Mediensysteme im Wandel, Fokus Naher Osten

4. Februar 2016 • Internationales, Pressefreiheit • von

Zahlreiche Neuerscheinungen spiegeln das weiterhin große Interesse an den Medien einer Region, die derzeit zu den volatilsten der Welt gehört.

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„Arab media matters“, schreibt Jakob Skovgaard-Petersen so schön wie schlicht in dem von ihm mit herausgegebenen Sammelband „Arab Media Moguls“. Dass er mit dieser Einschätzung richtig liegt, lässt sich auch an der Zahl von Neuerscheinungen zu Medien im arabischsprachigen Raum ablesen. Drei dieser Publikationen werden hier vorgestellt.

Mit Arabische Medien haben Carola Richter und Asiem El Difraoui einen sorgfältig editierten Sammelband vorgelegt, in dem Autorinnen und Autoren mit langjährigen Erfahrungen in der Region die Mediensysteme im Nahen Osten analysieren. Die Medienlandschaft von insgesamt 18 Ländern (Ägypten, Sudan, Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Syrien, Libanon, Palästina, Jordanien, Irak Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Qatar, Bahrain, Kuwait, Oman, Jemen) wird jeweils prägnant beschrieben und kontextualisiert, die zum Teil dramatischen politischen Umbrüche seit 2011 werden in die Analyse integriert.

Besonders hilfreich ist der klare Aufbau der Länderporträts, bei denen auf einen historischen Abriss jeweils Kurzanalysen der gesellschaftlichen, der politischen und rechtlichen und der ökonomischen Rahmenbedingungen sowie der Kommunikationsinfrastruktur folgen. Dies erlaubt es, rasch Einzelaspekte der nationalen Mediensysteme und ihrer jeweiligen Kontexte nachzuschlagen und zu vergleichen. Dabei wird schnell klar, dass die nationalen Mediensysteme von Marokko über den Oman bis hin zum Irak zwar mit dem Arabischen eine gemeinsame Sprache haben, neben weiteren Gemeinsamkeiten wie der starken Instrumentalisierung der Medien durch die jeweils herrschenden Regime und der engen Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Eliten auch entscheidende Unterschiede aufweisen – sei es in der Ausprägung der jeweiligen Regierungssysteme, des unterschiedlichen Reichtums an Rohstoffen oder des Ausmaßes der Medienpenetration.

Trotz der Entwicklung der arabischen Medien unter zum Teil sehr unterschiedlichen, nationalen Bedingungen sind dennoch für die gesamte Region spezifische Phänomene zu beobachten. An erster Stelle zu nennen ist sicher der Erfolg der großen transnationalen Satelliten-Sender, die zunächst vor allem mit Unterhaltungsprogrammen und spätestens seit der Gründung von Al-Jazeera 1996 auch mit politischen Debatten und Nachrichten auf die nationalen Medienlandschaften zurückwirkten. Weitere transnationale Phänomene, die in acht Kapiteln behandelt werden, sind unter anderem die Entwicklung von so genannten Media Cities in der Region, die Rolle sozialer Medien für die politische Kommunikation oder die Mediennutzung durch islamistische Akteure. Der Blick richtet sich aber auch auf kleinräumige Phänomene wie den Umgang der Massenmedien mit Minderheiten und deren Nutzung von Medien zur Wahrung ihrer eigenen politischen und kulturellen Identität. Die Analyse der medialen Sichtbarkeit und Mediennutzung der marokkanischen Imazighen, der ägyptischen Kopten und der irakischen Kurden belegt wiederum die Vielfältigkeit der Mediensysteme einer Region, die noch immer häufig als homogener Raum wahrgenommen wird.

Auch der Sammelband Arab Media Moguls schärft mit der Analyse der Eigentumsstrukturen arabischer Medien den Blick für transnationale Phänomene. In neun Kapiteln werden Werdegang und professionelle Strategien einflussreicher Medienunternehmer aus dem Libanon, Saudi-Arabien, Ägypten und Tunesien analysiert. Das Buch stößt in eine immense Lücke, denn bislang sind verlässliche Informationen über die Eigentumsstrukturen von arabischen Medienunternehmen im Privatbesitz und die Geschäftsbeziehungen ihrer Eigner nur schwer und zum Teil überhaupt nicht zu bekommen. Medienwissenschaftler und Journalisten aus der Region klagen regelmäßig über intransparente Unternehmensstrukturen und daraus resultierende Probleme für die journalistische Glaubwürdigkeit. Allerdings ist dies ein Manko, das häufig auch Medienunternehmen betrifft, die sich im Besitz staatlicher Instanzen oder von Parteien befinden. Das Übergewicht von libanesischen und saudi-arabischen Unternehmern in der Publikation verweist zurück auf die ökonomischen und politischen Ungleichgewichte in der Region.

Deutlich werden in allen Kapiteln die enge Verflechtung von Medien und Politik, aber auch die transnationalen Beziehungen der Kapitaleigner, die weit über den arabischen Raum hinaus reichen. So konstatiert Jakob Skovgaard-Petersen über die tunesischen und ägyptischen Medienmogule Tarek Ben Ammar und Naguib Sawiris, dass sie „beide gute Beziehungen zu den früheren Präsidenten ihrer Länder, Ben Ali und Mubarak, hatten – dies zeigte sich in der Tatsache, dass ihnen gestattet wurde, unabhängige Medien zu gründen”. Die Gründung eines Medienunternehmens in autoritären Staaten ohne Zustimmung der jeweils Herrschenden war (und ist) unmöglich. Die herrschenden Regime öffneten den Markt für private Investitionen, im Gegenzug akzeptierten die kapitalistischen Medienunternehmer die Spielregeln und verhinderten, dass ihre Medien die Herrschaftsverhältnisse in Frage stellten und bestimmte rote Linien überschritten. Dies zeigte sich unter anderem während der Massendemonstrationen von 2011, während derer sowohl Ben Ammar wie auch Sawiris zugunsten des Machterhalts der beiden Diktatoren zu vermitteln suchten.

Die Kapitel von Donatella Della Ratta, Naomi Sakr und Tourya Guaaybess analysieren die ökonomischen, politischen und informellen Beziehungen der beiden genannten Medienmogule, die ähnlich wie ihre libanesischen und saudi-arabischen Kollegen die finanziellen und professionellen Netzwerke ihrer Familien nutzten und weiterentwickelten. Nationale Grenzen spielen für ihre Geschäfte keine große Rolle, wie die Beziehungen Ben Ammars, selbst tunesisch-französischer Abstammung, zu Silvio Berlusconi oder Muammar Gadaffi oder auch die Unternehmungen des ägyptischen Kopten Sawiris in Algerien oder im Irak beweisen. Aus der Anpassungsfähigkeit der arabischen Medienmogule während des vergangenen Jahrzehnts kann darauf geschlossen werden, dass finanzkräftige und risikofreudige Medienunternehmer auch in Zukunft eine wichtige Rolle für die arabische wie die globale Medienlandschaft spielen werden.

Von einer anderen Seite aus blickt der Sammelband Medienfreiheit in Ägypten von Judith Jäger und Christopher Resch auf den aktuellen Zustand des ägyptischen Mediensystems, nämlich aus der Perspektive von Journalisten, Kameramännern und Fotografen. Ägyptische und ausländische Medienschaffende beschreiben ihren journalistischen Alltag und die sich seit 2013 ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen. Vor allem die zunehmende Gefahr von gewaltsamen Übergriffen durch rivalisierende politische Gruppen, die Sicherheitsapparate sowie misstrauische Passanten machen Ägypten zu einem der derzeit gefährlichsten Länder für Journalisten.

Die hier versammelten Medienleute waren Augenzeugen der Veränderungen der vergangenen vier Jahre, die mit hochfliegenden Hoffnungen begannen und heute großer Ernüchterung Platz gemacht haben. So urteilt Ehab Zelaky, Chefredakteur der Tageszeitung Al Masry Al Youm („Der Ägypter heute“), die 2004 als erste ägyptische Tageszeitung in Privatbesitz erschien und mit investigativ recherchierten Artikeln für Aufsehen sorgte, über die ägyptischen Massenmedien: „Dieses gedrückte Klima hat die ägyptischen Medien in ihrer großen Mehrheit zu einer einzigen farblosen Kopie der immer gleichen Predigt und der immer gleichen Botschaft gemacht“. Nationale Einheit, Sicherheit und Stabilität und der Kampf gegen Terroristen sind die Botschaften, die seit dem Sturz des Präsidenten Mohammed Morsi im Juli 2013 die Nachrichten und Talkshows beherrschen. Wer gegen diese Linie verstößt, muss sich einen neuen Arbeitgeber suchen oder findet sich im Krankenhaus oder im Gefängnis wieder.

Das Buch ist reich bebildert mit Fotos von Protesten aus allen Stadien der politischen Transition seit 2011 und vom journalistischen Arbeitsalltag in dieser Zeit. Die Texte stehen zum Teil etwas unvermittelt nebeneinander, sind aber dennoch wichtige Zeugnisse für den Kampf um Pressefreiheit in politisch turbulenten Zeiten. Der Blick in die nahezu gleichgeschalteten Medien Ägyptens und die hier versammelten Berichte über selbst erlebte Angriffe und Drohungen mögen es naheliegend erscheinen lassen, diesen Kampf resigniert aufzugeben. Dennoch gibt es auch hoffnungsvolle Zeichen: Erste Erfolge bei der gesetzlichen Verankerung der Pressefreiheit, die Enttabuisierung von Themen wie sexueller Belästigung, das in den politischen Auseinandersetzungen gereifte Potenzial zur Medienkritik durch das Publikum und nicht zuletzt die Etablierung verschiedener digitaler Plattformen als Sammelbecken für kritischen Journalismus. Eine ägyptische Journalistin verspricht für sich und ihre Kollegen trotz aller Bedrohungen „den unvermeidlichen Weg fortzusetzen, den wir für uns gewählt haben (…) und ein auf andere Medien übertragbares Erlösmodell zu entwickeln, das es unabhängigen Medieninstitutionen ermöglicht, fortschrittliche journalistische Inhalte zu produzieren”.

Asiem Difraoui und Carola Richter (Hrsg.): Arabische Medien. Konstanz 2015, UVK

Donatella Della Ratta, Naomi Sakr und Jakob Skovgaard-Petersen (Hrsg.): Arab Media Moguls. London 2015, I.B. Tauris

Judith Jäger und Christopher Resch (Hrsg.): Medienfreiheit in Ägypten. Zum journalistischen Arbeiten in Ägypten nach der Arabischen Revolution. Köln 2015, Herbert von Halem Verlag

Foto: Nadia Leihs

 

Zum Thema:

Kolumne von EJO-Direktor Stephan Russ-Mohl im Tagesspiegel vom 31. Januar 2016 über arabische Medienwelten

 

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