Wie die Fidesz-Partei den ungarischen Wahlkampf dominierte

10. April 2018 • Internationales, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Die rechtsnationale Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orbán hat die Parlamentswahl in Ungarn klar gewonnen. Die Opposition hatte in einem unfairen populistischen Wahlkampf, in dem Orbán auch die mehrheitlich von Fidesz kontrollierten Medien exzessiv für sich nutzte, keine Chance.

Das Foto zeigt ein Treffen zwischen EU-Ratspräsident Donald Tusk und Viktor Orbán im Februar 2018 im ungarischen Parlament, das zur Vorbereitung des informellen Gipfeltreffens diente.

Eine Parlamentswahl wird nicht nur am eigentlichen Wahltag entschieden. Auch der Wahlkampf vor dem Gang an die Urne ist nicht allein ausschlaggebend. Mit ihrer Wahlentscheidung bewerten die Wähler die gesamte vorangegangene Amtszeit und reflektieren sowohl über die Regierung als auch über die Opposition. Die Öffentlichkeit hat dabei die Aufgabe, politische Prozesse kontinuierlich zu kontrollieren und der politischen Elite für ihre Arbeit ein Feedback zu geben. Die harte Kommunikation während des Wahlkampfes soll in erster Linie Unterstützer mobilisieren und unentschiedene Wähler überzeugen. Ob das Ideal der kontinuierlichen Kontrolle realisiert werden kann, hängt am Ende von einer Vielzahl an Faktoren ab, die das Mediensystem und die Qualität der politischen Kommunikation beeinflussen.

Das von der ungarischen Regierungspartei Fidesz geschaffene Wahlsystem hat die Opposition auf vielfältige Art und Weise im Wahlkampf benachteiligt. Die Opposition hätte nur dann mit ernsthaften Chancen auf Erfolg ins Rennen gehen können, wenn die beteiligten Parteien große Kompromisse eingegangen wären und damit ihre eigenen politischen Ideale aufgegeben hätten. Vor allem die Wahlkampfregulierungen und das von der Fidesz-Partei in den vergangenen Jahren aufgebaute Medien- und Kommunikationssystem haben ihre Möglichkeiten stark eingeschränkt. Natürlich wäre es ein Fehler, die Schuld für die Niederlage der Opposition alleine dem Wahlsystem zuzuschreiben. Dennoch haben es die im Folgenden aufgelisteten Faktoren der Opposition schwergemacht, in einen fairen Wahlkampf einzusteigen.

1. Ein entscheidender Anteil des ungarischen Medienmarkts liegt in den Händen Fidesz-treuer und politisch loyaler Akteure

Das ungarische Mediensystem hat sich seit 2010 so grundlegend verändert, dass fast keiner der Medienbesitzer von vor 2010 heute noch im Geschäft ist. Die verfügbare Auswahl an Medienprodukten hat sich ebenfalls stark verändert. Neue Unternehmer kauften sich in den Medienmarkt ein und wurden quasi über Nacht zu Hauptakteuren, obwohl sie mitunter überhaupt keine Vorerfahrung im Medienbereich hatten.

Weil der Medienmarkt in Ungarn durch die Finanzkrise von 2008 geschwächt wurde, hat er für Investoren aus dem Westen an Attraktivität verloren. Viele zogen sich aus dem Markt zurück und verkauften ihre Anteile an inländische Unternehmer. Dabei musste ihnen bewusst sein, dass diese ihre politischen Verbindungen ausnutzen, um daraus Profit zu schlagen. Diese politisch verbundenen Akteure gründeten auch gemeinsam neue Medien.

Geschäftsleute, die eine enge Verbindung zur Regierungspartei Fidesz unterhalten, haben heute führende und teilweise auch monopolistische Positionen in allen Bereichen der ungarischen Medien – unter anderem bei regionalen Tageszeitungen, privaten überregionalen Radio- und Fernsehsendern, Boulevardzeitungen, Nachrichtenwebsites und politischen Wochenmagazinen. Abgesehen von Online-Zeitungen erreichen diese Medien ein größeres Publikum als unabhängige oder regierungskritische Medien. Außerdem erhalten Fidesz-treue Medien, unabhängig von ihren Marktanteilen, staatliche Unterstützung in Form von Werbung und Regierungskrediten oder indem sie bei Entscheidungen amtlicher Stellen bevorzugt behandelt werden. Währenddessen nimmt die Zahl finanziell stabiler unabhängiger Medien immer weiter ab.

Die öffentlich-rechtlichen Medien schaffen es nicht, dieses Ungleichgewicht im Medienmarkt auszugleichen. Die 2010 geschaffenen organisatorischen Rahmenbedingungen erlauben direkte politische Einflussnahme auf redaktionelle Entscheidungen beim öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen. So werden sie zu einseitigen Sprachrohren für die politischen Botschaften der Regierungsparteien.

Seit 2010 stellt die Fidesz-Partei außerdem sicher, dass Medien mit einer großen Reichweite sich nicht am Wahlkampf beteiligen. Seitdem verbietet ein Gesetz privaten Rundfunkanbietern, Wahlwerbung zu verbreiten. Als das Verfassungsgericht die neue gesetzliche Regelung als verfassungswidrig erklärte, ergänzte die Fidesz-Partei das Grundgesetz um die Anmerkung, dass das kommerzielle Fernsehen Wahlspots nur kostenlos senden darf. 2017 verabschiedete die Fidesz-Mehrheit im Parlament ein weiteres Gesetz, das politische Kampagnen stark einschränkt. Demnach dürfen Organisationen, die staatliche Hilfen erhalten – darunter auch politische Parteien – Werbeflächen nur zu festgelegten Listenpreisen kaufen und dürfen keine Rabatte oder Sonderpreise bekommen. Im Vergleich zu der vorherigen, chaotischen Vorgehensweise ist politische Werbung dadurch deutlich teurer geworden. Außerdem verkaufen viele Betreiber von Werbeflächen diese nicht an Oppositionsparteien, was den Spielraum weiter verkleinert.

Um die Tragweite dieser Entscheidungen wirklich zu verstehen, muss man wissen, dass ein großer Anteil der Werbeflächen Lajos Simicska gehört, der eine Schlüsselfigur in Fidesz‘ Wirtschaftsimperium war. 2014 brach er aber auf spektakuläre Weise mit seiner früheren Partei und näherte sich langsam Jobbik an. Jobbik ist heute die stärkste Oppositionspartei, die sich seit 2014 immer weiter von der Rechten entfernt und versucht, sich als moderat-konservative Partei neu zu definieren.

2. Die Fidesz-Partei dominierte die politische Agenda, vor allem mit dem Schüren von Angst und mit Hassbotschaften

Die Fidesz-Partei schafft es seit 2015, die Flüchtlingskrise und das Thema der Immigration den politischen Diskurs bestimmen zu lassen. Endlose Plakat- und Medienkampagnen sowie wiederholte Kommentare von Politikern sollten die Vorbehalte gegen Flüchtlinge und Immigranten in der Gesellschaft schüren. Hinzu kamen sogenannte „nationale Beratungen“, die auf keinerlei wissenschaftlicher oder professioneller Basis beruhen, aber trotzdem behaupten, einen „richtigen“ Aktionsplan für dieses Thema anzubieten – sie warben sogar für ein Referendum.

Unter den politischen Kommentaren zum Thema Flüchtlinge sticht eine Aussage von Viktor Orbán heraus. Der Premierminister verteidigte Gewaltausbrüche von Einwohnern eines kleinen Dorfs in Ungarn gegen den Besitzer einer örtlichen Pension. Grund für die Attacken war die Entscheidung des Pensionsbesitzers, einige Flüchtlingskinder und ihre Mütter für einen kurzen Zeitraum aufnehmen zu wollen, damit sie ein paar Tage Urlaub machen können. In einem Interview erklärte der Außenminister Péter Szijjártó daraufhin, er habe in Brüssel auf der „Flucht“ vor Migranten um sein Leben laufen müssen. Eine ähnliche Geschichte erzählte der Videospot des Kabinettministers János Lázár, in dem er sich beschwert, in Wien gäbe es zu viele Migranten.

Die Fidesz-nahen Medien bieten nicht nur Platz für die Verbreitung solcher Botschaften, sondern produzieren und veröffentlichen auch selbst einen ständigen Strom Panik machender, bedrohlicher und anheizender Inhalte. Um nur wenige aktuelle Beispiele zu nennen: Am 13. März 2018 tauchte das Wort „Migrant“ auf der Homepage der Onlinezeitung Origo.hu zwölfmal auf. Dasselbe Portal präsentierte einen sieben Jahre alten Kriminalfall als aktuelles Ereignis und erweckte dabei den falschen Eindruck, die Straftat sei von Migranten begangen worden.

Das Problem der Fake-News manifestiert sich in Ungarn also anders als in Westeuropa. Das gesamte Arsenal der politischen Kommunikation der Regierung basiert auf einer verlogenen Propaganda, darunter auch die Verschwörungstheorie, wonach Soros durch Einflussnahme auf Institutionen wie die EU, die UN und verschiedene ungarische NGOs einen umfassenden Plan verfolge, um Europa mit Migranten zu fluten und die europäische Kultur zu zerstören. Die Verbreiter von Fake-News sind keine kleinen Websites mit geringer Reichweite, sondern regierungstreue Mainstream-Medien. (zum Thema auf EJO: Propagandisten und Falschmünzer in Osteuropa)

Das bedeutet zugleich auch, dass es im Wahlkampf und in der gesamten politischen Kommunikation kaum noch rationale Debatten gegeben hat. Die Fidesz-Partei erklärte öffentlich, kein Wahlprogramm zu haben. In einem Slogan im Wahlkampf 2014 hieß es, dass das gesamte Programm von Fidesz mit dem Wort „Folyatjuk“ („Wir werden weitermachen“ – das heißt, sie wollten genau denselben Weg weitergehen wie bisher) zusammengefasst werden könnte. Im diesjährigen Wahlkampf verkündete Viktor Orbán wiederholt, die Zeit für Debatten wäre vorbei. Obwohl die Oppositionsparteien über detaillierte Parteiprogramme verfügten, erhielten diese nur wenig Aufmerksamkeit, weil die Fidesz-Partei sich weigerte, sich auf öffentliche politische Diskussionen einzulassen.

Aus Orbáns Perspektive ist das natürlich verständlich. Als er 2002 und 2006 mit Oppositionspolitikern debattierte, erlitt seine Partei bedeutende Verluste an den Wahlurnen. Natürlich trugen auch die Oppositionsparteien Verantwortung, denn all ihre Versuche, den öffentlichen Dialog wieder anzustoßen, sind gescheitert. Weder die Krise im Bildungs- und im Gesundheitssystem noch die Korruptionsskandale rund um die innersten Kreise der Fidesz-Partei waren stark genug, um die politische Agenda nachhaltig zu beeinflussen. Allerdings wurden diese Geschehnisse in den Fidesz-treuen Medien natürlich auch nicht behandelt. Schon seit 2010 ist der politische Diskurs extrem polarisiert, und daraus resultiert, dass die Rezipienten regierungstreuer und regierungskritischer Medien kontrastierende Realitätswahrnehmungen haben.

3. Kritische Medien werden sabotiert

Die anhaltende Weigerung von Regierungsparteipolitikern, mit Journalisten zu sprechen, die nicht für Fidesz-treue Medien arbeiten, verstärkt diese Polarisierung weiter.
Eine der schwerwiegendsten Einschränkungen für die Arbeit kritischer Journalisten ist, dass sie meist nicht über das Parlament, die Nationalversammlung, berichten können. Der Präsident der Nationalversammlung ist dazu befugt, die Regeln der parlamentarischen Berichterstattung festzulegen – und eine Regel besagt, dass sich Journalisten nicht in allen Teilen des Parlamentsgebäudes aufhalten dürfen. Er benutzt diese Regel regelmäßig, um einzelne Journalisten und sogar ganze Redaktionen aus dem Parlament zu verbannen.

Die Regierung verbietet zudem ganzen Sektoren, insbesondere den Managern und Mitarbeitern der öffentlichen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, ohne vorherige Genehmigung der Regierung mit Journalisten zu sprechen. Darüber hinaus ist dem gesamten Regierungsapparat der Kontakt mit Journalisten bestimmter Medien untersagt. Journalisten, die für kritische Medien arbeiten, dürfen auf Pressekonferenzen von Politikern nicht einmal Fragen stellen. Erst kürzlich verwarnte der Regierungssprecher einen ausländischen Journalisten, der auf einer Pressekonferenz versuchte, eine Frage zu stellen. Im März 2018 weigerte sich Viktor Orbán, auf Fragen eines Journalisten von HírTV zu antworten; er argumentierte, dass der Fernsehsender nur „Fake-News“ verbreite.

Das von Fidesz verabschiedete Grundgesetz garantiert Informationsfreiheit – die oben beschriebene Art des Verhaltens entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

4. Die Fidesz-Partei verbreitete in den Medien ungehindert Regierungspropaganda

Die Bedeutung von Wahlkämpfen in Ungarn wird weiter von der Tatsache relativiert, dass praktisch seit Jahren fortlaufend Wahlkampf betrieben wird. Auf Werbeplakaten und in Anzeigen in Fidesz-treuen Medien propagiert die Regierung dann und wann ihren eigenen Erfolg, und noch öfter greift sie verbal ihre wechselnden Lieblingsfeinde an („illegale Einwanderer”, „Brüssel”, „Soros”) – natürlich bezahlt aus öffentlichen Mitteln. Im Jahr 2017 gab die Regierung 23 Millionen Euro für ihre „Stoppt Brüssel“-Kampagne und weitere 7,5 Millionen Euro für die Anti-Soros-Kampagne aus.

Die Regierung nutzt zudem Fidesz-freundliche Medien, um politische Propagandabotschaften zu verbreiten – obwohl selbst das von der Fidesz-Partei verabschiedete Mediengesetz vorsieht, dass jedes in den Medien verbreitete Programm, das „die Regierung fördert oder unterstützt“, als politische Werbung gilt und politische Werbung nur während der Wahlkampagnen verbreitet werden darf. Mérték Média Monitor – der Autor des vorliegenden Artikels ist der Leiter dieser NGO – hat seit 2015 vier Beschwerden eingereicht, die auf die Regierungspropaganda im Radio und Fernsehen und damit auf Rechtsverstöße hinweisen. Der ungarische Medienrat aber, der ausschließlich aus Mitgliedern besteht, die von der Fidesz-Partei nominiert wurden, hat diese Beschwerden routinemäßig abgelehnt oder ignoriert. Der Medienrat ist der Ansicht, dass die Botschaften der Regierung Nachrichten sind, die relevante öffentliche Informationen enthalten und daher jederzeit gesendet werden können, darunter „Die ungarischen Reformen sind erfolgreich!”; „Schon gewusst? Brüssel will so viele illegale Migranten nach Ungarn bringen, dass sie eine ganze Stadt füllen könnten“; „Der Soros-Plan – Lasst uns darauf reagieren!

Anders als bei der Ausstrahlung von politischer Werbung kann der Sender, der diese Nachrichten verbreitet, Gebühren für die Ausstrahlung solcher „öffentlicher Informationen“ verlangen; die Verbreitung dieser Botschaften dient daher auch als heimliches Mittel zur Finanzierung regierungsfreundlicher Medien.

Noch kurz vor der Wahl lief eine intensive Kampagne der Regierung gegen die Vorschläge der Vereinten Nationen zur Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Das war auch die einzige Botschaft, die die Fidesz-Partei im Wahlkampf vermittelte: dass jeder, der die ungarische Grenze für Einwanderer öffnen wolle, gestoppt werden müsse. Im Wahlkampf 2014 hatte das oberste Gericht Ungarns, die Kurie, entschieden, dass Regierungswerbung, die die Ziele der Regierungsparteien förderte, als politische Werbung der Partei angesehen werden konnte. Im diesjährigen Wahlkampf hat sich allerdings niemand wegen der Regierungswerbung an das Gericht gewandt.

Die oben beschriebenen Faktoren haben dazu geführt, dass bei den Parlamentswahlen in Ungarn rationale Elemente völlig fehlten. Ein Großteil der Wählerschaft wurde von ihren Emotionen gesteuert. Die Fidesz-Partei hat für sich und ihre Anhänger eine alternative Realität geschaffen, die mit den alltäglichen Erfahrungen der Wähler immer weniger zu tun hat. Die Tatsache, dass jede Art von öffentlichen politischen Debatten im Keim erstickt und die Stimmung der Wähler unablässig aufgeheizt wurde, hat nicht nur den Tonfall der politischen Kommunikation vor und im Wahlkampf beeinflusst, sondern auch die Qualität der Regierungsführung.

Der Beitrag wurde am 4. April 2018 (vor der Parlamentswahl) zuerst auf Englisch auf dem Blog des Media Governance & Industries Lab der Universität Wien veröffentlicht. Für die Veröffentlichung auf EJO (nach der Parlamentswahl) wurde er angepasst. 

Übersetzung: Johanna Mack und Tina Bettels-Schwabbauer 

Bildquelle: European Council President / Flickr CC: President Tusk meets Viktor Orban, Hungarian Prime Minister; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

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