Pressefreiheit darf nicht zu Gnadenrecht verkommen

2. Mai 2016 • Pressefreiheit • von

Warum wir dieses Jahr den Internationalen Tag der Pressefreiheit nicht einfach so vorbeigehen lassen sollten

Erdogan

Der türkische Präsident Erdogan erstattete Strafanzeige gegen Jan Böhmermann.

In den kommenden Tagen werden wir von den üblen Verstößen gegen die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei, in Ungarn, in Bulgarien und – nach 25 Jahren wieder – in Polen lesen. Der Internationale Tag der Pressefreiheit ist dafür da, uns diese unhaltbaren Zustände in Erinnerung zu rufen. Auf Facebook werden wir Likes verteilen für das Anprangern dieser Verbrechen gegen die Menschenrechte und uns heimlich freuen, dass Ankara, Budapest und Sofia so weit weg sind.

Aber halt. Machen wir es uns nicht zu einfach. Auch wenn wir es schon nicht mehr hören können: Der reichlich schräge Spaßvogel Böhmermann mag ein Pöbler sein. Der Umgang mit seinem Schmähgedicht lässt plötzlich den sicher geglaubten Boden der Presse- und Meinungsfreiheit erbeben.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Zuerst war da ein Lied auf „Extra 3“ im Norddeutschen Rundfunk: Erdowie, Erdowo, Erdogan. Der türkische Präsident Erdogan fand dieses Lied nicht lustig, bestellte den deutschen Botschafter ein und verlangte gleich das Ende des gesamten Formates „Extra 3“. Spaßrakete Böhmermann nahm diese Reaktion zum Anlass für seine „Schmähkritik“, ein Gedicht, das vor Beleidigungen und unflätigen Kränkungen Erdogans nur so strotzt. Der erboste Präsident Erdogan erstattete privat Strafanzeige.

Die deutsche Bundesregierung prüfte, ob ein Verfahren wegen Beleidigung eines Staatsoberhauptes nach dem längst eingemottet geglaubten „Schah-Paragraphen“ zulässig sei. Kanzlerin Merkel ließ die Klage zu und spaltete augenblicklich die Gesellschaft. Und wo steht Jan Böhmermann? Da wo er immer stand, am Spielfeldrand. Und beobachtet die Schlägerei, die er angezettelt hat.

Warum uns das am 3. Mai und darüber hinaus beschäftigen sollte, ist nicht nur das unerträgliche Verhalten Erdogans, der in der Türkei gegen missliebige Journalisten vorgeht und nun meint, das auch jenseits der türkischen Grenzen tun zu können. Sondern auch und vor allem der Stellenwert, den das Menschenrecht der Presse- und Meinungsfreiheit bei uns einnimmt.

Ein türkischer Kommunikationswissenschaftler hat die Sache auf den Punkt gebracht: Mehmet Ata hat im Jahr 2011 eine vergleichende Diskursanalyse über den Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien veröffentlicht. Er kommt zum Schluss, dass Pressefreiheit unverhandelbar ist und sein muss. Sie darf nicht zu einem Gnadenrecht verkommen. Ata erinnert mit diesem Verweis auf die wechselvolle historische Karriere der Pressefreiheit. Die Aufklärer kämpften den Weg für die Pressefreiheit frei: vom Gnadenrecht der Potentaten zum Menschenrecht für alle.

Darf nun Satire aber nur noch das, was ihr erlaubt wird, so ist das Gnadenrecht nicht mehr fern. Und das ist einer vermeintlich vorbildlichen Demokratie wie den unsrigen unwürdig. Darum: heraus zum 3. Mai!

Literaturhinweis:

Ata, Mehmed (2011): Der Mohammed-Karikaturenstreit in den deutschen und türkischen Medien. Eine vergleichende Diskursanalyse. VS: Wiesbaden.

Erstveröffentlichung: derStandard.at vom 2. Mai 2016

Bildquelle: Global Panorama / Flickr Cc: Recep Tayyip Erdogan; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

 

Zum Thema auf EJO:

Rangliste der Pressefreiheit: Deutschland auf Platz 16

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