Der Toyota und die Tageszeitung

31. Oktober 2014 • Qualität & Ethik • von

Wir müssen die Schar der Kulturpessimisten enttäuschen. Unsere Medien waren nie besser als heute.

Woran misst man den qualitativen Unterschied zwischen Autos und Medien? Ganz einfach, man misst die Anzahl der Reparaturbetriebe.

Die Autos werden immer besser. Darum gibt es immer weniger Autogaragen.

Die Medien werden immer schlechter. Darum gibt es immer mehr Mediengaragen.

Reparaturwerkstätten für Medien sind schwer im Kommen. So will neuerdings der Staat eine Garagenkette für Verlagshäuser aufmachen. Im Auftrag des Bundesrats geht es der Eidgenössischen Medienkommission um die “demokratiepolitische Bedeutung der Medienqualität”. Montagechef ist der Zürcher Publizistikprofessor Otfried Jarren.

Dann gibt es seit neustem auch den “Stifterverein Medienqualität Schweiz”. Reparatur-chef ist Markus Notter, ehemaliger Zürcher Regierungsrat der Sozialdemokratischen Partei (SP). Er will ein Qualitätsranking der heimischen Publizistik erstellen.

Auch Werkstattchef Kurt Imhof treibt sein garagistisches Unwesen. Der Zürcher Soziologieprofessor veröffentlicht jährlich sein Jahrbuch “Qualität der Medien”. Er sieht sich als Touring-Club der publizistischen Pannenstatistik.

Weit gediehen ist auch die staatliche Überwachung der privaten Radio- und TV-Sender. Das Bundesamt für Kommunikation überprüft alle zwei Jahre, ob die “Qualitätsstandards” eingehalten sind.

Unfug, aber erklärbar

Die Medien sind in der Wahrnehmung tatsächlich ein Sonderfall unter den Industrieprodukten. Die Autos sind heute deutlich besser als vor zwanzig Jahren, die Handys sind besser, die Staubsauger sind besser, sogar die Schweizerfilme sind besser. Nur die Medien, so sagen uns Politiker und Professoren, sind schlechter.

Das ist natürlich Unfug, aber erklärbar. Kein anderes Industrieprodukt unterliegt einer derartigen historischen Verklärung. Der Blick zurück mystifiziert die Medien von früher.

Jeder kann sich noch erinnern, wie oft er früher mit seinem Toyota Avensis liegenblieb und sich geärgert hat. Niemand kann sich erinnern, wie oft er sich früher über seinen Tages-Anzeiger geärgert hat.

Wir erinnern uns an eine großartige Reportage, an einen scharfen Kommentar und an eine präzise Analyse in der Zeitung. An all die täglichen Fehlleistungen, die im Journalismus unvermeidlich sind, erinnern wir uns nicht.

Die Qualität der klassischen Medien ermisst sich letztlich an nur zwei Kriterien. Es ist erstens ihre Informationsleistung, die möglichst umfassend, sachgerecht und relevant zu sein hat. Es ist zweitens ihre Fähigkeit, den demokratischen Diskurs über eine vielfältige Plattform an Meinungen zu befeuern.

Bei beiden Kriterien sind die Journalisten heute meilenweit besser als vor zwanzig Jahren. Ihre Informationsleistung, ob zu Syrien oder Steuerstreit, ist heute ungleich höher, weil die Quellenlage deutlich besser ist. Internet, Smartphones und Social Media erlauben den sekundenschnellen Zugriff auf Informationen, die früher nur mit tagelanger Kleinarbeit, wenn überhaupt, zu beschaffen waren.

Auch ihre Dienstleistung für die demokratische Diskussion ist viel besser geworden. Es liegt daran, dass sich die Redaktionen entideologisiert haben. Noch in den neunziger Jahren wäre es dem damaligen SP-Blatt Tages-Anzeiger nie eingefallen, einem rechten Anliegen wie der Masseneinwanderungsinitiative breiten Raum zu bieten. Es wäre dem damaligen FDP-Blatt NZZ (Neue Zürcher Zeitung) nie eingefallen, einem linken Anliegen wie der Abschaffung der Pauschalsteuern breiten Raum zu bieten. Heute ist das selbstverständlich.

Die Medienqualität ist höher als je. Die Politiker und die Professoren irren sich gewaltig. Aber das ist nichts Neues.

Bildquelle: RyanMcGuire / pixabay.com

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 23. Oktober 2014

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