Wie sich Ungarns freie Presse gegen Orbán wehrt

13. Juli 2017 • Internationales, Pressefreiheit • von

Seit 2010 führt Viktor Orbán einen erbitterten Kampf gegen die Medien. Neben den öffentlich-rechtlichen bringt er auch immer mehr private Medien unter seine Kontrolle. Die, die noch unabhängig arbeiten, müssen immer kreativer werden.

Martón Gergely, zuvor stellvertretender Chefredakteur der eingestellten Zeitung Népszabadság, in der Redaktion seines neuen Arbeitgebers, dem Wochenmagazin hvg. // Foto: Andreas Neukam

Beáta Bakó hatte Parlamentspräsident László Kövér nur eine Frage gestellt, danach verschwand er erst einmal für ein paar Wochen aus der Öffentlichkeit. Dass sich auch „feindliche Medien“ auf dem Presseflur des Parlaments in Budapest herumtreiben, damit hatte er nicht gerechnet. Die Regierungspartei Fidesz spricht eigentlich nur noch mit regierungsnahen Medien. Die 29-jährige Journalistin des Onlineportals Mandiner.hu aber traute sich. Im Dezember 2016 trat sie vor jeden Abgeordneten mit Kamera und Mikrofon, auch vor Kövér. „Wie wirkt sich Macht auf Ihren Charakter aus?“, fragte Bakó. Heute sagt sie: „Der Parlamentspräsident hat nicht direkt geantwortet, eher demonstriert, welchen Effekt Macht auf ihn hat.“ Denn Kövér fühlte sich brüskiert: „Wie können Sie es wagen, mir einfach das Mikrofon unter die Nase zu halten?“ „Das ist der Presseflur, hier darf ich doch fragen“, entgegnete Bakó. „Nein, das stimmt nicht. Im Europaparlament darf man ja auch nicht einfach so fragen.“ Dann sagte Bakó: „Das ist schon lustig, dass Sie sich hier mit dem Europaparlament verteidigen, da Sie ja der sind, der die EU-Flagge vom Parlamentsgebäude entfernt hat.“ Das Video wurde ein Hit, lief noch am selben Tag auf RTL Klub in Ungarns meist gesehener Nachrichtensendung und im Internet bei allen großen Newsportalen.

Seit 1. Juni ist Bakó ihren Job bei Mandiner.hu los. Die Online-Plattform hatte ihre Veröffentlichungsrechte an András Tombor verkauft, den ehemaligen Chefberater von Ministerpräsident Viktor Orbán. Beáta Bakó und ihr Kollege Martin Bukovics waren die einzigen, die gehen mussten. „Wir hatten zuvor einige Videos gemacht und Artikel geschrieben, die der Regierung ziemlich peinlich waren“, sagt Bukovics. Sie glauben, dass sie deswegen gehen mussten. „Wir galten nicht mehr als die lustigen Journalisten, die für Fidesz kontrollierbar sind.“

Seit 2011 verschlechtert sich Ungarn jährlich in der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ um mehrere Plätze – just ein Jahr, nachdem Orbáns Fidesz die absolute Mehrheit im Parlament erlangte. Zunächst stürzte das Land um 17 Plätze auf Rang 40 ab. Mittlerweile liegt Ungarn auf Platz 71. Im Jahr 2006 belegte das Land noch den 10. Platz. // Grafik: Daniel Wagner | Daten: Reporter ohne Grenzen

Fidesz‘ räuberischer Appetit

Orbán steht in Ungarn auf Kriegsfuß mit den unabhängigen Medien. Wenige Monate nach seinem Wahlsieg im Herbst 2010 schuf er eine staatliche Medienbehörde, die die Presse mit weitreichenden Befugnissen gängeln kann. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind seitdem durch ein restriktives Mediengesetz quasi gleichgeschaltet.

Die Strategie bei den privaten Medien ist eine andere. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ schreibt in ihrem aktuellen Bericht zur Lage der Demokratie in Ungarn, dass die Fidesz-Regierung nicht mehr versuche, durch Gesetze Einfluss zu nehmen. Vor allem wirtschaftlicher Einfluss werde immer wichtiger. „Reporter ohne Grenzen“ formuliert es plakativer: „Der räuberische Appetit der Regierungspartei hat keine Grenzen.“

Tatsächlich wird die Liste der Medien, die von regierungsnahen Eigentümern aufgekauft werden, immer länger. „ProSiebenSat.1 Media“ verkaufte den ungarischen Sender TV2 an Orbán-Freund Andy Vajna. Das Wochenmagazin Figyelo ging an die Orbán-Vertraute Mária Schmidt. Den Verlag der größten oppositionellen Tageszeitung Ungarns, der Népszabadság, kaufte zuletzt Orbán-Freund Lörincz Mészáros, der zugleich Bürgermeister im Heimatdorf des Ministerpräsidenten ist. Die Zeitung wurde im selben Monat eingestellt. 90 Mitarbeiter standen von einem Tag auf den anderen auf der Straße. Einer von ihnen war Martón Gergely, der ehemalige stellvertretende Chefredakteur. Er ist ein Star unter ungarischen Journalisten, für ihn war es deshalb leichter, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Heute leitet er das Politikressort der Onlineausgabe der hvg. Das liberale Magazin sei der ungarische Spiegel, sagt er. „Ich habe drei andere Angebote bekommen, bei denen ich vielleicht mehr verdient hätte. Aber für mich war nach Népszabadság wichtig, dass ich dort arbeite, wo die Voraussetzungen für Freiheit und Unabhängigkeit am besten gewährleistet sind.“ Eigentümer der hvg sind mehrheitlich die eigenen Mitarbeiter. Daneben stehen nur noch wenige klassische Medien für Unabhängigkeit, wie die Tageszeitung Magyar Nemzet, der Nachrichtensender Hír TV oder der kommerzielle Privatsender RTL Klub, die ungarische Tochter der deutschen RTL-Gruppe.

Vor allem ausländische Firmen sind Orbán ein Dorn im Auge. Sein Ziel ist es, in insgesamt vier Branchen über mehr nationales als internationales Kapital zu verfügen. Neben Banken, Energiesektor und Einzelhandel zählt der Ministerpräsident dazu auch die Medienindustrie. Dass auch hvg einmal dieser Strategie zum Opfer fallen wird, kann Gergely nicht ausschließen. Mit Hindernissen habe das Magazin schon jetzt zu kämpfen. „Die Medienbehörde kontrolliert den Werbemarkt, der Ministerpräsident gibt freien Medien überhaupt keine Interviews mehr und wir müssen Geld zahlen, damit Behörden unsere Anfragen bearbeiten.“ Gerade erst habe er zwei Monate auf eine Antwort des Verteidigungsministeriums gewartet. Als er damit drohte, den Artikel am nächsten Tag ohne deren Statement zu veröffentlichen, hatte er innerhalb von fünf Stunden seine Stellungnahme. „Man muss einen sehr langen Atem haben und kreativ bleiben“, sagt Gergely. „Das, was uns mit Népszabadság widerfahren ist, können wir nicht besser rächen, als gut unserer Arbeit als Journalisten nachzugehen. Wir dürfen keine politischen Kämpfer werden. Dann haben wir unsere Branche aufgegeben. Genau das wollen sie.“

Virtueller Widerstand

„An der Illusion des reinen, objektiven Journalismus festzuhalten, spielt nur Fidesz in die Karten“, entgegnet Szilárd Pap. Der 27-Jährige ist Redakteur des linken Blogs Kettös Mérce. Das Projekt ist komplett über Crowdfunding finanziert. „Unsere Leser haben dadurch eine stärkere, eine emotionale Bindung zu uns. Sie haben etwas investiert und glauben an unsere Prinzipien. Wir brauchen diese starke soziale Community“, sagt Pap. Ab September will sich die Redaktion nach drei Jahren erfolgreicher Arbeit erweitern und zum modernen, alternativen Nachrichtenportal wachsen. Schon jetzt vergleicht sich Kettös Mérce mit den Großen, dem TV-Sender Hír TV zum Beispiel. Vor allem, weil Kettös Mérces Facebook-Seite enormen Zulauf hat. Mehr als 125.000 Menschen haben sie abonniert, Hír TV, mit hunderten Mitarbeitern und deutlich größerem Budget, zählt nur 50.000 Abonnenten mehr.

Online-Medien sind auf dem Vormarsch, vor allem in oppositionellen Kreisen, sagt Ágnes Urbán vom Forschungsinstitut „Mérték“: „Allerdings muss man schon ein sehr medienerfahrener Nutzer sein, um Nachrichtenquellen mit alternativen Informationen zu finden.“ Neben Kettös Mérce haben sich hier vor allem auch index.hu und 444.hu einen Namen gemacht. Pap aber meint: „Besonders auf dem Land haben nur wenige Leute Zugang zu oppositionellen Medien wie index oder 444.“ Die ungarischen Mainstream-Medien würden außerhalb der städtischen Mittelschicht niemanden mit ihren Nachrichten erreichen. Kettös Mérce aber will anders sein. Ihre Arbeit nennt Pap „aktivistischen Journalismus“. Haltung sei wichtig. Derzeit habe jeder seine Rolle. Die oppositionellen Medien würden sich immer wieder beschweren und Fidesz stelle sie für seine Anhänger als Sündenbock dar. „Aus diesem Grund existiert dieser Blog. Wir versuchen, nicht nur nach den Regeln des Systems zu spielen, sondern sie neu zu schreiben“, meint Pap.

„Wir machen Journalismus, solange wir unabhängig sein können“, sagt Beáta Bakó. Zwei Wochen nachdem sie und ihr Kollege Martin Bukovics bei Mandiner.hu von Orbáns einstigem Chefberater rausgeworfen wurden, gründeten sie am 1. Juni direkt ein neues Portal. Azonnali.hu soll sich vor allem an junge Menschen richten. Thema: Politik. 50 Prozent der Seitenaufrufe kommen über Facebook. Das Ziel: Videos und Artikel generieren, die von anderen Medien übernommen werden. So wollen die beiden Azonnali weiter aufbauen. Vorbild für die Gestaltung seien die pfiffigen Titelseiten der deutschen taz oder die ZDF-Satiresendung heute show. „Wir glauben, dass wir mit Humor mehr Leute erreichen“, sagt Bukovics. Was in Deutschland allerdings über ungarische Medien publiziert werde, findet der 26-Jährige übertrieben. „Es stimmt, dass die Regierungsparteien nur noch ihren Medien Interviews geben, aber Helmut Kohl hat dem Spiegel auch nichts gesagt.“ Er könne damit leben, Orbán nicht jeden Tag zu interviewen und wenn eine Behörde nicht auf Anfragen antworte, dann sei das das Problem des Journalisten. Die Presse solle nicht in Selbstmitleid versinken, den Leser interessiere das nicht. Bukovics macht sich lieber öffentlich darüber lustig, wenn Ämter es nicht schafften, einfache E-Mails zu beantworten. Er sagt: „In immer schwierigeren Zeiten braucht man einfach mehr Humor.“

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1 Responses to Wie sich Ungarns freie Presse gegen Orbán wehrt

  1. Louis Globensteyn sagt:

    Was sollen denn “Studenten”, die im Leben weiter kommen wollen und von unserer Lückenpresse leben wollen, anderes tun, als schleimig dem “Arbeitgeber” ums Maul fahren.
    Wahrheit ? 2 Studenten suchen die Wahrheit und finden die für sie notwendige.

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