Wie viel Freiheit schafft der European Media Freedom Act?

4. April 2024 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Pressefreiheit • von

Im Dezember beschloss die Europäische Union das Europäische Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act, EMFA). Damit sollen der Medienpluralismus gefördert und Medienschaffende vor politischer Einflussnahme geschützt werden. Bis zum Beschluss unterlag das Gesetz wiederholt verschiedener Kritik und auch jetzt bleiben die kritischen Stimmen aus Forschung und Medien nicht aus.

Foto: Wikimedia Commons

Schwindende Sicherheit

Wenn man den Blick auf die Medienlandschaften in der EU legt, lässt sich erkennen, dass es starke Unterschiede in der Freiheit und Wahrnehmung der Presse gibt. Länder wie Ungarn und Polen haben bereits in großen Teilen staatsnahe Medien etabliert. Damit schwindet auch die Sicherheit von unabhängigen Medienschaffenden, sowohl innerhalb der Länder als auch in der internationalen Berichterstattung. Den journalistischen Grundsatz vom Quellenschutz sicherzustellen, wird immer schwieriger. Auf der anderen Seite verschwimmen die Grenzen der lokalen und globalen Berichterstattung seit Jahren ineinander – viele Themen sind verknüpft und brauchen internationale Perspektiven. Der EMFA soll bei diesen Problemen Abhilfe schaffen und einen gemeinsamen Rahmen für Mediendienste im EU-Binnenmarkt schaffen, damit Medienschaffende vor politischer Einflussnahme geschützt und in ihrer internationalen Arbeit unterstützt werden. Die Liste der Reglementierungen für die 27 Mitgliedsstaaten ist aber noch umfassender:

Zum einen soll der Medienpluralismus durch einen Fokus auf Unabhängigkeit und Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien unterstützt werden. Des Weiteren wird die Transparenz über den Besitz von Medien, Fälle staatlicher Finanzierung, Interessenskonflikte und Marktmonopole gefordert. Insgesamt soll die Sicherheit und Unabhängigkeit aller Medienschaffenden unterstützt werden. Überprüfen und durchsetzen soll das Ganze eine neu geschaffene und unabhängige Instanz, das European Board for Media Services. Das besteht aus Journalist:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft aller Mitgliedsstaaten der Union. Sie sollen Ansprechpartner: innen für Medienschaffende sein und die Einhaltung der Regeln des EMFA beobachten. Zudem koordinieren sie die nationale Regulation von Nicht-EU Medien, welche eine Gefahr für den unabhängigen und neutralen Journalismus darstellen. Weiterführend soll das Board im Dialog mit großen Onlineplattformen wie X und Facebook stehen, um den Medienpluralismus zu fördern und den Umgang der Plattformen mit den europäischen Regelungen zu beobachten.

Der umstrittene Artikel 4

Im September 2022 wurde die Idee für den EMFA erstmals durch die Europäische Kommission vorgeschlagen. Die damalige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begründete diese Entscheidung mit folgenden Worten: „Media companies cannot be treated as just another business. Their independence is essential. Europe needs a law that safeguards this independence – and the Commission will deliver a Media Freedom Act in the next year.”. Ab Oktober 2023 wurde dann innerhalb aber auch außerhalb des Europäischen Parlaments über den Gesetztesaufschlag diskutiert, gerade der Artikel 4 lag dabei im Fokus. Dieser soll die Rechte von Mediendienstleitern aufführen und so auch die Sicherheit journalistischer Quellen gewährleisten.

Journalistischen Netzwerke wie Reporter ohne Grenzen, aber auch Jurist und Kommunikationswissenschaftler Dirk Voorhoof übten starke Kritik. Der Artikel ermöglichte den einzelnen Regierungen die Nutzung von Spyware gegen Journalist:innen und ihr Umfeld bei einer bestehenden Gefahr für die nationale Sicherheit. Da diese Formulierung keinen klaren Kriterien folgt, sahen Medienschaffende darin eher eine Bedrohung als einen Schutzmechanismus. Gerade in Ländern wie Ungarn und Polen könnte dieser Abschnitt von der Regierung ausgenutzt werden. Auch eine voraus gestellte unabhängige, gesetzliche Prüfung im Fall einer solchen Überwachung fehlte den Kritikern. Zudem gab es keine genauen Kriterien für die Verhältnismäßigkeit zwischen einzelnen Fällen im Hinblick auf Sanktionen, Durchsuchungen oder Überwachungen von Journalist:innen. Damit steht vor allem die Sicherung des Quellenschutzes in Gefahr. Laut der Ausarbeitung von Voorhoof gewährleiste der Abschnitt grundsätzlich nicht die Ansprüche des Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention zur freien Meinungsäußerung. Das Ziel der EMFA: ein europaweiter Angleich im Bereich des Medienrechts sei damit nicht möglich.

Aufgrund dieser Kritik wurde der Abschnitt aus dem EMFA gekürzt, sodass der Artikel 4 heute einzig an bereits bestehende europäische Vereinbarungen anknüpft. Damit ist eine Überwachung von Medienschaffenden nur nach vorheriger, unabhängiger Prüfung, bei schweren Straftaten oder stark erhöhtem, öffentlichen Interesse möglich. Zudem müssen Journalist:innen Bescheid bekommen, wenn sie von irgendeiner Art der staatlichen Überwachung betroffen waren. Grundlegend soll darauf geachtet werden, dass die Quellen der Medienschaffenden in solchen Fällen geschützt bleiben. Diese Änderungen wurden sowohl von der deutschen Regierung als auch der European Federation of Journalists begrüßt.

Ein Gesetz für die ganze EU?

Im Dezember 2023 einigt sich das Europäische Parlament auf das Gesetz. Doch auch an diesem finalen Beschluss des EMFA wird weiterhin Kritik geäußert: Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt auf, dass die Richtlinien nicht genug auf Informationsautokratien wie Ungarn angepasst sind. Stattdessen schaffe es nur wenig effektive Lösungen für bestehende Demokratien. Der Kern des Problems liegt unter anderem in der Selbstwahrnehmung der Medien in Informationsautokratien wie Ungarn. Staatsnahe Medien beschreiben sich dort selbst als unabhängig, genau wie die Medien, die wirklich ohne politischen Einfluss arbeiten. Auch der Druck durch die Regierung auf die Medien ist meist informell und kann nicht offiziell belegt werden. Somit kommen viele Regelungen des EMFA erst gar nicht zum Tragen. Das Ziel europäischer Rahmenbedingungen für die Medien und ihre Unabhängigkeit wird damit weiter verfehlt. Für eine erfolgreiche Umsetzung des EMFA bräuchte es eine starke Motivation der einzelnen Staaten, die Regelungen auch aktiv umzusetzen. Diese bleibt seitens Ländern wie Ungarn vermutlich aus.

Zwischen Erfolg und Kritik

Ein allgemeiner Blick auf die Reaktionen nach dem Beschluss der EU zeigt, dass der EMFA insgesamt als Erfolg wahrgenommen wird. Europäische Richtlinien, die als „soft laws“ lange Zeit keinen großen Einfluss nehmen konnten, werden jetzt zu europaweit bindenden Gesetzen. Damit können Verstöße auch rechtlich geltend gemacht werden und Mitgliedsstaaten mit einer geringeren Medien- und Pressefreiheit können sich nicht mehr hinter ihren eigenen Mediengesetzen „verstecken“.  Auch bei einem Blick auf die Informationsfreiheit der europäischen Bürger:innen konnten Gewinne erzielt werden: Mit der Transparenz zu der Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien, Interessenskonflikten und dem Besitz von Medienhäusern kann sich das Publikum zukünftig effektiver neutral informieren und selbstbestimmter entscheiden, welche Nachrichten es konsumieren möchte.

Doch weitere Streitpunkte bleiben nicht aus: Verschiedene Gruppierungen fordern, anstelle der allgemeinen Regelungen für die Regierungen und Staaten, einen EU-Topf zur Finanzierung unabhängiger Medien. Diese sollen dort direkt Unterstützung beantragen können. Denn ein häufiger Kritikpunkt am EMFA bleibt, dass er die wirtschaftlichen Probleme journalistischer Medien nicht ausreichend angeht. So sei die Medienfreiheit nicht ganzheitlich geschützt. Auch die Umsetzung des Medienrats bleibt umstritten, da dieser direkt an das Europäische Parlament angekoppelt ist. Kritiker vermuten, dass die essenzielle Unabhängigkeit des Rats damit gefährdet ist.

Es bleibt abzuwarten, inwiefern diese Kritik Wirklichkeit wird und ob die Umsetzung des EMFA in allen 27 Mitgliedsstaaten erfolgreich verläuft. Ab April 2024 soll das Gesetz, nach der förmlichen Annahme aller Organe, geltend gemacht werden.

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