Vielleicht ist es nur eine Zeitfrage, bis die Redakteure der Schweizer Zeitungen in Indien sitzen.
Den US-Präsidenten hält die Süddeutsche Zeitung für eine Witzfigur. Er ist „ein Polit-Clown mit rotem Kopf und lächerlicher Frisur”.
Dieser herablassende Stil ist typisch für das Blatt. Deutsche Zeitungen neigen alle zur Hochnäsigkeit, aber die Süddeutsche aus München ist der hochnäsigste Titel von allen. Egal, ob Donald Trump, Wladimir Putin, Boris Johnson oder Matteo Renzi – die Redaktion bespuckt alle von oben herab.
Passt so ein arroganter Stil zum Tages-Anzeiger? Ja, glaubt Tages-Anzeiger-Chefredaktor Arthur Rutishauser. Denn die beiden Blätter hätten „eine gemeinsame publizistische Ausrichtung”. Ich glaube das Gegenteil.
Damit man diese Einschätzung versteht, erst die Fakten. Der Tages-Anzeiger verlagert einen beträchtlichen Teil seiner journalistischen Kernkompetenz ins Ausland. Die gesamte Auslandberichterstattung, aber auch Teile der Ressorts Wissen, Kultur, Gesellschaft und Sport werden künftig in München produziert.
Vermutlich hätte der Tamedia-Verlag seine Redaktion am liebsten gleich nach Indien ausgelagert, so wie Credit Suisse und Novartis das mit manchen Geschäftsfeldern tun. Dann hätte man noch mehr sparen können. Aber das ging leider nicht, weil der Inder die deutsche Orthografie noch nicht so gut kann.
Interessant am Outsourcing ist die Frage, die man heute in den Medien nur noch halblaut stellen darf: Kümmert sich in all diesen Sparübungen eigentlich noch jemand um die Identität eines Blattes?
Identität. Ein großes Wort, ich weiß.
Für das große Wort muss man die jüngste Mediengeschichte finanziell etwas aufrollen.
In der ersten Phase der Sparübungen schmissen die Verlage einfach die Journalisten raus. Genaue Zahlen sind schwierig festzumachen, weil sich zugleich die Print- und Online-Redaktionen vermengten. Bei Tages-Anzeiger und Blick dürften je etwa hundert Journalisten gefeuert worden sein. Man sparte kräftig, und für die Identität der Blätter war das ohne Risiko. Sie wurden sogar präziser, weil vorab die faulen und renitenten Mitarbeiter gehen mussten.
In der zweiten Phase der Sparübungen begann man mit Quertransporten zwischen homogenen Zeitungstypen. Die Berner Zeitung etwa lieferte nun der Zürichsee-Zeitung oder dem Landboten die Stoffe aus Inland und Wirtschaft. Man sparte kräftig, aber die Leser spürten es. Beim Blick auf nationale Themen fehlte jetzt oft die regionale Optik.
In der dritten Phase der Sparübungen integrierten die Verlage heterogene Zeitungstypen. So verschmolz der Tages-Anzeiger weitgehend mit der Sonntagszeitung und neuerdings die Aargauer Zeitung mit der Schweiz am Sonntag. Man sparte kräftig, für den Leader-Titel war das problemlos, aber der Juniorpartner büßte Identität ein. Die Sonntagszeitung etwa war zuvor ein eigenständiges Charakterblatt, nun wurde sie eine Art Fortsetzungsroman der Tageszeitung.
In der vierten Phase der Sparübungen ist man nun, wie bei Süddeutsche und Tages-Anzeiger, bei den globalisierten Geschäftsprozessen angelangt. Man spart wieder kräftig, aber nun werden die kulturellen Diskrepanzen noch augenfälliger. Den bescheidenen Schweizer Lesern wird künftig deutsche Hochnäsigkeit importiert. Das ist nicht allzu identitätsstiftend.
Die Medienbranche hat die vier gleichen Zyklen wie andere Industrien durchlaufen: erst Kostenreduktion im Stammhaus, dann Kooperation, Integration und Outsourcing.
Für die Identität einer Marke aber kann das Folgen haben. Ist Swiss wie Swissair? Ist Denner wie Migros? Und was wird aus dem Tages-Anzeiger?
Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 15. Dezember 2016
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