiel Medienfreiheit oder Menschenrechte. Die ungarische Regierung führt gegen George Soros politische Kampagnen, weil seine Stiftungen auch diese Bereiche finanzieren. Auch in Russland gibt es Geschäftsleute, die versucht haben, solche konfliktreichen Bereiche zu fördern, aber ihre Versuche sind auf großen Widerstand gestoßen. Der ehemalige russische Oligarch Michail Chodorkowski kann zum Beispiel nur noch aus dem Ausland Projekte in Russland fördern. Auch die Stiftung Sreda musste auf Druck der Regierung ihre Medienförderungen einstellen.
Können russische Medien noch Förderungen von ausländischen Förderern annehmen?
Die ausländischen Organisationen, die russische zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien gefördert haben, sind infolge eines 2015 erlassenen Gesetzes „unerwünschte Organisationen” in Russland geworden. Sie mussten ihre Büros schließen und können im Land niemandem mehr Geld zukommen lassen. Unter ihnen sind das National Endowement for Democracy, die Open Society Foundations, die Ford Foundation und die Stiftung von Michail Chodorkowski, die Open Russia. Nur kleinere Förderer sind aktiv geblieben, mehrheitlich europäische Organisationen. In Datenbanken – zum Beispiel bei Media Impact Funders – werden sowohl die Namen der in Russland aktiven Förderer als auch die Namen der in Russland geförderten Organisationen anonymisiert. Ich kenne nur eine russische Redaktion, die auf ihrer Webseite veröffentlicht hat, dass sie sich für die Förderung der Europäischen Kommission bedankt. Es sind eher nur kleinere Medien-Startups, die sich trauen, solche Förderungen anzunehmen, größere Redaktionen riskieren das nicht. Auch auf dem Werbemarkt ist der Einfluss der Regierung groß, deshalb wäre es möglich, Werbekunden wegen der Annahme ausländischer Gelder zu verlieren.
Ist es auch schon in den ehemaligen Ostblockstaaten zu solchen Problemen gekommen?
Solche Fälle wie in Russland, dass eine Redaktion eine ausländische Förderung nicht annehmen konnte, sind mir nicht bekannt. Aber meiner Meinung nach kann man in der Region zwischen „sicheren und weniger sicheren” Förderer unterscheiden. Weniger sichere Förderer sind die Organisationen, die mehrheitlich oder ausschließlich in den Ländern, in denen es ein Demokratiedefizit gibt, aktiv sind. Falls jemand von einer Organisation wie die Open Society Foundations (OSF) von George Soros Geld annimmt, gilt das in Ungarn als ein politisches Statement. Das gilt auch umgekehrt. Es ist auch ein politisches Statement, dass die OSF in Ungarn in großem Umfang Medienprojekte fördert. Oder dass das Außenministerium der USA vor kurzem angekündigt hat, dass es in Osteuropa mit bis zu 770.000 Dollar Medien fördern wird. Die Botschaft dieser Förderungen ist, dass es in diesen Ländern Probleme mit der demokratischen Öffentlichkeit gibt. Die von mir als „sichere Förderer” eingestuften Organisationen sind zum Beispiel der Google Innovative News Fund oder das European Journalism Center, weil ihre Förderungen für Medien aller EU-Länder zugänglich sind. Die Gemeinsamkeit der Förderer in dieser Region und Russland ist, dass sie die Medien mit kleineren Geldbeträgen fördern: das Geschäftsmodell einer größeren Redaktion darauf zu basieren ist völlig unvorstellbar.
Wie beeinflusst die Medienförderung die Unabhängigkeit der Berichterstattung?
Die Frage ist auch, was man mit Unabhängigkeit eigentlich meint: in meiner Untersuchung meine ich mit Unabhängigkeit die Unabhängigkeit der Redaktion von der Regierung. Guter Journalismus muss immer kritisch gegenüber der jeweiligen Regierung sein. In den vergangenen Jahren gab es viele Studien dazu, ob die redaktionelle Unabhängigkeit von den Medienförderungen der Stiftungen beeinflusst wird. Eine zentrale Frage dabei ist das Konzept der Stiftung: „Medienentwicklung” oder „Medien für die Entwicklung”. Förderer, die zu der zweiten Kategorie gehören, fördern Medien, damit diese sich mit bestimmten Themen beschäftigen und damit die Entwicklungsziele der Förderer unterstützen. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich die Redaktionen in diesem Fall nicht trauen, den Förderer zu kritisieren. Das Konzept „Medienentwicklung” sieht die kritische Öffentlichkeit selbst als Entwicklungsziel. Die Medien, die sich um eine Förderung bewerben, versuchen wahrscheinlich ihre Tätigkeit den Bewerbungskriterien anzupassen – aber insgesamt genießen sie mehr Freiheit in ihrer Themenauswahl und Berichterstattung als die Medien, die nach dem Konzept „Medien für Entwicklung” gefördert werden.
Wie systematisch gestaltet sich die Förderung der Europäischen Union in der Region?
Systematisch ist sie nicht. Ich würde auch nicht sagen, dass sie beträchtlich wäre. Es gibt kleinere Förderungen für investigative Projekte, in den meisten Fällen für die Produktion einzelner Beiträge. Und europäische Themen werden gefördert – in Ungarn nutzen auch größere Redaktionen diese Möglichkeit, um mehr über die EU berichten zu können. Außerhalb der EU, vor allem in den in EU-Nachbarländern, spielen die Medienförderungen der EU eine viel größere Rolle als innerhalb der EU.
Können mithilfe dieser Förderungen die negativen Trends in der mittel- und osteuropäischen Medienlandschaft umgekehrt werden?
Diese Medienförderungen sind einfach zu wenig im Vergleich zu den Mitteln und Ressourcen, die die autoritären Regime nutzen können, um sogar finanziell stabile Medien zum Schweigen zu bringen. Die Zuschüsse von Stiftungen ermöglichen aber, dass Qualitätsjournalismus und Medien, die schwierig zugängliche Informationen veröffentlichen, die Regierung kontrollieren und marginalisierten Gruppen eine Stimme geben, in diesen Ländern wenigstens überleben können.
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