Afrika im bewegten Bild

31. August 2021 • Forschung aus 1. Hand, Qualität & Ethik • von

Geht es in der Afrikaberichterstattung immer nur um Krisen, Kriege, Krankheiten und Katastrophen? Fabian Sickenberger hat in seiner Dissertation die Bebilderung von Nachrichtenbeiträgen aus Afrika der ARD-„Tagesschau“ untersucht und kommt zu einem überraschenden Befund.

Gerade einmal 15 Kilometer Distanz liegen zwischen Europa und Afrika – so schmal ist die Straße von Gibraltar an ihrer engsten Stelle. Doch trotz dieser geographischen Nähe wirkt es so, als gälten der afrikanische Kontinent und seine Menschen hierzulande häufig als das „Andere“, das „Fremde“. Nicht unbeteiligt an solchen Vorstellungen sind Afrikadarstellungen in den Medien. Immerhin stellen sie die wichtigste Quelle für Informationen aus jenen Bereichen der Welt dar, in denen wir uns nicht tagtäglich bewegen und gekonnt zu orientieren wissen. Für die allermeisten Deutschen und Europäer zählen die Staaten Afrikas zu dieser sogenannten Fernwelt – über sie informieren wir uns in erster Linie durch die Massenmedien.

Einiges ist inzwischen bekannt über das massenmediale Afrikabild: Zum einen wird unserem Nachbarkontinent nur sehr selten Aufmerksamkeit zuteil, zweitens konzentrieren sich Nachrichtenmedien vor allem auf sogenannte K-Themen (Krisen, Kriege, Katastrophen, Konflikte, Korruption, Krankheiten und Kriminalität) – also auf negative Aspekte. Insgesamt kann daher, in Kai Hafez‘ Worten, von einer ausgeprägten „Konfliktperspektive“ gesprochen werden. Lutz Mükke sieht Afrika in seiner Studie Journalisten der Finsternis entsprechend in einer „Dramatisierungsfalle“: Afrikanische Ereignisse ohne K-Thema seien für deutsche Redaktionen kaum von Interesse.

Allerdings weist die bisherige Studienlage zwei erkennbare Forschungsdesiderate auf: den fast ausschließlichen Fokus auf Printmedien sowie das Aussparen visueller Inhalte. Diese beiden Forschungslücken zu schließen, war Ziel meiner Dissertation an der Technischen Universität Dortmund. Die Studie untersucht das Afrikabild der quotenstärksten und aus Sicht des Publikums glaubwürdigsten Fernsehnachrichtensendung, der ARD-„Tagesschau“. Betrachtet wurde eine repräsentative Stichprobe, bestehend aus knapp 1.800 Beiträgen im Untersuchungszeitraum 1952 bis 2018. Damit stellt die Arbeit die erste quantitative Langzeituntersuchung eines deutschen Fernsehformats überhaupt dar.

Neben Themen, Akteuren, Kommunikatoren und Medienframes befasst sich die Inhaltsanalyse erstmals mit der Bebilderung von Nachrichtenbeiträgen aus Afrika. Gerade in der Fernsehberichterstattung ist das Bild ein entscheidender Informationskanal, der für Glaubwürdigkeit und bisweilen gar für eine vermeintliche Augenzeugenschaft bei den Rezipienten sorgt, die in der Kommunikationswissenschaft unter dem Schlagwort „seeing is believing“ geläufig ist. Erst durch das Bild rückt das Fernseherlebnis in die Nähe eines gefühlten Dabei-Gewesen-Seins. Erst das Bild macht das Fernsehen zum Fenster zur Welt.

Die Auswertung der Bildinhalte aus knapp sieben Jahrzehnten Tagesschau (untersucht wurden 2.503 Bildmotive) zeigt eine überraschend vorsichtige Visualisierung unseres Nachbarkontinents. Anders als in den Analysen der Themenstruktur (die der Untersuchung zufolge vorrangig von K-Themen geprägt ist) und der dominanten Medienframes (die ein verstärkt pessimistisch-kritisches Afrikabild zeichnen), erscheint die Bebilderung des Kontinents erstaunlich zurückhaltend. Die wichtigsten Motive in Nachrichten über Afrika sind: 1. Menschenmengen (21,0 %), 2. Politische Standardereignisse wie Staatsbesuche und Pressekonferenzen (20,9 %) sowie 3. Darstellungen aus der Welt des Militärs (18,4 %). Wesentlich seltener sind hingegen Bilder von Leid und Zerstörung (3,9 %), Feuern (3,8 %), Leichen und Verletzten (3,1 %) sowie leidenden Menschen (1,6 %). Nur gut ein Viertel aller Darstellungen (26,2 %) sind als chaotisch zu bezeichnen – die meisten Bildmotive verzichten somit auf krisenhafte Visualisierungsmuster. Diese Auswertungsergebnisse widersprechen eindeutig bisherigen Annahmen, zusammengefasst durch Toussaint Nothias, der vermutet, dass „Bilder von gewalttätigen, barbarischen, hungernden, armen und hilflosen Schwarzafrikanern die internationale Berichterstattung beherrschen“ würden („[…] images of violent, barbaric, starving, poor and helpless black Africans have dominated international news“). Auf das Afrikabild der Tagesschau lässt sich diese Beobachtung keineswegs übertragen.

Anteile und Häufigkeiten der Bildmotive

Außerdem sind Darstellungen, die Afrika exotisieren und primitivisieren (nackte Menschen, traditionelle Bräuche und Tänze) in der nüchtern gehaltenen Bildwelt der Tagesschau fast überhaupt nicht identifizierbar (0,5 %) und finden sich, ebenso wie Bilder von Flora und Fauna (2,2 %), lediglich in der Frühphase des Formats. Solche Bilder werden vermutlich viel mehr durch Dokumentarfilme, Bildbände und Reisefotografie etabliert und reproduziert.

Ein im Afrikakontext typisches, weil aufmerksamkeitsheischendes und mitleiderregendes Bildmotiv, ist jenes hungernder oder traumatisierter Kinder. Zahlreiche Hilfsorganisationen warben in der Vergangenheit auf überdimensionierten Plakatwänden oder in Fernsehwerbespots mit entsprechenden Darstellungen. Auch in den Nachrichtenbeiträgen der Tagesschau taucht dieses Motiv gelegentlich auf: 4,4 % der Bilder aus Afrika zeigen Babys und Kinder; davon wiederum wirken knapp die Hälfte traumatisiert und dienen als Stellvertreterbild für vor Ort herrschendes Leid. Bis in die 2000er-Jahre wird dieses Motiv immer wichtiger (von 2000 bis 2009: 5,1 % aller Darstellungen); anschließend kehrt sich der Trend um und entsprechende Darstellungen sind nur noch selten zu finden (2010 bis 2018: 1,8 %; Abb. 1).

Abb. 1: Entwicklung des Bildtyps ‚Babys/Kinder‘ gesamt sowie unterteilt nach Emotionalität der Abgebildeten (Anteile in beiden Grafiken relativ zu allen Bildern im Jahrzehnt).

Erkenntnisreich ist die Entwicklung des am häufigsten verwendeten Bildtyps „afrikanische Menschenmengen“, unter welchen beispielsweise Demonstrationszüge oder Gruppen Geflüchteter fallen. Dieses bisher insbesondere aus Islambildstudien bekannte (und im Zusammenhang mit Afrika erstmals identifizierte) Motiv erscheint als eine Art Universalbild, das – je nach Kontext – verschiedene Lesarten nahelegt: entweder Afrika als unüberblickbare, unkontrollierbare, potenziell bedrohliche Masse; oder aber Afrikanerinnen und Afrikaner als aktiv handelnde Gemeinschaften. Um diesbezüglich eine Unterscheidung zu treffen, wurde betrachtet, welche Emotionalität die gezeigten Menschenmengen an den Tag legen. Hierbei zeigt sich, dass afrikanische Menschenmengen von der Tagesschau in deren Frühphase vornehmlich fröhlich und ausgelassen gezeigt wurden, woraufhin sich die Verhältnisse seit den 1980er-Jahren zunehmend umkehrten. Seither erscheinen afrikanische Menschenmengen in zunehmendem Maße negativ emotionalisiert (aggressiv und wütend oder traurig und niedergeschlagen). Ein Trend hin zu negativ-valenten Bebilderungen ist somit klar erkennbar (Abb. 2).

Abb. 2: Entwicklung Emotionalität von Menschenmengen (Anteile relativ zu allen Darstellungen von Menschenmengen im Jahrzehnt).

Dieser zeigt sich auch im visuell präsentierten Chaos (Abb. 3). Diese Entwicklung, die es in Zukunft kritisch zu beobachten gilt, hängt unter anderem mit der zunehmenden Fokussierung auf Nachrichten über afrikanische Geflüchtete zusammen. Migrantinnen und Migranten aus Afrika werden immer öfter thematisiert, und sie werden häufig in großen Gruppen gezeigt. Zudem werden sie als niedergeschlagen (etwa nach strapazierender Überfahrt über das Mittelmeer) oder aggressiv (beispielsweise nach kollektivem Übertritt der Grenzanlagen von Ceuta und Melilla) beschrieben.

Abb. 3: Entwicklung der Anteile chaotischer Darstellungen (Anteile relativ zu allen Bildern im Jahrzehnt).

Entsprechende Tendenzen legen somit ein zunehmend negativ-chaotisches Afrikabild nahe. Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass die Anteile eindeutig chaotischer und negativ gerahmter Motive wesentlich geringer sind als jene krisenhafter Themen. Dieser Befund überrascht und ist als durchaus erfreulich einzuschätzen.

 

Die vollständige Dissertation erscheint voraussichtlich Ende des Jahres im Logos Verlag Berlin.

 

Quellen:

Hafez, Kai (2002). Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung: Theoretische Grundlagen (Band 1). Baden-Baden: Nomos.

Mükke, Lutz (2009). „Journalisten der Finsternis“: Akteure, Strukturen und Potenziale deutscher Afrika-Berichterstattung. Köln: von Halem.

Nothias, Toussaint (2016). Mediating the distant Other for the distant audience – How do Western correspondents in East and Southern Africa perceive their audience? In Mel Bunce, Suzanne Franks & Chris Paterson (Hrsg.), Africa’s Media Image in the 21st Century (S. 73-82). London, New York: Routledge.

 

Bildquelle: Collage Peggy_Marco / luis2500gx auf Pixabay.com

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