Satiresendungen, Shitstorms, Programmbeschwerden, Abo-Abbestellungen – über die großen Medien fegt seit einigen Monaten, vor allem anlässlich der Ukraine-Berichterstattung, ein Sturm der Entrüstung. Vor allem im Internet werden Journalisten auch persönlich angefeindet und stehen unter höherem Rechtfertigungsdruck als je zuvor.
Zum „Dreh- und Angelpunkt des Streits“ sei meine Dissertation „Meinungsmacht“ geworden (erschienen 2013 im Herbert von Halem Verlag), schreibt der Münchner Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Neuberger im Branchenblatt „Medium Magazin“ (Heft 11/2014, S. 24-25). Seine Analyse der Arbeit führe jedoch „zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis“ (so der Vorspann zur Rezension); er habe sogar „schwere wissenschaftliche Mängel“ nachgewiesen, resümiert in einer Pressemitteilung der Medienfachverlag Oberauer, der das „Medium Magazin“ herausgibt.
Christoph Neubergers Kritik ist aus meiner Sicht zu unterteilen in Methodenkritik und Ideologiekritik. Im Folgenden gehe ich in dieser Reihenfolge auf seine Kritikpunkte ein.
Methodenkritik
Neuberger schreibt: „Transparenz, Systematik und Vollständigkeit sind wichtige Prinzipien der empirischen Forschung. Sie wurden jedoch an mehreren Stellen der Arbeit missachtet.“ Vor allem nennt er drei Stellen der Arbeit: 1. die Auswahl der Organisationen, die in die Soziale Netzwerkanalyse eingegangen sind, 2. die Auswahl der Argumente in der Inhaltsanalyse der Artikel von Stefan Kornelius, Klaus-Dieter Frankenberger, Michael Stürmer und Josef Joffe, und 3. das Unterkapitel „Elemente von Propaganda“.
„Welche Organisationen aus Politik und Wirtschaft in der Netzwerkanalyse berücksichtigt wurden, wird auf nur anderthalb Seiten beschrieben. Wie Krüger konkret recherchiert und selektiert hat, teilt er nicht mit.“
Auf S. 111-115 steht, wie ich vorgegangen bin: a) dass ich mit Hilfe der Suchmaschinen Google und Metager2 nach organisationalen Verbindungen von 219 Journalisten meiner Grundgesamtheit gesucht habe; Grundgesamtheit sind die leitenden Redakteure der Leitmedien (gemäß JouriD-2005-Befragung von Weischenberg, Malik und Scholl), die ich im Anhang A1 namentlich ausgewiesen habe, b) dass ich als gegenläufige Suchstrategie die Webauftritte von Eliten-haltigen Organisationen auf Journalistennamen abgesucht habe, c) dass ich weitere relevante Quellen ausgewertet habe (Bücher, medienjournalistische Artikel, Archive) sowie d) acht Organisationen angeschrieben habe mit der Bitte um Namenslisten.
Selektiert wurden die Organisationen, auf die ich stieß, nach einem einzigen formalen Kriterium (S. 111): Ist zusammen mit einem Journalisten mindestens eine Eliteperson aus Politik oder Wirtschaft involviert oder nicht? (Wer zur Elite aus Politik und Wirtschaft gehört, ist wiederum definiert auf den Seiten 113f. und im Anhang A2.) Das hieß konkret: Heribert Prantls Beiratstätigkeit für die Stiftung Pro Justitia wurde in den Datensatz aufgenommen, weil die Bundesjustizministerin ebenfalls im Beirat saß; Josef Joffes Verbindung zum John M. Olin Institute for Strategic Studies an der Harvard University wurde hingegen nicht aufgenommen, weil kein Kontaktpotenzial mit Politik- oder Wirtschaftseliten erkennbar war.
„Krüger sammelte Verbindungsdaten fast nur in öffentlich zugänglichen Quellen. Dies war der falsche Weg, wenn er ‚Schweigekartelle‘ (S. 21) entlarven wollte. Die Verbindungen, die er anprangert, sind jedenfalls transparent gewesen.“
Dieses Argument geht aus mehreren Gründen ins Leere:
a) Transparenz per se macht eine Verbindung nicht unproblematisch, denn sie verhindert keine Interessenkonflikte, sondern macht sie für Außenstehende nur sichtbar. Wenn ein Außenpolitik-Ressortleiter im Präsidium der Deutschen Atlantischen Gesellschaft saß und dort dem Vereinsziel verpflichtet war, „das Verständnis für die Ziele des Atlantischen Bündnisses zu vertiefen“ (so der selbsterklärte Auftrag), konnte dies mit dem Anspruch einer nach allen Seiten hin (also auch zur Nato) kritisch-analytische Distanz wahrenden Berichterstattung kollidieren.
b) Es ist ein Unterschied, ob ein Außenpolitik-Ressortleiter lediglich auf der Website der Deutschen Atlantischen Gesellschaft als Präsidiumsmitglied aufgeführt ist oder ob diese Vereinsfunktion unter seinen Artikeln zu transatlantischen Themen für alle Leser sichtbar vermerkt ist. Der Bedarf an Transparenz bezieht sich vor allem auf die Leserschaft, die über die Einbindungen des Kommentators aufgeklärt sein möchte.
c) „Schweigekartelle“ entstehen nicht zwingend durch explizite Absprachen in geheimen Zirkeln. Es genügt, wenn sich die Interessen verschiedener Akteuren decken oder ihre (Nicht-)Wahrnehmung bestimmter Sachverhalte eine ähnliche ist. Eine gemeinsame Involviertheit in einer Organisation kann meines Erachtens auf ähnliche Interessen und ähnliche Wahrnehmungen hindeuten.
„Offenbar wurden in der Analyse nur solche Frame-Elemente bestimmt, die den vorab formulierten Hypothesen entsprachen. In den Hypothesen wurde den Journalisten eine einseitige Sicht zugunsten der USA und der NATO unterstellt.“
Die Hypothesen (S. 165-167) vermuteten bei den Journalisten in der Tat eine einseitige Sicht zugunsten der USA und der NATO, weil die zuvor durchgeführte soziale Netzwerkanalyse dies nahelegte. Genau dies ist in der empirischen Wissenschaft der Zweck von Hypothesen: begründete Annahmen zu formulieren, die anschließend empirisch überprüft werden.
Dabei habe ich keineswegs nur bestätigende Frame-Elemente gesucht, sondern alle, die einen Bezug zur Forschungsfrage hatten. Diese lautete: „Wie positionieren sich die vier im transatlantischen Elitenmilieu vernetzten Journalisten von SZ, FAZ, Zeit und Welt hinsichtlich des Paradigmenwechsels in der sicherheits- und verteidigungspolitischen Programmatik und hinsichtlich der Kluft zwischen Elite und Bevölkerung [in Sachen Auslandseinsätze der Bundeswehr]?“ (S. 163f.). Die empirische Überprüfung verlief ergebnisoffen und hätte auch widersprechende Argumente einbezogen. Allein: Es fanden sich keine. Im Übrigen ergab die Überprüfung, dass nicht alle Hypothesen im gleichen Maße bestätigt werden konnten (S. 207-219). Das Analysematerial steht anderen Wissenschaftlern selbstverständlich für Zweitauswertungen zur Verfügung.
„Ebenso unzureichend ist die vierseitige ‚Propaganda‘-Analyse, in der Krüger den Gebrauch einiger gängiger Argumentationsformen belegt. Krüger reiht in seiner Arbeit über viele Seiten Zitate der vier Journalisten aneinander und kommentiert sie in freier Manier und mit scharfen Worten, ohne dass er die Maßstäbe seiner Urteile herleitet.“
Im inkriminierten Unterkapitel „Elemente von Propaganda“ (S. 211-216) diente die Propaganda-Definition des anerkannten Sozialwissenschaftlers Thymian Bussemer als Grundlage. Sie liefert konkrete Anhaltspunkte für das Erkennen von Propaganda, zum Beispiel: überhöhtes Selbst- und denunzierendes Fremdbild, Versuch der Naturalisierung von Handlungsaufforderungen, Darstellen von Handlungsoptionen als alternativlos. Ich fand verschiedene Elemente, die mit dieser Definition konform gehen, in den Artikeln der Journalisten. Diese Fundstellen zitiere ich und erläutere, warum ich darin Elemente von Propaganda sehe (ob bewusster oder unbewusster, lasse ich ausdrücklich offen). Damit lege ich mein Vorgehen offen, d.h. ich mache es transparent.
Neubergers Argument, ich hätte hier nur „den Gebrauch einiger gängiger Argumentationsformen belegt“, sticht nicht, denn die häufige Verwendung einer Argumentation schließt nicht aus, dass sie tatsächlich Propaganda oder Teil von Propaganda sein kann.
Ideologiekritik
Diese Kritikpunkte betreffen Prämissen bzw. Vermutungen, die meiner Arbeit zugrunde liegen, sowie von mir vertretene Interpretationen, Meinungen und Forderungen.
„In der Dissertation von Krüger wird das Verhältnis zwischen Journalismus, Eliten und Bevölkerung als ein Geflecht aus Macht- und Manipulationsbeziehungen dargestellt. Es fehlt ein tieferes Verständnis dafür, wie Öffentlichkeit in einer Demokratie funktionieren sollte und auch – trotz einiger Abstriche – funktioniert.“
Die normativen Grundlagen demokratischer Öffentlichkeit sind das eine, das andere ist die Umsetzung des Ideals in der Wirklichkeit. Thema meiner Arbeit sind Vermachtungstendenzen innerhalb der demokratisch verfassten Gesellschaft. Die Untersuchung wird „von der Annahme geleitet, dass eine konsensuell geeinte Elite in wichtigen Fragen (Krieg und Frieden, makroökonomische Ordnung) gegen die Interessen eines Großteils der Bevölkerung regieren kann und dass journalistische Eliten zu stark in das Elitenmilieu eingebunden sein könnten, um noch als Anwälte des öffentlichen Interesses kritisch-kontrollierend zu wirken“ (S. 90). Das ist freilich eine andere Grundannahme als die Neubergers, dass „Öffentlichkeit in einer Demokratie“ auch de facto „trotz einiger Abstriche“ „funktioniert“. Mit der einen (unbewiesenen) Grundannahme kann man aber nicht eine andere (unbewiesene) Grundannahme widerlegen.
„‚Nähe‘ setzt er umstandslos mit ‚Vereinnahmung‘ gleich, wobei es für ihn nur eine Richtung geben kann: Eliten beeinflussen Journalisten, Journalisten wiederum das Publikum.“
Nähe setze ich an keiner Stelle mit Vereinnahmung gleich. Im Gegenteil sage ich, dass zwischen persönlicher Nähe zu Eliten und Eliten-nahen Meinungen „keine simple Kausalität anzunehmen ist: Journalisten vertreten nicht unbedingt bestimmte Meinungen, weil sie im Netzwerk sind, also weil sie von den Eliten kognitiv vereinnahmt worden sind. Eine Koinzidenz zwischen Journalistenmeinung und Umgebungsmeinung mag schon vorher bestanden haben und der Grund für die persönliche Annäherung gewesen sein“ (S. 145, ähnlich auf S. 258).
Außerdem weise ich darauf hin, dass Beeinflussbarkeit durch Nähe auch von der Ich-Stärke der Journalisten abhängt: „Zwei identisch vernetzte Journalisten können unterschiedlich kritisch mit ihrem sozialen Umfeld umgehen, je nachdem wie sie psychisch konstituiert sind. Ein Journalist mit starkem, gefestigtem Ich – das nicht mit einem aufgeblähten Ego zu verwechseln ist – wird souveräner mit seinen hochrangigen Quellen umgehen und auf Konformitätsdruck widerständiger reagieren; dagegen wird sich ein narzisstisch bedürftiger Journalist (…) eher an das Meinungsklima der Umgebung anpassen (…)“ (S. 259-260).
Dass Journalisten einbahnstraßenartig das Publikum beeinflussen, kommt in meiner Arbeit an keiner Stelle vor. Von Aussagen zu Medienwirkungen beim Publikum habe ich bewusst Abstand genommen.
„Es wäre weltfremd und schädlich, wenn Journalisten jeglichen Kontakt zu politischen Akteuren vermeiden müssten.“
Das fordere ich nicht, im Gegenteil (S. 262). Ausdrücklich begrüße ich, wenn Journalisten „weak ties“ (schwache Bindungen) zu einer Vielzahl von Quellen haben, um möglichst viele Informationen zu bekommen. „Strong ties“ jedoch zu mächtigen Akteuren aus dem Berichterstattungsfeld können schädlich sein, weil sie die Kritikfähigkeit vermindern können. Netzwerktheoretisch gesprochen: „Strong-Tie-Netzwerke haben das Potenzial, die Handlungsautonomie ihrer Mitglieder einzuschränken: Sie können von ihren Mitgliedern Konformität verlangen und mit Abgrenzung nach außen und Diskriminierung anderer verbunden sein (…)“ (S. 92).
Daher fordere ich, „dass Journalisten – zumal leitende – keine Aufgaben in Beiräten, Kuratorien und vor allem in vertraulichen Politikplanungskörperschaften wahrnehmen sollten, wenn diese Tätigkeiten thematische oder personelle Berührungspunkte mit ihrem Berichterstattungsfeld haben“ (S. 264). Eine ähnliche Regelung findet sich, wie ich auf S. 147f. ausführe, zum Beispiel seit zehn Jahren im Ethik-Kodex der New York Times (dort ist es Punkt 69).
Fazit
Wie dargelegt, sehe ich die Kritikpunkte Neubergers als nicht stichhaltig an. Die meisten sind bereits durch genauere Lektüre meiner Arbeit zu entkräften.
Auch weitere Fragen, die Neuberger in seiner Rezension als unbeantwortet darstellt, diskutiere ich im Buch. Auf die Frage von Neuberger „Und was besagen die ermittelten Verbindungen?“ gehe ich in Kap. 5.2.4 („Aussagekraft der Daten“) ein. Die Frage von Neuberger „Welche Arten von Verbindungen sind problematisch?“ erörtere ich in Kap. 5.4 („Die Verbindungen aus journalismusethischer Sicht“). Das von Neuberger angesprochene Desiderat „Wo diese Grenzen [für zivilgesellschaftliches Engagement von Journalisten] liegen, wäre gründlich und differenziert zu analysieren“ behandle ich in Kap. 8.3 („Folgerungen für die journalistische Ethik“).
Geneigte Leser sind aufgefordert, sich selbst ein Bild zu machen – und gegebenenfalls weitere Kritik zu formulieren, für die ich jederzeit offen bin.
Stringente Entkräftung aller wesentlichen Kritikpunkte von Prof. Dr. Christoph Neuberger. Gute Arbeit. Weiter so.
Kompliment für die eindrucksvolle Widerlegung der Kritik von Prof. Neuberger! Und das ohne dessen persönliche Motive für die Kritik auch nur mit einem Nebensatz in Frage zu stellen!
Wer wie ich als interessierter Laie die weitestgehend übereinstimmenden Kommentare und Urteile von BRD-Politik und Massenmedien über den Ukraine-Konflikt mit den Kommentaren dazu in den NachDenkSeiten oder vorwiegend angelsächsischen Quellen wie z.B. Paul Craig Roberts, The Nation et al vergleicht, muss zu dem Ergebnis kommen, es handle sich bei Ersteren um Nachrichten regierungs-amtlicher oder anderweitig bezahlter Spin Doctors!
Diese Erkenntnis hat mich veranlasst, die Jahrzehnte lang gelesenen Süddeutsche Zeitung und SPIEGEL sowie spon nicht mehr anzurühren sowie alle politischen Diskussionsrunden bei den ö.r. Staatsrundfunkanstalten zu ignorieren. Letzteres fiel mir vermutlich etwas leichter als anderen Deutschen, weil ich im Ausland lebe und deshalb keine Zwangsgebühren für die ö.r. Propaganda-Anstalten zahlen muss.
Sie, sehr geschätzter Uwe Krüger, kann ich nur bitten, sich von Ihren Kritikern nicht einschüchtern zu lassen, sondern fortzufahren, wenigstens einigen von uns, d.h. interessierten Laien wie mir, “die Augen zu öffnen” bevor auch das in unseren Pseudo-Demokratien verboten – oder durch den heraufziehenden, mit allen Mitteln der Demagogie provozierten Krieg mit Russland, d.h. von noch wichtigeren Nachrichten – verunmöglicht oder abgelöst wird!
Herr Professor Neuberger!
Wie peinlich ist das denn bitte schön!!!