Wie Kreml-treue Medien über den Euromaidan berichteten

3. März 2014 • Pressefreiheit • von

Wie zwei Journalisten der russischen Online-Nachrichtenplattform Lenta.ru aufzeigen, berichteten Russlands Kreml-treue Medien über die ukrainischen Euromaidan-Proteste komplett anders als die westeuropäischen Medien. Lenta.ru ist eine der populärsten Internetzeitungen Russlands; sie vertritt eher liberale Positionen und zeigt sich relativ neutral, wenn es um die Berichterstattung über politische Themen geht.

Elizaveata Surganova und Konstantin Benumov von Lenta.ru haben sich in ihrer Analyse auf die Fernsehsender Erster Kanal (Perwy Kanal), Russland 24 und NTW sowie die Zeitungen Rossiyskaya Gazeta und Komsomolskaya Pravda konzentriert und ihre Berichterstattung mit der westlicher Medien verglichen.

Surganova und Benumov halten fest, dass die von der russischen Regierung kontrollierten Medienunternehmen in ihrer Berichterstattung über die Proteste deutlich die offizielle Position des russischen Außenministers Sergej Lawrow unterstützten. Laut der Lenta.ru-Journalisten versuchten sie ihrem Publikum deutlich zu machen, dass das Chaos in Kiew von den Demonstranten ausgelöst wurde, die sie als „Radikale“, „Kämpfer“ und „Extremisten“ bezeichneten. Die, wie es hieß, „waffenlosen“ Berkut-Einheiten dagegen wurden als „die einzige Maßnahme“ dargestellt, die gewährleisten konnte, „dass das Ganze nicht in einem Bürgerkrieg endet“.

Der Sender Russland 24 bezichtigte laut der beiden Lenta.ru-Journalisten die westlichen Medien, gegenüber der ukrainischen Regierung voreingenommen zu sein. Sie warfen den Journalisten aus dem Westen vor, dass sie „nur über den Tod von Demonstranten berichteten“, „die ukrainische Regierung verantwortlich für die Toten“ machten und keine abweichenden Meinungen zuließen.

Wie es in der Analyse heißt, sendete Russland 24 am 20. Februar ein Live-Telefoninterview mit dem Abgeordneten des Obersten Rates der Autonomen Republik Krim Leonid Pilunskiy. Der Politiker sagte völlig unerwartet, dass die „korrupte ukrainische Regierung für die Eskalation der Situation auf der Krim verantwortlich“ sei, während „die Maidan-Strukturen keinerlei Bedrohungen für die Region“ darstellen würden. Das Gespräch mit ihm wurde abrupt abgebrochen und der Sender entschuldigte sich für die „technische Störung“.

In einer Sendung vom Ersten Kanal, der 98,8 Prozent der russischen Bevölkerung erreicht, sagte ein Reporter, es sei sehr schwierig von Kiew zu senden, da „die Massen der sogenannten friedlichen Demonstranten Schlagstöcke dabei haben“ und es „nicht möglich ist, mit ihnen zu diskutieren“. Während der gewalttätigsten Momente der Maidan-Proteste konzentrierte sich der Sender auf die Opfer unter den Polizisten. Ihre Angreifer – also die Demonstranten – beschrieben die Journalisten als „brutalen Mob von Betrunkenen und Drogenabhängigen“, die mit scharfer Munition angreifen würden.

Auch der Sender NTW berichtete, dass Demonstranten scharf schossen und sich die Berkut-Einheiten lediglich mit Gummigeschossen und Blendgranaten verteidigten. Der Sender zeigte zwar auch Szenen von Menschen, die in Polizeiuniform von Schusswaffen Gebrauch machten. Doch dazu wurde folgender Kommentar gesendet: „Wenn man genau hinschaut, wird es klar: die Rebellen tragen die Uniform der Berkut-Polizisten, die sie als Geiseln genommen haben.“

Auch die russische Presse unterstützte die offizielle Position der russischen Regierung und schrieb von „radikalen Extremisten, die mit allen Kräften versuchen, die Ukraine zu zerstören“. Rossiyskaya Gazeta veröffentlichte Fotos der Demonstranten unter dem Titel „Europäische Union, sie kommen zu dir. Unterstützt von den Vertretern der westlichen Staaten werden die Oppositionellen zu Verbrechern.“

Komsomolaskaya Pravda, eine der meistverkauften Zeitungen des Landes, bediente sich in ihrer Berichterstattung der Einschüchterungsrhetorik und versuchte ihrem Publikum weiszumachen, dass der Euromaidan eine direkte Bedrohung für Russland darstelle. So titelte sie beispielsweise „Nach der Besetzung der Ukraine werden die Bandera-Nachkommen auf Russland zielen“. Der Begriff „Bandera-Nachkommen“ bezieht sich dabei auf den umstrittenen Politiker Stepan Bandera (1909-1959), der die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) anführte und dessen Name in der sowjetischen Ideologie eng mit dem Faschismus assoziiert wird.

Die Kreml-treue Zeitung zitierte konservative russische Politiker und Kommentatoren, die sich alle einig waren, dass die USA hinter den Protesten stecken und einen Komplott schmieden würden, um sich  ein „uneingeschränktes Recht auf die Weltherrschaft“ zu sichern. Sie appellierten an den Präsidenten Wiktor Janukowitsch, „seine ganze Macht und Stärke“ zu nutzen, um „dem Blutvergießen ein Ende zu setzen und einen Bürgerkrieg zu verhindern“.

Im Vergleich mit einigen ausgewählten westlichen Medien stellten die Journalisten von Lenta.ru fest, dass sich dort viel vorsichtigere Einschätzungen fanden. So streamten CNN und BBC zum Beispiel dieselben Aufnahmen wie der russische Sender NTW vom Euromaidan, sagten dabei aber, dass es schwierig sei zu erkennen, wer die Scharfschützen wären. Sie wurden als „Leute in Uniform“ beschrieben, „vermutlich die Uniform der Streitkräfte“.

Auch die westlichen Printmedien verzichteten laut Lenta.ru auf einseitige Bewertungen und gaben weder der einen noch der anderen Partei die Schuld. Die New York Times zum Beispiel veröffentlichte einen Kommentar von dem früheren Ministerpräsidenten Italiens Romano Prodi, der Folgendes schrieb: „Viele oder sogar die meisten Demonstranten sind aufrichtig und wollen eine friedliche, stabile und demokratische Ukraine. Aber es gibt auch eine gewalttätige Interessengruppe, die Regierungsgebäude besetzt und Polizisten mit Waffen und Sprengstoff angreift.“

Von einigen westlichen Medien kamen aber auch schärfere Wertungen. Die französische prokommunistische L’Humanité bezeichnete die radikalen Maidan-Vertreter als Faschisten, die „keine Ähnlichkeit mit den friedlichen Demonstranten haben, die in den Medien beschrieben werden“. Die Welt dagegen schrieb nach den gewalttätigen Ausschreitungen, dass Präsident Janukowitsch wegen Mordes an den Menschen, die „für europäische Werte“ gestorben sind, vor Gericht gestellt werden sollte. The Economist gab allein Wladimir Putin die Schuld, wie die Schlagzeile „Putins Inferno“ zeigte, während die Bild-Zeitung von der „Solidarität der Tyrannen“ schrieb.

Alles in Allem dürfte es die Berichterstattung der westlichen Medien den Lesern und Zuschauern eher erlauben, sich eine eigene Meinung über die Geschehnisse in der Ukraine zu bilden, als die der russischen Kreml-treuen Medien.

Quelle:

Elizaveta Surganova & Konstantin Benumov (2014): „Die sogenannten Demonstranten”: Wie russische und westliche Medien über die Ereignisse in der Ukraine berichteten. Lenta.ru, http://lenta.ru/articles/2014/02/21/maidansmi/

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels

Artikel auf Englisch: A Twist in the Tale. Russian Media and Ukraine

Bildquelle: Alexandra Gnatoush / Flickr Cc

 

 

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