Investigativer Journalismus im Baltikum

16. November 2011 • Qualität & Ethik • von

Inga Springe vom Baltic Investigative Reporting Center & Ints Silins von der U.S.-Baltic Foundation

Das Baltic Investigative Reporting Center hat frischen Wind in die baltischen Staaten gebracht.

Die Non-Profit-Organisation, die von Journalisten aus Lettland, Estland und den USA im August 2011 im lettischen Riga gegründet wurde, will den investigativen Journalismus voranbringen – denn der wurde in dieser Region bislang stark vernachlässigt.

Die lettische EJO-Redakteurin Liga Ozolina hat mit der Direktorin Inga Springe über die Entwicklung und Ziele des Investigative Reporting Centers gesprochen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Baltic Investigative Reporting Center zu gründen?

Die Idee kommt eigentlich aus den USA, wo es sich ähnliche Non-Profit-Organisationen zum Ziel gesetzt haben, investigativen Journalismus zu fördern. Ich bin vor einem Jahr mit dem Fulbright/Humphrey Fellowship in den USA gewesen. Davor hatte ich meinen Job bei der lettischen Tageszeitung Diena gekündigt. Ich wusste zwar nicht, was die Zukunft für mich bereithält, aber ich wusste, dass ich nicht mehr für ein Wochenmagazin oder eine Tageszeitung arbeiten wollte. Ich wusste aber auch, dass ich mich nicht komplett aus dem Journalismus zurückziehen wollte. Als ich in den USA war, sind einige ehemalige Kollegen auf die Idee gekommen, ein Non-Profit-Medienzentrum in Lettland aufzuziehen. Ich habe dann in den USA einige Konferenzen besucht, mir die Praktiken der Washington Post und eine der ältesten und größten Non-Profit-Organisationen für investigativen Journalismus, das Center for Public Integrity, angeschaut, um die Trends im investigativen Journalismus besser verstehen zu können.

In den USA habe ich auch einige Non-Profit-Medienorganisationen besucht, darunter ProPublica, die zweimal den Pulitzer Preis bekommen hat. Kristine Rizga, eine lettische Journalistin, die seit zehn Jahren in den USA lebt, hat mich sehr unterstützt, indem sie meine Texte redigiert und mich auch immer wieder ermutigt hat. Ich habe erkannt, dass vor allem in der heutigen Zeit solche Organisationen nötig sind, um den Journalismus zu fördern. Also habe ich gesagt: „Versuchen wir’s in Lettland!“

Was sind die Aufgaben Ihrer Organisation?

Wir haben uns zwei Hauptaufgaben gesetzt: Erstens für die Gesellschaft wichtige Themen wie Korruption, Kriminalität, Finanzen, Unternehmertum, Gesundheit und Menschenrechte investigativ zu beleuchten und zweitens über neue und interessante Wege nachzudenken, wie wir unsere Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit präsentieren können. Wir werden viel mit interaktiven Karten, Diagrammen, Zeitleisten, Fotos und Videos arbeiten, die  dem Nutzer unsere Themen besser veranschaulichen sollen.

Unser Zentrum wird auch das Internet und soziale Netzwerke nutzen, um Kriminalität und Korruption aufzudecken. Wir nehmen uns dabei ein Beispiel an der Website ipaidabribe.com aus Indien: Sie veröffentlicht Selbsterfahrungsberichte von Bürgern, die jemanden bestochen haben oder bestochen worden sind. Eine andere Idee ist, das bestehende Problem des Fahrraddiebstahls in Riga zu thematisieren, indem wir online eine interaktive Karte der Stadt mit Berichten von Opfern veröffentlichen, um die gefährlichsten Gegenden für Radfahrer aufzuzeigen.

Warum widmet sich Ihre Einrichtung der gesamten baltischen Region und nicht nur Lettland?

Als ich den Projektantrag geschrieben habe, ist mir bewusst geworden, dass wir keine finanzielle Unterstützung bekommen, wenn wir nur innerhalb der Grenzen Lettlands arbeiten. Lettland ist einfach zu klein. Eine Chance auf Geldmittel erhalten die Projekte, die aufgrund ihrer länderübergreifenden Auslegung als innovativ gelten. Außerdem gibt uns unsere Arbeit in drei baltischen Staaten die Möglichkeit, vergleichende Forschungsprojekte durchzuführen, die für unser Publikum einen erkennbaren Mehrwert bieten.

Stimmen Sie der Aussage zu, dass investigativer Journalismus ausstirbt?

Ich denke schon, dass investigativer Journalismus heutzutage zu kurz kommt, aus dem einfachen Grund, dass Medienunternehmen keine Zeit und keine finanziellen Mittel mehr haben, investigativ zu arbeiten.

Es gibt aber noch andere Gründe, warum es in den baltischen Staaten so gut wie keinen investigativen Journalismus gibt.  In den USA haben Reporter die Freiheit, sich ihre Themen auszusuchen, in Litauen aber zum Beispiel erschweren politische und wirtschaftliche Interessen den Journalisten ihre investigative Arbeit.

Sind Sie der Ansicht, dass die Bürger sich genug für investigativen Journalismus interessieren und die Aktivitäten Ihrer Organisation schätzen?

Ich möchte es einmal so ausdrücken: Viele Leute wissen oftmals nicht, was sie brauchen, bis sie es bekommen. Wenn wir interessante Wege finden, um unsere Recherche-Ergebnisse an die Öffentlichkeit zu bringen, werden die Leute das auch schon zu schätzen wissen. Wir müssen nur daran denken, dass sie auf verständliche Art und Weise Informationen bekommen wollen.

Wie genau werden Sie Ihre Zuhörerschaft erreichen?

Es ist gang und gebe, dass Non-Profit-Medienorganisationen ihr Publikum durch andere Medienunternehmen erreichen. Wir werden unsere Recherche-Ergebnisse den Medienunternehmen kostenlos zur Verfügung stellen. Wir werden auch keine Vollzeit-Journalisten einstellen, sondern Journalisten von anderen Medienunternehmen für unsere investigativen Recherche-Projekte anheuern. Die Medienunternehmen, die uns ihre Journalisten zur Verfügung stellen, dürfen unsere Ergebnisse zuerst veröffentlichen, bevor wir sie an andere verschicken.

Zusätzlich werden wir auf unserer Website, die in vier Sprachen – Lettisch, Litauisch, Estnisch und Englisch – Ende November an den Start gehen wird, Crowd Sourcing betreiben.

Wie werden Sie Ihr Zentrum finanzieren?

Dieses Jahr haben wir 29.000 Dollar vom U.S. State Department und 10.000 Dollar von der U.S.-Baltic Foundation erhalten. Die lettische Soros Foundation hat angekündigt, 30.000 Dollar zu spenden. Damit sollten wir unser erstes Jahr finanzieren können.

Auf Dauer planen wir folgenden Finanzierungsweg: 50 Prozent von Stiftungen, 40 Prozent von privaten Spendern und 10 Prozent vom Erlös des Verkaufs unserer Inhalte und exklusiver Recherche-Projekte. Am Anfang habe ich viel über die Nachhaltigkeit unseres Projekts nachgedacht, aber jetzt sehe ich es ehrlich gesagt als Experiment. Wir werden unser Bestes geben und werden dann sehen, ob unsere Einrichtung nachhaltig ist oder nicht.

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