Unterstützung von Journalismus und Demokratie: Soziologe Erik Neveu schlägt sechs Regeln vor

12. November 2024 • Digitales, Pressefreiheit, Top • von

Die Konzentration der französischen Medien in den Händen von Milliardären, die Übermacht von GAFAM (Google (Alphabet), Apple, Facebook (Meta), Amazon und Microsoft) und der Verlust des öffentlichen Vertrauens: Vor dem Hintergrund dieser Medienkrise sprach Erik Neveu, Politikwissenschaftler und Soziologe, auf der 24. jährlichen SGKM-Konferenz in Neuchâtel. In seiner Rede schlug er sechs Regeln zur Unterstützung eines unabhängigen, qualitativ hochwertigen Journalismus vor.

Der moderne Kommunikationsraum ist von sozialen Netzwerken geprägt. Er ist darauf ausgelegt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ständig zu erregen. Auf der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM) an der Universität Neuchâtel im April 2024 diskutierte Erik Neveu dieses „Regime der Aufmerksamkeit“, das sowohl Unsicherheit als auch Distanz erzeuge: Unsicherheit entstehe  weil  wir ermutigt sind, ständig etwas Neues, Amüsantes oder Schockierendes zu erwarten. Für Distanz sorgt andererseits  der Konsum leichterer Inhalte. Laut dem Soziologen könnte diese Art der „Informations-Diät“ zu einem Verlust an Aufmerksamkeit und Reflexion führen.

Um dem entgegenzuwirken, schlägt Erik Neveu vor, das von Platon entlehnte Konzept der „Skholé“ zu demokratisieren. Er definiert dies als eine „Aussetzung des Alltags“, die zur Reflexion anregt. Konkret schlägt er vor, unsere Bildschirmzeit zu reduzieren und eine Pause vom ständigen Nachrichtenfluss und Retweets einzulegen. Er regt auch  dazu an, mit intellektuellen Routinen zu brechen, zum Beispiel durch die Teilnahme an Bürgerausschüssen und anderen Instrumenten der partizipativen Demokratie. Darüber hinaus befürwortet er die Schaffung neuer Informationsmittel wie „Slow Journalism“ oder weniger einschüchternder Formate wie Graphic Novels oder Fernsehserien.

Weil sich die Art, wie wir Informationen konsumieren, verändert, zwingen soziale Netzwerke die Medien zur Anpassung. Angesichts der Fülle an kostenlosen Artikeln auf Social Media und der Macht der GAFAMs ,insbesondere über die Google-Referenzierung, stehen Fragen der Finanzierung und Unabhängigkeit im Mittelpunkt der aktuellen Medienprobleme.

Eine gut informierte Bevölkerung ist eine wesentliche Säule einer starken Demokratie. Qualitativ hochwertiger, unabhängiger und pluralistischer Journalismus ist dafür von entscheidender Bedeutung. Vor diesem Hintergrund schlägt Erik Neveu sechs Regelungen vor, die in die öffentliche Arena integriert werden sollen.

1 – Europäischer Datenschutz für die Medien

Die 2016 verabschiedete Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) regelt die Verarbeitung personenbezogener Daten von Personen mit europäischer Staatsangehörigkeit. Derzeit gilt diese Maßnahme nicht für verstorbene Personen, juristische Personen oder für die Verwendung von Daten im privaten Bereich. Erik Neveu schlägt vor, den Geltungsbereich auf juristische Personen auszudehnen, um Medienproduktionen vor der Vervielfältigung im Internet zu schützen.

2 – GAFAM zähmen

In seinem Vortrag weist Erik Neveu darauf hin, dass 34 % der Internetnutzer in Frankreich soziale Netzwerke als Hauptinformationsquelle nutzen. Er fordert, dass die GAFAMs „die nationalen Gesetze respektieren und für die Nachrichten bezahlen sollten, die sie den Medien stehlen“. Im Jahr 2019 wurde eine europäische Richtlinie geschaffen, um eine bessere Vergütung der Urheberrechte im Pressebereich zu ermöglichen. Jedes Land hat diese Richtlinie in sein nationales Recht umgesetzt. Im Gespräch mit radiofrance erklärte Journalist Laurent Mauduit dass „in Frankreich die Zeitungen nicht verpflichtet waren, der Gesellschaft beizutreten, die für die Verwaltung dieser  Rechte zuständig ist., Jeder tat, was er wollte, was es Google ermöglichte, davon zu profitieren“.

3 – Entwicklung der öffentlichen Finanzierung

Neveu unterstützt auch die Notwendigkeit öffentlicher Subventionen für Presseagenturen und Medien, „die neue Informationen produzieren und nicht nur kopieren und einfügen“. In seinem Buch „Sociologie du journalisme“ schlägt der Politikwissenschaftler außerdem vor, dass Medienabonnements steuerlich absetzbar sein sollten, wie es bei Spenden an Wohltätigkeitsorganisationen der Fall ist. Dies soll nur gelten, wenn die Medien eine Reihe von Vorgaben einhalten.

4 – Übergang zu einer „Mediengesellschaft“

Der Soziologe weist außerdem darauf hin, dass die französischen Medien heute größtenteils im Besitz einer Handvoll Milliardäre sind. Dieses Phänomen hat zu einem hohen Grad an „Medienkonzentration“ geführt. Der Einfluss der Eigentümer auf ihre Titel hat Auswirkungen auf die journalistische Unabhängigkeit und verringert das Vertrauen der Öffentlichkeit, sagt Erik Neveu. Um hier Abhilfe zu schaffen, unterstützt er den Vorschlag der Medienökonomin Julia Cagé, ein „Medienunternehmen“ zu gründen. Dabei soll es sich um eine neue gemeinnützige Rechtsform handeln, die die derzeitige SCOP (société coopérative et participative) ersetzen soll. Im Falle der SCOP wird jede Aktie mit einer Stimme gleichgesetzt.

Im Rahmen des neuen Projekts hätten diejenigen, die mehr als 10 % der Aktien des Medienunternehmens halten, weniger Stimmrechte, während diejenigen, die die kleinsten Anteile halten mehr Stimmrechte hätten. Dabei handelt es sich oft um Journalisten. Dieses Vorgehen soll das Gleichgewicht wiederherstellen. Es würde ermöglichen, die Macht der Großaktionäre zu begrenzen und die Entscheidungsgewalt an Journalisten und Leser zurückzugeben. Die größte Einschränkung des Systems besteht darin, dass der Entzug von Finanzmitteln absichtlich erschwert würde und die Großaktionäre zustimmen müssten, auf die Größe ihrer Anteile und ihren Einfluss zu verzichten.

5 – Bekämpfung von SLAPPs

SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) sind Rechtsinstrumente, die es Unternehmen ermöglichen, Druck auf Einzelpersonenauszuüben. Es sind häufig Journalisten betroffen. Unternehmen verklagen hierbei Informationsfachleute, um sie einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Am 19. März 2024 verabschiedete der Europäische Rat ein Anti-SLAPP-Gesetz. Das Gesetz zielt darauf ab, diejenigen, die sich im öffentlichen Interesse einsetzen vor missbräuchlichen Klagen zu schützen. Wenn die Klage am Ende des Verfahrens als missbräuchlich eingestuft wird, muss das Unternehmen gegebenenfalls alle Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten für die Rechtsvertretung des SLAPP-Opfers tragen.. Um Journalisten zu schützen, schlägt Erik Neveu vor, dieses Gesetz zu verstärken und Unternehmen, die wegen SLAPP verurteilt werden, zusätzlich eine Geldstrafe aufzuerlegen. Das soll sie vollständig davon abhalten, auf SLAPP zurückzugreifen.

6 – Medienerziehung für alle zugänglich

Schließlich betont Erik Neveu, dass an allen öffentlichen Bildungsmaßnahmen ab der Schule gearbeitet werden muss. Es reiche nicht, dass „kritisches Denken auf sehr theoretische Weise gepriesen wird“, betont er,

Der Soziologe unterstreicht, dass diese Regelungen flexibel sein müssen, um sich an die Situation alternativer Medien anzupassen. Schließlich besteht Erik Neveu auf der Notwendigkeit einer kollektiven Regulierung, die seiner Meinung nach in Frankreich „beschämenderweise“ fehlt.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf der französischsprachigen EJO-Seite. Übersetzt vom deutschen EJO-Team mithilfe von DeepL.

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