Wie der Bericht „State of Social Media, Middle East: 2018“ der University of Oregon zeigt, nutzen immer mehr Menschen im Nahen Osten soziale Medien – trotz immer strengerer Repressionen von Seiten der Regierungen und der Selbstzensur vieler Internetnutzer. Die Autoren des Berichts haben für EJO zusammengefasst, was Journalisten, die über den Nahen Osten berichten, über soziale Medien in der Region wissen sollten.
Journalisten, die im Nahen Osten arbeiten – oder über den Nahen Osten berichten – sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert, die vor allem mangelnder Medien- und Meinungsfreiheit in der Region geschuldet sind. Das kann dazu führen, dass Gespräche eher in für die Gesprächspartner kontrollierbaren Umgebungen geführt werden, wie z.B. in geschlossenen WhatsApp-Gruppen und verschlüsselten Anwendungen wie Telegram. Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und Unsicherheit darüber, was man in der Öffentlichkeit sagen kann, führen auch zu Selbstzensur. Die Tatsache, dass soziale Netzwerke in Zeiten des Umbruchs oft verboten oder blockiert werden, trägt dazu bei, dass viele Nutzer sich sehr vorsichtig im Netz bewegen.
Wie unser neuer Bericht „State of Social Media, Middle East: 2018“ zeigt, steigt die Zahl der Social Media-Nutzer in der MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika) dennoch weiter an.
Im Folgenden drei Überlegungen, wie Journalisten mit diesem komplizierten Arbeitsumfeld umgehen sollten:
1. Auf die Umgebung achten
Wie die Niederlassung der amerikanischen Brookings Institution in Doha, Katar, kürzlich betonte, hätten Fragen der Pressefreiheit im Nahen Osten einen besonderen Charakter: „Der Nahe Osten ist weltweit die gefährlichste Region für Journalisten. Nicht nur Journalisten, sondern auch die Medienunternehmen sind existenziell bedroht.“
Diesen Umstand hebt auch Reporter ohne Grenzen in seiner Rangliste der Pressefreiheit 2018 hervor, unter deren Schlusslichtern sich eine Reihe von Ländern des Nahen Ostens findet. Der Tod und die Inhaftierung von Journalisten in Ländern wie Syrien und Jemen geben Anlass zur Sorge, ebenso wie die zunehmende Feindseligkeit gegenüber Journalisten in Ägypten.
Im Jahr 2018 verabschiedete die ägyptische Regierung ein Gesetz, das die Orte einschränkt, an denen Journalisten arbeiten dürfen, und das Nachrichtenwebsites verpflichtet, Lizenzen zu beantragen. Darüber hinaus werden nun Social Media-Accounts mit mehr als 5.000 Anhängern als Medien kategorisiert und deshalb durch die Behörden überwacht.
Selbst erfahrene Journalisten bekommen die angespannte Stimmung in Ägypten zu spüren: Der Korrespondent der New York Times und ehemalige Leiter des Büros in Kairo, David D. Kirkpatrick, wurde kürzlich von Sicherheitsbeamten festgehalten und ohne Erklärung aus dem Land ausgewiesen
2. Social Media als Quelle
Trotz immer strengerer Repressionen und der Selbstzensur vieler Internet- und Social Media-Nutzer bleiben soziale Netzwerke Plattformen für Storys und dienen oft auch als Quellen.
Dieses Potenzial der sozialen Medien demonstrierte unter anderem der NPR-Journalist Andy Carvin während des sogenannten Arabischen Frühlings. In jüngster Zeit haben regionale Medienunternehmen wie Al Jazeera Social Media als Nachrichtenquelle genutzt, um über die Bewegung #BringDevBack zu berichten, die von jemenitischen Bürgern gestartet wurde, um ihr Land wiederaufzubauen.
Wie jede Quelle müssen auch Inhalte aus sozialen Netzwerken mit Vorsicht behandelt werden. Dies ist besonders wichtig angesichts der zunehmenden Instrumentalisierung des Cyberspace für politische Ziele (nicht nur in der MENA-Region).
Nach dem Verschwinden und der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi zeigte eine Untersuchung der NBC, wie Twitter-Konten – sowohl Accounts, hinter denen Menschen stecken als auch von Bots produzierte – die Aussagen unterstützten, mit denen die saudi-arabische Regierung ihre Verantwortlichkeit leugnete.
Außerdem enthüllte eine Reuters-Analyse ein Netzwerk von mindestens 53 Websites, die als „authentische arabischsprachige Nachrichtenagenturen auftreten und falsche Informationen über die saudische Regierung und den Mord an Khashoggi verbreitet haben“. Diese Geschichten wurden auch durch automatisierte Twitter-Bots ergänzt.
Dieser Trend zeigt sich auch in Online-Inhalten über das Nachbarland Katar. Im Mai 2018 wurden 29% der arabischen Tweets über Katar – eine Nation, die mit mehreren benachbarten Golfstaaten im Zwist liegt – von Bots gesendet. Dies entspricht einem Anstieg von 17% im Vergleich zum Vorjahr.
3. Social Media als Plattform für Verbreitung von Inhalten und Interaktion mit dem Publikum
Journalisten sollten sich all dem bewusst sein, aber es sollte sie nicht davon abhalten, soziale Medien zu nutzen. Sie sind nicht nur wichtige Quellen, sondern auch wichtige Plattformen für die Verbreitung von Inhalten und die Interaktion mit dem Publikum.
Das Wachstum von Facebook zum Beispiel bietet eine solche Chance. Anfang 2018 gab es 164 Millionen aktive monatliche Facebook-Nutzer in der arabischen Welt, noch fünf Jahre zuvor waren es nur 56 Millionen.
Fast die Hälfte der jungen Araber (49%) sagen, dass sie Nachrichten täglich über Facebook erhalten, im Jahr 2017 waren es nur 35%. Fast zwei Drittel (63%) der arabischen Jugendlichen geben außerdem an, dass sie zuerst auf Facebook und Twitter nach Nachrichten suchen.
Saudi-Arabien hat nicht nur die höchste jährliche Wachstumsrate an Social Media-Nutzern weltweit (32% neue Nutzer zwischen Januar 2017 und Januar 2018, gegenüber einem weltweiten Durchschnitt von 13%). Ein Drittel der Bevölkerung des Landes nutzt auch täglich Snapchat.
Da überrascht es nicht, dass das Netzwerk mit den vergänglichen Inhalten mit einer Reihe von lokalen Content-Anbietern zusammenarbeitet, die ihr Material für die Plattform aufarbeiten.
Soziale Medien im Nahen Osten sind ein komplexes und schnelllebiges Feld. Daher ist es für Journalisten unerlässlich, über neue Entwicklung auf dem Laufenden zu bleiben, wenn sie das volle Potenzial der sozialen Medien in der Region verstehen und nutzen wollen.
Die vollständige Studie „State of Social Media, Middle East: 2018“ von Damian Radcliffe und Payton Bruni kann auf der Website der Bibliothek der University of Oregon heruntergeladen oder online auf Scribd, SlideShare, ResearchGate und Academia.edu gelesen werden.
Übersetzt aus dem Englischen von Johanna Mack
Hauptbild: pixabay.de
Schlagwörter:Ägypten, Jamal Khashoggi, Jemen, Katar, MENA-Region, Middle East: 2018, Naher Osten, Pressefreiheit, Saudi-Arabien, Social Media, Soziale Medien, State of Social Media, Syrien