Auslandsberichterstattung: Herausforderungen und Erwartungen an die journalistische Ausbildung

31. Oktober 2022 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik, Top • von

Die Auslandsberichterstattung ist ein klassisches Feld des Journalismus, deutlich älter als die Digitalisierung. Dennoch zeigt die Vielfalt an gängiger Kritik, dass Inhalte und Strukturen der Auslandsberichterstattung in vielerlei Hinsicht ein Update benötigen.

Zu den Kritikpunkten gehören unter anderem Ungleichgewichte in den globalen Nachrichtenströmen, die (oft prekäre) Situation von „Fixern“ und Stringern  oder die mangelnde Sensibilität der ins Ausland entsandten „Fallschirmjournalist:innen“. Immer wieder werden Rufe laut, mögliche nationale Stereotype in der Berichterstattung zu überwinden und, eng damit verbunden, eine größere Zusammenarbeit von Auslandskorrespondenten mit einheimischen Journalist:innen zu forcieren. Letztlich wurde von der Auslandsberichterstattung gefordert, die Dichotomie „Inland“ vs. „Ausland“ hinter sich zu lassen und sich in einen wahrhaft globalen Journalismus zu verwandeln, der die Komplexität einer globalisierten, also, Welt würdigt.

Gleichzeitig ist das Feld der internationalen Berichterstattung sehr breit geworden. Während wir Auslandsreporter:innen üblicherweise zunächst mit ständigen Korrespondent:innen assoziieren, die vor den großen Sehenswürdigkeiten einer Hauptstadt stehen und in den Fernsehnachrichten die Welt erklären, umfassen die Berufsbilder heutzutage neben „Fallschirmjournalist:innen“ unter anderem auch hochspezialisierte Reporter:innen, die sich auf „globale“ Themen wie den Klimawandel konzentrieren, sowie einheimische Journalist:innen oder „Fixer“, die in ihren Heimatländern für internationale Medien arbeiten. Auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Journalist:innen hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. Der Crossborder-Journalismus ist nicht auf bestimmte Themen beschränkt, wird aber häufig bei investigativen Projekten eingesetzt, um große Daten-Leaks zu erschließen.

Welche Berufsbilder sollten also von Journalistenschulen und Universitäten, die ihre Studierenden auf die Auslandsberichterstattung vorbereiten, berücksichtigt werden? Um eine Vorstellung von den Herausforderungen zu bekommen, die Praktiker:innen bei ihrer Arbeit wahrnehmen und ihren Blick auf für die Ausbildung wichtige Inhalte und Fähigkeiten zu ergründen, haben wir im Rahmen des EU-finanzierten Projekts NEWSREEL2 – New Teaching Fields for the Next Generation of Journalists sechs Reporter:innen aus der Tschechischen Republik, Deutschland, Ungarn, Portugal und Rumänien befragt.

Fünf der Befragten vertraten eher „klassische“ Rollen in der Auslandsberichterstattung, darunter ein ehemaliger Washington-Korrespondent, der heute als stellvertretender Nachrichtenchef arbeitet, sowie vier Journalist:innen, die eher das Anforderungsprofil von internationalen Reportern, erfüllen, die für kurzfristige Einsätze in interessante Gebiete geschickt werden. Harald Schumann, ein investigativer Journalist und Mitbegründer des grenzüberschreitenden Netzwerks Investigate Europe, repräsentierte den den kollaborativen Zweig der internationalen Berichterstattung.

Mangelnde Kontextualisierung

Schumann zufolge übernehmen Redakteur:innen in der Auslandsberichterstattung häufig „die Perspektive der nationalen Regierungen“. Er beschrieb diese Art des Journalismus als Ergebnis eines „überholten Systems“ der internationalen Berichterstattung, das einen „engstirnigen Journalismus mit nationaler Perspektive“ hervorbringe. Schumann kritisierte zwar die Rolle der Auslandskorrespondent:innen in diesem System, betonte aber, dass er „nicht strikt dagegen“ sei, feste Korrespondent:innen ins Ausland zu schicken: „Aber die Korrespondent:innen als einzige Quelle zu haben, die man in diesen anderen Ländern kennt, während man über eine Schlagzeile und eine wichtige Nachricht entscheidet, das ist wirklich schlechter Journalismus.“ Vielmehr betonte er, wie wichtig die Zusammenarbeit mit lokalen Journalist:innen sei, und sei es nur, um eine Detailinformation zu überprüfen.

Einen Mangel an Kontextualisierung der Auslandsberichterstattung diagnostizierten auch András Földes, Videojournalist bei der Nachrichtenwebsite Telex.hu, und Carmen Gavrila, internationale Korrespondentin beim öffentlich-rechtlichen rumänischen Rundfunk Radio România. Beide betonten, dass es in ihren Ländern an eingehender internationaler Berichterstattung fehle, da viele Redaktionen lediglich Artikel von großen internationalen Medien oder Nachrichtenagenturen übersetzten.

Fehlende Finanzierung als Hindernis

Alles in allem bezeichneten unsere Gesprächspartner:innen Auslandskorrespondent:innen zwar als ein nach wie vor wichtiges Element in den Strukturen der internationalen Berichterstattung, verwiesen aber auf die begrenzten Ressourcen für die Aufrechterhaltung großer Netzwerke von Auslandsbüros oder sogar freiberuflicher Reporter:innen.

Aus der Sicht der Befragten ist die mangelnde Finanzierung ein großes Hindernis für weitere Innovationen in der internationalen Berichterstattung. Sie verwiesen auf schrumpfende Budgets sowohl für ständige Korrespondent:innen als auch für einen Pool von internationalen Reporter:innen, die lediglich von Zeit zu Zeit ins Ausland geschickt werden. Ricardo Alexandre, Auslandsredakteur beim privaten portugiesischen Radiosender TSF, nannte den technologischen Wandel als weiteren Grund dafür, dass internationale Reporter:innen weniger reisen als früher, da es heutzutage „einfacher ist, mit Menschen auf der anderen Seite der Welt zu sprechen“.

Was Praktiker von der Journalist:innenausbildung erwarten

Insgesamt diagnostizierten die Befragten eine Tendenz zur Vernachlässigung internationaler Themen in den jeweiligen nationalen Lehrplänen der Journalist:innenausbildung in ihren Ländern. Gleichzeitig waren sich die Befragten einig, dass die nötigen Fähigkeiten zur Berichterstattung über inländische und internationale Themen großteils austauschbar sind, da sich die journalistische Recherche im Ausland nicht grundlegend unterscheide. Sie betrachteten jedoch ein fundiertes Hintergrundwissen über internationale Themen und Sprachkenntnisse als wichtige Voraussetzungen für Nachwuchsjournalist:innen, die eine Karriere in der internationalen Berichterstattung anstreben.

Im Zusammenhang mit möglichen Themen, die in Hochschulkursen zur internationalen Berichterstattung aufgenommen werden sollten, schlug Martin Řezníček, stellvertretender Chefredakteur des tschechischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens Česká Televize, vor, dass theoretisches Wissen über internationale Themen mit praktischen Elementen kombiniert werden sollte: „Wenn Sie als Universität es sich zum Beispiel leisten können, Leute ins Ausland zu schicken, um dort selbst zu recherchieren, dann ist das großartig.“

Ricardo Alexandre nannte Grundlagen der internationalen Politik als weiteres wichtiges Thema, das behandelt werden sollte, ebenso wie ethische und psychologische Aspekte der Berichterstattung gerade aus Kriegs- und Konfliktgebieten. Trotz des oft analysierten Trends zum Fallschirmjournalismus scheint die Spezialisierung auf bestimmte Länder oder Weltregionen immer noch ein entscheidender Einstellungsgrund zu sein: „Man braucht Leute, die sich auf ein bestimmtes Land konzentrieren und die in der Lage sind, wenn etwas passiert, eine Krawatte und ein Hemd anzuziehen, ins Studio zu gehen und in zehn Minuten darüber zu sprechen, ohne mit der Wimper zu zucken“, so Martin Řezníček.

Zusammenfassend unterstreicht unsere Untersuchung, dass Verantwortliche in der Journalist:innenausbildung ihre Lehrpläne an die heutige Vielfalt des Berufsfeldes anpassen sollten. In Anbetracht des zunehmend „vernetzten“ Charakters der internationalen Berichterstattung müssen Journalistenausbilder:innen auch Fähigkeiten und Kenntnisse berücksichtigen, die für die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen aus dem Ausland als Quellen, Expert:innen, „Fixer“ oder einfach als Partner bei gemeinsamen journalistischen Recherchen erforderlich sind. Gründliche Kenntnisse über Vorurteile und Stereotypen, internationale Beziehungen und Geopolitik sind von entscheidender Bedeutung, um Journalist:innen auf die Berichterstattung über ausländische Themen aus dem Ausland vorzubereiten. Auch wenn dies auf den ersten Blick banal erscheinen mag: Hinweise auf Finanzierungsmöglichkeiten für Recherchen im und über das Ausland sind ein weiteres wichtiges Thema, das angesichts der knappen Ressourcen für internationale Berichterstattung in vielen Ländern und Redaktionen schon in der Journalist:innenausbildung berücksichtigt werden muss.

Besonderen Dank an die Interviewpartner:innen: Ricardo Alexandre (TSF), Ramona Avramescu (TVR), András Földes (Telex.hu), Martin Řezníček (Česká televize), Harald Schumann (Der Tagesspiegel/Investigate Europe)

Die vollständigen Berichte der Studie sind im Forschungsbericht NEWSREEL2 verfügbar.

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